Ehrenfelder Ei

Moscheebau in Köln-Ehrenfeld nimmt Kontur an; eine Baustellenbesichtigung

„Ehrenfelder Ei“ nennen die Nachbarn und weitere Kölner den Neubau des wohl größten islamischen Gemeindezentrums mit Moschee in Deutschland, doch wenn schon Ei, dann eher eines, das man bereits mit dem Löffel traktierte: Fünf mächtige Betonschalen wollen sich in einem imaginären Scheitelpunkt zur Kuppel fügen, doch der Architekt ließ sie nicht. Die wie schützende Handflächen 34 m hoch in den Himmel ragenden gekrümmten Scheiben aus Ortbeton lassen weite Spalten offen, die später mit Glasscheiben verschlossen werden. Jetzt schließen die waghalsig freistehenden Betonmassen massive Vollstahlträger (Querschnitt 110 mm), die auch der Verglasung später Halt geben werden.

Lediglich eine Absicherung, falls die Erde einmal beben sollte, ansonsten, so der Architekt Peter Böhm am Mittwoch, den 25. Mai 2011, anlässlich einer Führung, stehen die auch ganz eigenständig. Von unten nach oben im Querschnitt verjüngt, sind sie im Boden wie über die Decke, die den Gebetsraum vom darunterliegenden Versammlungsraum trennt, eingespannt. Um allerdings bei Winddruck oder möglichen Erdbeben (Erdbebenzone 1, die niedrigste der Kategorie) die Verglasung dort zu halten, wo sie hingehört, wurden die von unten gesehen äußerst filigranten Stahlteile für den Formschluss eingesetzt.

Das Gemeindezentrum wächst, der Rohbau wurde vor fünf Monaten abgeschlossen, jetzt geht man schrittweise an den Innenausbau. Elemente des vor dem Baustart heftig umstrittenen und teils massiv angefeindeten Ensembles sind die Moschee auf der Ecke Innere Kanalstraße/Venloer Straße, sowie die den Kuppelbau begleitende Randbebauung mit Verwaltung, Läden, Lager- und Sonderflächen für aktuelle Veranstaltungen. Zwischen Venloer und nördlich liegender Subbelrather Straße, beide historische Verbindungen in die Stradt hinein, legten die Architekten die von ihnen so genannte „Magistrale“, eine Passage auf Erdgeschossebene, die einen geplanten, innenliegenden Bazar durchstößt und das Ensemble durchlässig machen soll. Die Gebäude wurden aus Sichtbeton gefertigt, der im Bereich der kreisrunden, überkuppelten Moschee mit Glas und Stahl, in der rektangulären Randbebauung mit schmalen, hochrechteckigen Holzrahmenfenstern strukturiert wird. Die äußere Schicht der Betonkonstruktion, die zunächst auf die vielleicht erwarteten Fliesendekore, auf Farbe, arabische Ornamente etc. verzichtet, besteht aus gestocktem Beton, der, hydrophobiert, seinen Natursteincharakter auch bei Nässe behalten soll; erste Regenschauer jedenfalls haben die homogen hellsandsteinfarbene Oberfläche nicht verdunkelt.

Etwa 4700 m² Glasflächen werden eingebaut, 1200 t Stahl und rund 15000 t Beton wurden verbaut. Die Nutzfläche liegt bei etwa 16000 m², die Gesamtkosten bei rund 25 Mio. €, davon sind knapp 8 Mio. € über Spenden aufgebracht worden. Wohl im Mai 2012 wird dann die Türkisch-Islamische Union (Diyanet Isleri Türk Islam Birligi, DITIB) hier einziehen und im Betraum der Moschee mit etwa 1000 Gläubigen zwischen zwei jeweils 55 m hohen Minaretten dem Gebet nachgehen. Die große Freitreppe, die von der Venloer Straße in die Mitte der Anlage und auf die Eingangsebene der Moschee zielt, soll dann dem öffentlichen Raum einen attraktiven Ort städtischen Lebens schenken; man kann dazu die Daumen drücken. Be. K.

 

Zur Konstruktion

Alle Gebäudeteile sind vollständig in Ortbeton ausgeführt. Alle Außenflächen – einschließlich der Kuppel – in Sichtbeton, der auf einer Fläche von über 10500 m² nachträglich gestockt wird. Fünf über die Höhe allmählich zusammenwachsende Betonschalen bilden die mittlere Kuppel. Die Schalen stehen zu ebenem Boden noch vollkommen unabhängig voneinander. Sie bleiben frei bis zu einer Höhe von 21 m, bei gleichzeitigem Aufweiten und Auskragen um bis zu 12 m. Erst im obersten Bereich der Kuppel schließen Stahl-Ringverbindungen die Schalen zu einem Gesamttragwerk zusammen. Für die komplexe Geometrie der Kuppel mussten mehr als 2000 m² runde und dreidimensional gewölbte Sonderschalungen maßgenau vormontiert werden, die mit dem Baufortschritt just-in-time zur Baustelle geliefert wurden.

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