Auch wir wagen einen Jahresrückblick

2009: Energieeffiziente Zeiten, Handwerker mit internationalem Renommee, ein paar neue Museen, jede Menge Alltagsarchitektur, ein neuer Minister, Finanzkrise mit Chancen, Abschiede …

Kurz vor Jahresende machen wir das, was andere längst schon taten, wir schauen zurück ins Jahr. Nicht, dass es in 2009 mehr zu entdecken gäbe als in allen anderen Jahren davor. Doch wer nicht auch einmal zurückschaut und sich der gerade erst Vergangene ins Gedächnis zurückruft, wie will der in der nächsten Zukunft offenen Auges überleben können?

„Menschen 2009“

„Menschen 2009“, diese Revue wollen wir hier nicht versuchen (und Platz für alle die, die hier unbedingt zu nennen wären, ist ohnehin nicht). Vielleicht erinnern an die, von denen wir uns verabschieden mussten, so zuletzt von Claude Vasconi, der nur 69-jährig vor wenigen Tagen, am 8. Dezember in Paris verstarb. Oder vom umtriebigen Hans-Busso von Busse, der am 7. November im Alter von 79 Jahren endgültig den Arbeitsplatz verlassen hat. Heinz Isler. Kurz vor seinem 83. Geburtstag starb der geniale Erfinder des Schalenbaus am 20. Juni in Bern. Ein Lebensjahr älter wurde Sverre Fehn. Der Norweger und Pritzkerpreisträger verstarb am 23. Februar in Oslo.

Jan Kaplicky, Gründer des Londoner Büros Future Systems, hätte vielleicht auch einst diesen international angesehenen und wichtigen Architekturpreis erhalten, doch bereits am 14. Januar starb der Erfinder einer eleganten wie futuristisch anmutenden Architektur in seiner Heimatstadt Prag im Alter von 71 Jahren. Hier hätte Kaplicky nach seinem Wettbewerbsgewinn 2007 das neue Gebäude der Tschechischen Nationalbibliothek realisieren sollen, das erste große Bauwerk Kaplickýs in seinem Heimatland und nach seinen Worten das wichtigste Ereignis in seinem Leben. Doch die Offiziellen lehnen den Entwurf bis heute ab, seine Realisierung erscheint mit Kaplickys Tod nicht wahrscheinlicher.

Nicht in der internationalen Liga angesiedelt wie der Vorhergenannte, dafür in der deutschen Architekturgeschichte mit festem Platz ist der – man darf es schreiben – Kölner Hans Schilling. Der Kirchenbaumeister wie auch Planer ganz profaner Bauten, Mitarbeiter bei Rudolf Schwarz und später u. a. Kollege von Peter Kulka verstarb am 19. Februar 87-jährig in Köln.

Gleichsam auf der anderen, also der betrachtenden Seite, standen ihr Leben lang der Schweizer Walter Zschokke und der Berliner Jonas (eigentlich: Johann Friedrich) Geist. Walter Zschokke, Architekt, Historiker, Kritiker, Juror, Kurator und Ausstellungsmacher, hat uns immer wieder die Stichworte in seinen zahlreichen Publikationen und Artikeln geliefert, die wir brauchen, um nicht bloß einäugig das Bauen und Weiterbauen anzuschauen. Zschokke starb am 5. Februar gerade mal 61-jährig in Wien.

Jonas Geist, Architekt, Stadtplaner, Architekturhistoriker und Autor, Lehrer an der Hochschule der Künste in Berlin und Nachfolger von Julius Posener als Professor für Geschichte, Theorie und Kritik der Architektur, hat zahllose Architekturstudenten und heute tätige Architekten in ihrer Wahrnehmung vom Zusammenhang des Inneren vom Äußeren beeinflusst. Geist, seit 1993 Mitglied der Berliner Akademie der Künste, starb in seiner Heimatstadt Lübeck am 6. Januar 2009 im Alter von 72 Jahren.

Eine ganz andere Sicht auf die gebauten Dinge hatte der Architekturfotograf und Autodidakt Julius Shulman. Sein Credo, Architektur so zu fotografieren, dass der Betrachter süchtig nach ihr werde, hat er in einem monumentalen Werk zur Amerikanischen Moderne umgesetzt. Der auch die deutsche Architekturfotografie und auch die Architektur selbst beeinflussende Kalifornier starb am 15. Juli in Los Angeles, nicht weit entfernt von einem ein ganzes Jahrhundert messenden Lebensalters.

Und heute erst erfahren: Elmar Schossig erlag am 15. Dezember seiner langjährigen Krankheit; diese Nachricht hat uns ganz besonders bestürzt, war Elmar Schossig doch über viele Jahr mit der Redaktion auch persönlich fest verbunden. Ein Nachruf hier unter "So, Planer, Architekten und Ingenieure".

Auszeichnungen

Auszeichnungen für gute Architekten gab es in 2009 zentnerweise, dass einen entweder ein Gefühl davon überkommt, Architektenauszeichnungen würden in inflationärer Weise entwertet, oder es beschleicht einen die Ahnung, Architektur würde tatsächlich anspruchsvoller, nachhaltiger, durchdachter, verantwortungsvoller etc. ausgedacht. Die eine große Auszeichnung allerdings, die jenseits von Preiskategorien oder Medaillenvergabe steht, diese große Auszeichnung für ein Lebenswerk ist der jährlich vergebene Pritzkerpreis. Den erhielt in diesem Jahr ein Schweizer Architekt, der sich selbst viel lieber als Handwerker sieht und wirklich irgendwie so dazwischen zu stehen scheint: Peter Zumthor aus Haldenstein wurde in 2009 die Ehrung zuteil, wie vor ihm schon anderen Großen im Architekturbusiness seit 1979.

Und dann gab es noch den Wechsel auf einem Ministerstuhl: Nach der Bundestagswahl im Herbst 2009 mussten wir uns von Minister Tiefensee und seinen Staatssekretären verabschieden; schade, wir hatten uns gerade an sie gewöhnt. Sein Nachfolger, der CSU-Mann Peter Ramsauer, hat die hundert Tage im Amt noch nicht voll, für eine Einschätzung seiner Arbeit reicht das also nicht. Wolfgang Tiefensee und seinem Team aber sagen wir von dieser Stelle ein herzliches: Adieu!

Finanzkrise und Energieeffizienz

2009 wird das Jahr Null der Energieeffizienz. Kaum eine Tagung, kaum eine Messe, kein Wettbewerb mehr, keine Produktbeschreibung, die ohne dieses Stichwort auskäme. Und ab Oktober ist die EnEV 2009 in Kraft getreten, Energieausweise müssen jetzt auch für ältere Immobilien ausgestellt werden, Zuwiderhandlungen werden mit saftigen Geldbußen geahndet. Geothermie, Wärmepumpen, Solar- oder Windenergie, die ganze Welt des Bauens sucht sich unter dem Druck der Finanzkrise als nachhaltig und damit vorbildlich agierend neu zu definieren. In keinem Jahr zuvor gab es für energetische Nachrüstung so viel öffentliches Geld wie in 2009, die so genannten Konjunkturpakete haben in Teilen der Baubranche für Stabilität, in anderen für (immerhin!) Stagnation gesorgt. Wie lange die belebende Wirkung dieser Milliarden-Injektionen in eine lahmende Wirtschaft anhalten wird? Und was kommt danach?

Neubauten

Der sicherlich meist diskutierte Neubau in Deutschland ist eigentlich gar keiner; oder doch? Gemeint ist das Neue Museum in Berlin, das mit Hilfe von Chipperfield Architects und Julian Harrap in eine Form gebracht wurde, die die Spuren seiner Geschichte reichlich lappidar präsentiert, sich elegant gibt, wo Eleganz gefordert ist, Neubau ist, wo nur Neubau möglich, Interpretation ist, wo Interpretation hilfreich oder schlicht nicht anders möglich war.

Wesentlich spektakulärer allerdings kommt das Porschemuseum in Stuttgart daher (Delugan_Meissl Associated Architects, Wien), dessen Konstruktion eine mindestes genau so große Herausforderung war, wie das Steuern der teils rasend schnellen Autos, die in ihm ausgestellt werden. Sicherlich nicht gewollt: Museum und Ausstellungsstücke stehen paradigmatisch und symbiotisch für den Endpunkt einer Entwicklung, welche reine Kunst für die eine Kunst ist, auf allerdings höchstem Niveau.

Gleichfalls überreizt scheint der Fassadenentwurf des Museums Brandhorst in München zu sein. Rund 36.000 bonbonbunte Keramikstäbe haben nicht nur manche Kritiker die Fassung verlieren lassen, auch von vereinzeltem Vandalismus wurde berichtet. Das alles aber tut der Qualität des Neubaus aus der Entwurfsschmiede sauerbruch + hutton, Berlin, keinen Abbruch, auch die Sammlung kann sich – in Teilen – durchaus sehen lassen.

Und noch ein Chipperfield wurde nach nur zwei Jahren Planungs- und Bauzeit in 2009 fertiggestellt: der Erweiterungsbau des Museums Folkwang in Essen, der dem Publikum allerdings erst im Januar seine Pforten öffnet.

Und weil Architektur mehr und mehr zum Vermarktungsfaktor der Städte geworden ist, haben sich aktuell sechs deutsche Museen entlang einer Linie Osnabrück-Berlin werblich zusammen geschlossen: das Felix-Nussbaum-Museum von Daniel Libeskind, die Bielefelder Kunstsammlung von Philip Johnson, das MARTa von Frank Gehry, das phaenon von Zaha Hadid, das Deutsche Historische Museum von Ioh Ming Pei und das Jüdische Museum Berlin, ebenfalls Libeskind, bieten Reisenden die Architektur ihrer Häuser über spezielle Führungen und zunächst einmal ganz schlicht über eine Broschüre mit Kurzporträts an.

Architekturwahrnehmung und: Schluss

Dass Architektur mehr und mehr ins Bewusstsein breiterer Bevölkerungsschichten eingesickert sei, lässt sich nicht belegen. Selbst die 150.000, die anlässlich des Tages der Architektur 2009 Villen, Schulen, Museen, Shoppingmals oder Denkmale besichtigten, könnten rein theoretisch alle Architekten und Architekturstudenten gewesen sein; ja, so viele Mitglieder dieses Berufsstandes sind in der Republik unterwegs. Wenn auch Sie dazu gehören: Belagern Sie die Redaktionen Ihrer regionalen Tageszeitung, denn es ist ja schon verwunderlich, wenn über die Kaninchenzüchter der Region auf Aufmacherseiten ausführlicher geschrieben wird, als über die Produkte einer Branche, deren Erträge über Wohl und Wehe dieser Republik entscheiden können. Und deren innovatives Potential die Wirtschaft nachhaltiger beeindruckt, als dass das die vielzitierte und völlig überbewertete Raumfahrt bisher geleistet hat oder wird machen können.

In diesem Sinne: 2010 wird nach dem Jahr der Effizienz das Jahr der Effektivität, denn die brauchen wir so langsam. Ach ja, und dann haben wir noch eine Weltmeisterschaft, ausgetragen in Südafrika. Nicht die, an die Sie jetzt denken, gemeint ist die WM des Hallen-Tauziehens in Kapstadt. Hier ziehen immerhin einmal alle an einem Strang, und wir wollen hoffen, dass endlich einmal die Intelligen gewinnen und nicht wie bisher immer nur die Starken. Ihnen allen das Beste für die kommenden Festtage und das neue Jahr, und bleiben Sie uns gewogen!

 

Ihre DBZ-Redaktion

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