Das Modell und die Architektur

Das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt a. M. reflektiert über eine Jahrhundertbeziehung im Wandel. Von wernerjacob

Dass das titelgebende „Architekturmodell“ mehr sein kann als selbstrefentieller Nabel, zeigt eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum (DAM) Frankfurt a. M. Erdacht als materialisiertes Manifest papierfixierter Ideen, verkörpert die architektonische Miniatur über die Verdinglichung hinaus gleichsam einen Fingerabdruck ihres Erdenkers. Ist es eine transparente oder eine opake, eine steinerne oder hölzerne Vorstellung, mutet es eher filigran an, oder protzt es mit Bombast - das Modell als dreidimensionales Argument kreativer Köpfe ist zugleich Folie urbanistischer Projektionen, oder quasireligiöser Idealbilder. Zwischen „Werkzeug, Fetisch und Kleiner Utopie“ (der Untertitel der Schau) sind dieser architecture parlante en miniature immer auch kryptische Informationen sowie unausgesprochene Ideologien eingeschrieben.

Auf allen Etagen ihres jüngst generalsanierten Hauses blättern die Frankfurter Architektur-Schausteller auf, wie vielfältig verschieden sich die Modelllandschaft des 20. und 21. Jahrhunderts darstellt. Eingestimmt von fotografischen Anmutungen ältester Modelle der Renaissance wie Michelangelos begehbarer Kuppel des Petersdoms, werden den Besuchern 300 Modelle präsentiert, wovon 102 Exponate aus dem mit 1240 Inventarnummern weltweit in der Spitzengruppe spielenden DAM stammen, während zwei Drittel Leihgaben aus aller Welt sind. Beginnend in den Zwanziger Jahren - zuvor dominierte die Zeichnung als Arbeitswerkzeug - mäandert die Präsentation durch das Jahrhundert, ohne indes einem erkennbar Roten Faden zu folgen. Was, zugegeben, angesichts disparatester Motiv- wie Themenkonkurrenz selbst Ariadnes Trickkiste überfordert haben würde. So defiliert man durch einen Parcours bekannter wie neu zu entdeckender Replikas, die in der Zusammenschau das Kaleidoskop eines so wirren wie kühnen, soliden wie utopistischen, verrückten und zugleich aber auch drögen Kosmos‘ gebauter oder auch nur ersponnener Architekturen vorstellen.

Natürlich spielen da Mies van der Rohes Arbeiten eine bedeutende Rolle - sowohl die realisierten wie die Vision gebliebenen. Sein berühmter Entwurf für ein „Hochhaus am Friedrichsbahnhof in Berlin“ stand nicht nur am Anfang der hier behandelten Epoche, er ist auch eine Ikone für das von den Machern nicht ohne Augenzwinkern so genannte „Fotomodell“. Vergleichbar den originären Namensträgern werden nämlich à la Mies‘ 1922 publiziertem Berliner Glasmodell die fotografierten Modellhausmannequins verführerisch drapiert und perspektivisch überhöht, um Auftraggebern gleich wie dem Fachpublikum augenfällig überzeugende Entscheidungserleichterungen anzubieten. Daß Modell und allfällige Realität zuweilen miteinander fremdeln, spielt dann ja keine Rolle mehr: Wer gebaut hat, hat Recht.

Ein besonderes Schmankerl dieses Genres sind die 1922 erstmals präsentierten Gipsmodelle zur „Sternkirche“ von Otto Bartning. Die sind wohl verschollen, doch „erhellt“ der 50er-Jahre-Nachbau die ursprünglich an eigens gefertigten Modellsegmenten entstandenen intrikaten „Innenraum“-Fotos, deren exzellente (Kunst)-Lichtführung reale Räume evoziert - Paraphrasen eines nie gebauten Kirchenkuckucksheims, welches in der Fachwelt gleichwohl aufmerksam rezipiert wurde.

Wenngleich anfangs wie auch heute noch zumeist ein Hilfswerkzeug, Volumina, Massen und Proportionen eines Bauobjekts ebenso „begreifbar“ zu machen wie Materialien, Farben und Formen sichtbar, kann das Architekturmodell zudem auch Anreger sein, Lockvogel oder Argumentationshilfe für Bauherren, Stadtplaner und Bürgerforen. Und manchmal alles auf einmal, verdichtet zum gesellschaftlichen Manifest visionärer Utopien. Arata Isozaki, in einem früheren Aggregatzustand vom Stamme der Metabolisten, entwickelte 1962 für das bereits damals abzusehende hyperbolische Wachstum Tokios seinen formal wie material hybriden Stadtentwurf „Cluster in the Air“. Geschickt benutzt er Holz, den Baustoff historischer Bauten in Japan, sowohl als Material für sein gigantisches Metropoltheater wie er auch die wachsende Stadt tannenbaumgleich auf mehreren Ebenen metaphorisch in die Höhe wachsen läßt, wie es eben auch die Bäume in der lieben Natur tun - seht her, die Neue Stadt ist gewaltig, vergewaltigt aber nicht - Nachtigall.

Technikaffine erfahren, wie beispielsweise Frei Otto in Vorcomputerzeiten seine filigran-konvexen Dach-Drahtseilakte an konkav durchhängenden Drahtmodellen zur Baureife durchexerzierte, können dem Quadrate-Ungers zusehen, wenn er das Haus-im-Haus-Prinzip der von ihm zum Deutschen Architektur-Museum ertüchtigten Gründerzeitvilla anhand seines Steckmodells à la Russische Puppe vorführt, und eine besonders pfiffige Demonstration werbewirksamen Modellbaus bieten Rem Koolhaas/Matthias Sauerbruch mit ihrem Berliner „Haus am Checkpoint Charlie“. Eine scheinbar gewöhnliche Holzkiste kann schrittweise aufgeklappt werden, Straße vor dem Haus, Freiraum dahinter, das Gebäude selbst funktionsgerecht etagenweise auseinandergenommen - eine mechanische Variante des sogenannten „Röntgenmodells“, das durch die Außenhaut hindurch zu sehen erlaubt in das Innenleben hinter der gewöhnlich blickdichten Fassade.

Zunehmende Professionalisierung und Internationalisierung steigern den Wettbewerbsdruck, und die Ansprüche an das Modell als Repräsentationsmittel und Referenz. Unterhielt Mies van der Rohe noch eine ganze Stabsabteilung Modellbau, lagern viele Architekturbüros die Sparte aus, und es entwickelten sich bereits seit den Dreißigern eigenständige Modellbau-Manufakturen. Mit dem Aufwand nimmt allmählich auch die Raffinesse der nun nicht mehr nur „Replikas“ sondern vielmehr eigenständigen „Bauwerke“ mit eigener Haustechnik zu - Beleuchtung, Aufzüge, Klimatisierung; die ursprünglich dienenden Modelle emanzipieren sich vom Zweck, mutieren zu Kunst- und Kultobjekten, bekommen museale Weihen (aktuell eine Ausstellung von Peter-Zumthor-Modellen im Kunsthaus Bregenz, vom 23. Juni - 28. Oktober) und erobern mittlerweile gar den (Auktions)-Kunstmarkt.

 DAS ARCHITEKTURMODELL – Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie
25. Mai – 16. September 2012, 1.–3. OG
Eröffnung: Do, 24. Mai 2012, 19 Uhr

Das Architekturmodell, Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie, Hgg.: Peter Cachola Schmal, Oliver Elser, Verlag Scheidegger & Spiess, 360 S., 49,- € im Museumsshop

Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, Frankfurt a. Main

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