Sou Fujimoto. Futurospektive Architektur

Einmalig in Deutschland: Eine großartige Ausstellung in Bielefeld macht die Denkwelt des Sou Fujimoto handgreiflich gegenwärtig

Sou Fujimoto in Bielefeld. Mit einer großen Ausstellung. In der Kunsthalle. Ein Architekt, der gerade dabei ist die internationale Architekturszene zu beflügeln – und dabei hoffentlich nicht den Boden und die sympathische Verbindlichkeit verliert –, gibt der Stadt in Ostwestfalen die Ehre.

Der neue Chef der Kunsthalle, Friedrich Meschede, bezeichnet es selbst als einen Glücksfall, den jungen Architekten für die große Ausstellung gewonnen zu haben; die beiden kennen sich von Projekten aus dem vergangenen Jahr. Hätte er sich in diesem Jahr um Fujimoto bemüht, so der Direktor, hätte Sou nicht zusagen können; zu viel Architektenarbeit, die Auftragslage im Büro explodiert gerade (auf seiner offenbar gerade erst im Aufbau begriffenen Website sucht das Büro händeringend Architekten ... als aktuelles Großprojekt ist der Taiwan Tower zu nennen). Da erscheint es beinahe selbstverständlich, wenn Fujimoto und sein Team das Büro mit nach Deutschland, mit in den Philip-Johnson-Bau gebracht haben, hier wurden während der Aufbauphase die gerade gewonnenen Wettbwerbe für ihre Bearbeitung in Tokyo koordiniert.

Fujimotos Architekturansatz kommt aus der Tradition des klassischen japanischen Bauens und Wohnens, ihn interessieren nicht bloß Räume oder Kontexte, ihn interessieren die Schnittstellen, die Gemengelagen dazwischen. Innen und außen sind ihm keine Gegensätze, sie sind sich gegenseitig bedingende Bestandteile des Ganzen. Natürlich ist das sämtlich im Fluss, ohne scharfe Trennung, mit variblen Säumen, Grenzen … Fujimotos Architekturen arbeiten mit dem Raum wie mit Landschaft, deren Erscheinung und damit auch die Kommunikation mit ihr meist unscharf und also die dialogischen Möglichkeiten unendlich groß sind.

Neben einem Wald aus etwa 120 Modellen, Objekten und Materialien – die kleinen und großen, weißen und grünen, holzfarbenen und durchsichtigen Architekturskulpturen stehen auf Quadratstäben in einer Ebene – hat die Kunsthalle es geschafft, einen 1:1-Nachbau des so genannten „Final Wooden House“ im gerade fertiggestellten Park der Kunsthalle errichten zu können. Die Arbeit, eine Replik des Wochenendhauses im japanischen Kumamoto (2008) gilt als zentrales Werk Sujimotos, das dessen Ideen von Raum und vor allem seiner Aneignung handgreiflich erlebbar macht. Hier muss der Bewohner Raum erobern. Nichts wird als etwas Vordefiniertes angeboten, Raumzuschnitte, Raumverschnitte, Raumachsen und -höhen ermöglichen Wohnen: also Schlafen, Essen, Entspannen, Konzentrieren, Sprechen, Zuhören ... Zudem ergeben die sich aus der Raumfindung erzeugten Raumteile wie Stufen oder Auskragungen, Rücksprünge oder Einengungen die Möblierung: Tisch oder Stuhl, Bett oder Sofa. Oder eben Stufe oder Fensterbank, Schrank oder Geheimversteck. Raum als Landschaft, Raum als Wald, ein Topos, dem Sou Fujimoto in all seinen Arbeiten und immer drängender nachgeht.

Die Kunsthallenarchitektur von Philip Johnson, deren großartige Innen-Außen-Bezüge durch die Wiederöffnung der in der Vergangenheit teils verhängten Fenster wieder erlebbar werden, ließ den Architekten die ursprüngliche Planung der Modellesetzung noch einmal umwerfen. Jetzt korrespondieren seine in die Architektur eingefügten Grünlandschaften mit denen draußen. Hier, also auf Baumwipfelhöhe im kompletten ersten Obergeschoss, werden unter anderem Modelle des schon legendären „House NA“ gezeigt oder die 2010 fertiggestellte Bibliothek der Musashino Art University, die einzig aus Regalen besteht. Es gibt Modelle vom Final Wodden House, vom "M-Hospital Day Care Center" (2000), vom "Atelier House, Hokaido" (2005), oder auch vom "Aomori Prefectural Art Museum" (2000), mit welchem sich der damals 29jährige dem Jury-Vorsitzenden Toyo Ito ins Gedächtnis brannte; und er diesen in 2012 auf die Architektur-Biennale nach Venedig eingeladen hat.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Texten von Friedrich Meschede, Günther Küppers und Jörg Gleiter sowie Installationsansichten der Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld. Be. K.

Ausstellung

Sou Fujimoto. Futurospektive Architektur. Bis 2. September 2012. Kunsthalle Bielefeld, Artur-Ladebeck-Straße 5, 33602 Bielefeld, Di-So 11 bis 18 Uhr, Mi bis 21 Uhr, Sa 10 bis 18 Uhr, Tel.: 0521/32999500

Katalog

www.kunsthalle-bielefeld.de

www.sou-fujimoto.net

Am kommenden Sonntag, 3. Juni 2012, spricht Sou Fujimoto um 18 Uhr in der Kunsthalle. Dann ist der Mann erst wieder in Venedig, zur Biennale, in Europa zu sprechen. Hingehen!

Architektur als Wald; ein Text von S. Fujimoto zur Ausstellung in Bielefeld

Ich stelle mir die Architektur der Zukunft wie eine Art Wald vor.

Im Wald existieren ganz unterschiedliche Dinge nebeneinander und stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander, angefangen von ganz kleinen Dingen wie Blättern, Insekten oder Samen, bis hin zur Größenordnung von Mammutbäumen. Diese Vielfalt fasziniert mich. Der Reichtum, der aus der Beziehung zwischen Ordnung und Chaos entsteht. Wenn es uns also gelingt, eine Architektur in der Art eines Waldes zu schaffen, wird sie die Bisherige Architektur und die bisherigen Städte an Komplexität und Vielfalt übertreffen. Auch der Mensch wird ein organischer Teil dieser Vielfalt sein.

Die verschiedenen hier ausstellten Projekte sind Versuche, eine neue, bislang unbekannte natürliche/künstliche Umwelt zu schaffen, wie den dreidimensionalen Wald, den geometrischen Wald oder den städtischen Wald. Es handelt sich sowohl um realisierte Projekte als auch um konzeptionelle Versuche und derzeit laufende Planungen. Sie reichen von ganz kleinen Gebäuden bis zu riesigen Bauwerken von mehreren 100 m Höhe oder Stadtanlagen.

Die hier präsentierte Architektur als Wald ist die Natur der Zukunft, die Architektur der Zukunft.

Ausgehend vom realen Wald wirft sie ein Licht auf die Architektur der Zukunft.

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