All hands on deck

Rückblick auf 2008 und jede Menge anzupacken

Was ging es uns allen gut in 2008! Jedenfalls uns Medienarbeitern. Nicht denen, denen man vor Wochen und immer noch die Stühle vor die Tür stellte (Gruner + Jahr z. B.), sondern uns, den Architekturfachzeitschriftenredakteuren. Wir hatten zu berichten über jede Menge Wettbewerbe, jede Menge hervorragender Bauten, jede Menge Auszeichnungen hervorragender Kollegen. Und die wurden beispielsweise mit dem Bundesverdienstkreuz (Daniel Libeskind) oder dem Pritzker Prize (Jean Nouvel) geehrt.
 
Nötig hat solcherlei auch die Eitelkeit kitzelnder Dinge Andrea Palladio nicht, dessen 500. Geburtstag wir feiern konnten. Auf immerhin 100 Jahre brachte es die Turbinenhalle von Peter Behrens in Berlin, ein Alter, welches dem Milchhof in Nürnberg von Otto Ernst Schweizer nicht vergönnt war: Er wurde in 2008 abgerissen. Nicht abgerissen, aber von Architektenkollegenprotest verhindert wurde ein Brückenbauwerk des Brückenkünstlers Calatrava in Wien. Die in Direktvergabe zugesprochene Querung der Triester Straße scheiterte am Einspruch der Architektenkammer; nicht scheiterte Calatrava in Venedig, wo trotz Direktauftrag und massenhaftem Einspruch der Venezianer die vierte Brücke über den Canal Grande am 10. September eröffnet wurde. Ohne jede Feierlichkeit, einfach so.
 
Trauriges gab es auch zu berichten, von den bekanntesten der Bekannten verließen uns in 2008 der Münsteraner Architekt Harald Deilmann, der in Innsbruck geborene, in Mailand wirkende und dort gestorbene Ettore Sottsass, und in hohem Alter aber dennoch für unsterblich erachtet Jørn Utzon bei Kopenhagen. In Berlin trauerte man um Mark Braun, den meisten wohl bekannt durch den Umbau des Reichstagsgebäudes, bei dem er als Projektleiter arbeitete.
 
Kontroverse Debatten gab es zu vorolympischen Zeiten über Recht und Unrecht, Menschenrecht und Menschenunrecht in China im Zusammenhang mit der Olympiade 2008, die architektonisch allein über einen, vielleicht zwei Bauten in Erinnerung bleiben wird, Stichwort Bird’s Nest (ich kann es nicht mehr lesen!).
 
Die Expo in Saragossa geriet ein wenig ins Hintertreffen bei soviel Medien-Rummel zu den Ereignissen hinter der großen Mauer. Wenn überhaupt, konnte hier das Zaha Hadid-Brückenbauwerk für einen architektonischen Akzent stehen.
 
Im Herbst gab es dann die Architekturbiennale in Venedig, bei welcher die Beobachter sich wieder einmal fragen, was die Ausstellung uns allen gebracht hat, außer den Besuch der vielleicht schönsten Stadt der Welt. Bei einem anderen Venedig, hier bei uns im Norden, schauen wir uns geruhsam und in dem schönen Gefühl gefangen, es schon lange gewusst zu haben, an, wie ein Leuchtturmprojekt die Stromzähler zum Verglühen antreibt. Und in gleicher Weise entspannt darf man darauf warten, dass in Berlin ein ähnlich gestrickter Leuchtturm an der Rezession scheitern wird: Nicht der Umbau des ostheimeligen Opernhauses unter den Linden sondern der Neubau eines Schlosses, das viele haben wollen aber niemand weiß so recht, was damit machen.
 
So bleibt für 2009 zu hoffen, dass es noch besser kommen möge für unsere Leuchttürme überall da, die Wirtschaftszeichen stehen jedenfalls auf Sturm! All hands on deck, wir lesen uns in 2009! Be. K.

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