Der Palast war tot, es lebe der Palast
Die temporäre Kunsthalle deutet mit der zweiten Fassadengestaltung auf eine Fehlstelle hin, offenbar zur rechten Zeit 22.01.2018Seien wir ehrlich: Die überaus schlichte Wolkeninterpretation des Künstlers Gerwald Rockenschaub war ein Missgriff. Die ohnehin platte Kistenarchitektur (Krischanitz), deren einfache Form mehr "Schuhladen" evozierte denn "Kunsthalle", war mehr einem Zweck geschuldet denn einem gestalterischen Anspruch, mehr ihrer Funktion denn einer - auch politischen - Aussage, mehr ihrem temporären Ziel denn einem architektonischen Statement. Und die wegen der Kürze der Zeit ihrer Realisierung und dem engen Budget auch wohl nicht mehr sein konnte als sie schließlich wurde, eine leblose Hülle mit durchaus lebendigem Inhalt, die mittels zweidimensionaler, scheußlich blauer Farbe zum Fremdkörper am eigentlich richtigen Ort erklärt wurde ... das war schon schwer erträglich.
Jetzt aber das: In Tagen, in denen wir erneut die Zukunft, den Sinn und Unsinn eines Milliardenprojektes in Berlin-Mitte diskutierten ("Bundeskartellamt kassiert Vertrag"), erlebt ein Protagonist in diesem langjährigen Streit um die die Gestaltung des Zentrums unserer Hauptstadt eine Wiedergeburt. In gewisser Weise analog zur Platzierung der gigantischen Fassadenarchitektur aus dem Jahre 1993 (mit Fassadenmuster bedruckte Planen über ein Gerüst gehängt sollten das alte Schloss im Stadtraum simulieren), als die ganze unselige Geschichte um die Wiederherstellung einer als authentisch behaupteten Mitte mitten in Berlin ihren Anfang nahm, analog zu diesem Versuch einer Veranschaulichung wird ab Ende September mittels einer schwarzweißen, "Echo" betitelten Fotoinstallation der in Berlin lebenden Künstlerin Bettina Pousttchi die Wolke Rockenschaubs durch die Simulation des abgerissenen Palastes der Republik ersetzt. Die zweite Außenbespielung der Temporären Kunsthalle Berlin erinnert, allerdings durch digitale Bildbearbeitung verfremdet, an den ehemaligen Palast der Republik. Die Künstlerin hat die Fassade des Palastes aus zahlreichen Archivbildern zusammengesetzt, auf wesentliche strukturelle Komponenten reduziert und nachträglich mit irritierenden Elementen
versehen.
Dass das irgendwie unheimliche Déjà-vu zu einem Zeitpunkt kommt, in welchem die Zukunft der 552-Mio.Euro-Baustelle wieder einmal etwas düsterer erscheint, mag überraschen, wahrscheinlich aber haben die Kuratoren ganz einfach das vorausgesetzt, was in diesen überschnellen Zeiten immer noch Wirklichkeit ist: Das ganz Große braucht immer seine Zeit. Be. K.
Biografie Künstlerin
Bettina Pousttchi (*1971 in Mainz) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte u.a. an der
Kunstakademie Düsseldorf (1995–99) und nahm teil am Whitney Independent Studio
Program, New York (1999/2000). Die Künstlerin ist derzeit zum zweiten Mal auf der
Biennale Venedig vertreten (Glasstress, Palazzo Cavalli Franchetti) sowie in
Ausstellungen im Kunstverein Hannover (Oppositions & Dialogues), im
Kunstmuseum St. Gallen (Born to be Wild), in der Kunsthalle Mainz (km 500/2) und
im Castello Santa Barbara in Alicante (No Such Place). Für den Herbst sind
verschiedene Projekte in Vorbereitung, u.a. für das Wilhelm Hack Museum,
Ludwigshafen (im Rahmen des 3. Fotofestivals) und das Kunstmuseum Thun (Pièce
de Résistance). Im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, sind die beiden
Monografien Departure (2007) und Reality Reset (2008) erschienen.
Die Temporäre Kunsthalle Berlin ist ein einmaliges Projekt:Auf dem Schlossplatz, im Zentrum der Hauptstadt, ist sie während ihrer zweijährigen Laufzeit (bis Herbst 2010, Verlängerung erscheint zur Zeit möglich) eine Bühne für zeitgenössische Bildende Kunst, die in Berlin entsteht.
Ausschließlich privat finanziert, unterstützt sie die bedeutende Szene internationaler Gegenwartskunst in Berlin als Produktionsort und Schaufenster. Die von Gastkuratoren verantworteten Ausstellungen werden durch lebendige Vermittlungsformate einem großen, internationalen Publikum zugänglich gemacht. Ein weites Veranstaltungsprogramm aus Talks, Podiumsdiskussionen, Videoscreenings und der Montags Bar machen den Bau von Adolf Krischanitz zum neuen Kulturtreffpunkt am Ufer der Spree. Die Temporäre Kunsthalle Berlin verhandelt mit ihrem Programm aktuelle Fragen unserer Zeit und lädt zur aktiven Teilnahme an kulturellen Diskussionen ein. Sie pflegt eine nationale wie internationale Vernetzung mit Kultur, Politik und Wirtschaft und wird von starken Partnern unterstützt.