Architektonisch determinierte Kalligrafie

Die Ölhafenbrücke von schneider+schumacher in Raunheim, am Main

Manchmal machen deutsche Bauvorschriften keinen rechten Sinn; insbesondere dann, wenn sie mit Sicherheitsauflagen gekoppelt werden, die einen rein verwaltungstechnischen Hintergrund haben. Dass solcherart fragwürdiges Behördenreglement aber durchaus zu architektonischen Sonderleistungen verleitet, zeigt aktuell die Ölhafenbrücke von schneider+schumacher, Frankfurt a. M., in Raunheim, am Main.

Hier sollte – endlich – der südliche Mainuferweg für Radler und Fußgänger durchgängig offen sein, die bisher sperrende und zu großem Umweg zwingende Hafeneinfahrt am Ölhafen der Fraport AG überbrückt werden. Damit ist der überregionale Radweg R3, der gleichzeitig Teil der Regionalparkroute und der Route der Industriekultur ist sowie die südliche Radwegeanbindung zwischen Mainz und Frankfurt darstellt, geschlossen.

Doch was so einfach klingt, war schnell mehr und komplexer. Der Bau am Flußufer wie auch in der Nähe hochentzündlicher Ware verlangte den Planern anderes ab als bloß einen guten Entwurf und angemessene Statik (Schüßler Plan). Zum einem war die Gründung (20 m tiefe Pfahlgründung) aufwändig, zum anderen gab es die oben schon skizzierten Sicherheitsauflagen: Keine brennende Zigarette darf die Abfüll- und Tankanlagen erreichen! Wenn man allerdings auf den Standort der Brücke schaut, Westwindzone dazu nimmt, Gewicht einer brennenden Zigarette kalkuliert, kriminelle Energie und wurfgestählte Arme misst, dann bleiben die Tanks und alles Entzündliche unerreichbar.

Doch warum eine Brücke planen, die hier jeder vielleicht geplant hätte? Die Sicherheitsauflagen ergaben am östlichen Ende eine Spirale mit 14 m Durchmesser, die die Brückennutzer schnell aus der Zone der Versuchung (oben) auf die Ebene gezügelter Vernunft (unten) herabschraubt. Die westlich anliegende, sanft wie weit geschwungene Rampe erhält zum Ölhafen hin eine steil geneigt Wand, die am höchsten Punkt drei Meter erreicht. Wer hier die möglichen Aufwinde für sein brennendes Flugobjekt nutzen möchte … aber nein, niemand wird das wollen. Der Blick zum baumgesäumten Main bleibt unverstellt.

Die weiße Konstruktion der neuen, ca. 170 m langen Ölhafenbrücke ist zweigeteilt: Während die Spirale eine Ortbetonkonstruktion darstellt, ist die tatsächliche, die Hafeneinfahrt überquerende Brücke eine Stahlkonstruktion. Diese, 70 m lang, nimmt auch die Längsschubkräfte auf.

Gekostet hat die Brücke knapp fünf Millionen Euro, die drei Gemeinden Raunheim, Rüsselsheim und Kelsterbach beteiligen sich mit je 600000 Euro, hinzu kommen die Regionalpark-Gesellschaft, der Bund, das Land und die Fraport Real Estate Mönchhof-Gesellschaft mit 350000 Euro.

Die Brücke sei wie „ein Band, das wie ein geschwungener Pinselstrich beide Seiten des Raunheimer Ölhafens verbindet“ (Michael Schumacher). Wenn man sich vor Augen hält, welches eng umrissene Format die Zeichenfläche hatte, die diesen Pinselstrich halten muss, kann man erahnen, wie exakt dieser Pinselschwung am Ende geführt werden musste; baurechtlich architektonisch determinierte Kalligrafie. Be. K.


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