Teures Betongold

Fachkräftemangel, Ukrainekrieg, Klimakrise – wie in allen Teilen der Gesellschaft ist die angespannte Weltlage auch in der Bauwirtschaft deutlich zu spüren. Vor allem aber die Baustoffpreise kennen seit geraumer Zeit nur noch eine Richtung: aufwärts. Wir sprachen mit Dr. Matthias Frederichs, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden (bbs) über die ­aktuellen Verwerfungen am Markt, Wege aus der Krise und wie künftige Entwicklungen auch das Klima entlasten können.

Dr. Matthias Frederichs, Hauptgeschäftsführer beim
Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden (BBS)
www.baustoffindustrie.de
Foto: BBS
Dr. Matthias Frederichs, Hauptgeschäftsführer beim
Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden (BBS)
www.baustoffindustrie.de
Foto: BBS

Herr Frederichs, die Bau- und Immobilienwirtschaft allein, so rechnete die Uno vor zwei Jahren vor, sind für 38 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Brauchen wir einen sofortigen Baustopp?

Die Emissionen im Bau- und Gebäudesektor müssen schnell und effizient reduziert werden, ohne dabei die soziale Dimension zu vernachlässigen. Wenn nicht gebaut wird, gestaltet sich das Schaffen von bezahlbarem Wohnraum ebenso unmöglich wie die Instandhaltung unserer Infrastruktur. Zudem würde nicht saniert werden können, obwohl ein Großteil der Bau und Gebäudeemissio­nen aus der Betriebsphase stammt. Mehr Energieeffizienz im Gebäudebestand ist ein zentraler Faktor zum Erreichen der Klimaziele. Anstelle eines sofortigen Baustopps müssen wir daran arbeiten, dass Wohnen und Bauen generell noch nachhaltiger wird.

Nun hat die Preisentwicklung in den vergangenen Jahren gezeigt: Kommt es nicht bald zur Trendumkehr, werden weite Teile der Gesellschaft ohnehin nicht mehr in der Lage sein, sich ein Häuschen zu bauen. Und auch die öffentliche Hand sowie die Immobilienwirtschaft tut sich zunehmend schwer, neue Projekte zu finanzieren. Welche Effekte sind aus Ihrer Sicht in der Baustoffindustrie derzeit die größten Preistreiber?

Grundsätzlich gilt zu beachten, dass der Anteil der Baustoffe an den gesamten Bauinvestitionen im Durchschnitt bei rund 10  % liegt, wobei dieser Wert natürlich je nach Bauvorhaben variieren kann. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette sind die Kosten im Zuge der Inflation massiv angestiegen. Während in der Post-Lockdown-Phase einige Baustoffe wie Holz oder Stahl von erheblichen Preissteigerungen betroffen waren, konnten die Baustoff-Steine-Erden-Produkte dank regionaler Wertschöpfungsketten dieser Entwicklung weitgehend trotzen. Der große Preistreiber sind momentan die hohen Energiepreise. Bei über 10-fachen Börsenpreisen für Strom und Gas gegenüber dem Vorkrisenniveau sind Preiseffekte leider unvermeidbar.

Auf welche Baustoffe schlagen sich diese Effekte besonders nieder?

Die Effekte schwanken extrem. So ist beispielsweise die keramische Industrie stark von der neuen Erdgasbeschaffungsumlage ab Oktober ­betroffen, da – relativ betrachtet – viel Erdgas in der Produktion eingesetzt wird. In der Zement­herstellung hingegen kommt verhältnismäßig wenig Erdgas zum Einsatz, hier wiederum greift der starke Anstieg beim Strompreis sofort durch. Dies wirkt sich auch auf die Herstellung von Beton aus. Aber selbstverständlich sind nicht nur Baustoffe-Steine-Erden-Produkte von der Entwicklung betroffen – wie bereits erwähnt erleben wir aktuell bei Holz und Stahl aber auch Bitumen und Glas enorme Preiseffekte. Insofern ist der Bau in seiner ganzen Breite betroffen.

Und was müssen Wirtschaft und Politik tun, um die Preisschraube zurückzudrehen?

Die beste Lösung lautet schnellstmöglich ausreichend bezahlbare Energie zur Verfügung zu stellen, etwa durch eine Deckelung der Strom- und Gaskosten. Nur dann sind wettbewerbsfähige Produktionsbedingungen kurz- und mittelfristig möglich. Erste Produktionsstopps in unserer Industrie zeigen bereits, dass die Belastungsgrenze erreicht ist. Die laufende Energieproblematik lässt sich leider nicht über Nacht lösen, allerdings wäre es wichtig, sämtliche Alternativen zur Verstromung von Erdgas maximal auszureizen, um die Kosten zumindest ansatzweise zu senken. Bei allen Alternativen, also Erneuerbare, Kohle und Kernkraft ist noch Luft nach oben, leider wird hier wertvolle Zeit vergeudet. Die von der Politik vorgelegten Maßnahmen im dritten Entlastungspaket reichen aus industrieller Sicht nicht aus. Hier sind zwar einige Absichtserklärungen zu potenziellen Förderprogrammen und Expertenkommissionen enthalten. Was aber fehlt, sind kurzfristige und vor allem spürbare Entlastungen für die industrielle Basis. Die aktuelle Lage zeigt außerdem das Risiko der Importabhängigkeit von nur wenigen Lieferanten. Damit ist auch die Bedeutung der heimischen Rohstoffgewinnung wieder stärker in den Fokus gerückt. Hier blockieren langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren häufig über Jahre den Zugang. Der teilweise zu beobachtende Mangel an Rohstoffen wie Kies und Sand ist in Deutschland hausgemacht. In der Praxis ist es mittlerweile die Regel, dass zum Gutachten dann noch ein Obergutachten benötigt wird und selbst dann trauen sich die Behörden häufig nicht zu, eine Entscheidung zu treffen. Hier müssen Gesetzgeber und Exekutive deutlich mutiger werden. Das LNG-Beschleunigungsgesetz hat gezeigt, wie Verfahren schnell und unbürokratisch umgesetzt werden können.

Das Budget, mit dem heute geplant wird, bildet schon nach wenigen Monaten nicht mehr die Lage am Baustoffmarkt ab. Verzögerun­gen führen so oft zu unkalkulierbaren finanziellen Risiken. Welche Empfehlungen haben Sie für Investor:innen, Planer:innen und Architekt:innen, um sich selbst und ihre Auftraggeber:innen vor einer Kostenexplo­sion zu schützen?

Leider gibt es kein Rezept gegen die bestehende Preisvolatilität und auch bei Zukunftseinschätzungen sollte eher Zurückhaltung geübt werden. Wir beobachten bereits eine gewisse Vorsicht am Markt, das bedeutet, dass bei genehmigten Bauprojekten die Realisierung verzögert wird. Auch Projektstornierungen nehmen zu. Grundsätzlich wird empfohlen, bei Bauvorhaben entsprechende Preispuffer in der Kalkulation zu berücksichtigen. Zentral bleibt allerdings die Frage, wie wir die Kosten wieder runterbekommen. Neben den Energiepreisen gibt es weitere Kostentreiber am Bau, die es anzugehen gilt, etwa bei der Baulandvergabe oder der Grunderwerbssteuer.

Auf der anderen Seite sinkt bereits die Zahl der Bauanträge – könnte das mittelfristig auch wieder zu einem Sinken der Preise aufgrund mangelnder Nachfrage führen?

Unsere Zahlen belegen leider in der Tat, dass die Baukonjunktur im nächsten Jahr einbrechen könnte. Private Investitionen gehen stark zurück und die öffentliche Hand bekommt real weniger raus für die im Haushalt bewilligten Mittel. Die aktuelle Preisentwicklung am Bau ist jedoch nicht durch die hohe Nachfrage, sondern durch die explodierenden Produktionskosten bedingt. Dementsprechend ist eine Normalisierung der Baupreise erst zu erwarten, wenn der Anstieg der Energiepreise gestoppt ist. Zudem ist zu berücksichtigen: Sollte es im Zuge der Erdgasknappheit oder der steigenden Energiekosten vermehrt zu Produktionsstillegungen kommen, sinkt nicht nur die Nachfrage, sondern auch das Angebot.

Neben der reinen Kostenfrage treibt alle am Bau beteiligten derzeit die Frage nach der Klimabilanz von Gebäuden um. Wie sehen Sie die Baustoffwirtschaft derzeit aufgestellt, um ihren Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise zu leisten?

Die einzelnen Sektoren der Baustoff-Steine-­Erden-Industrie haben bereits seit den 1990er- Jahren bis zu 45 % der energiebedingten CO2-Emissionen reduziert und jüngst in enger Abstimmung mit renommierten Experten Roadmaps für eine klimaneutrale Produktion erarbeitet. Die Unternehmen stehen bereit, um den Wechsel von fossilen Brennstoffen hin zu klimaneutralen Energieträgern umzusetzen. Für diesen Schritt wird neben ausreichend bezahlbarem grünem Strom vor allem Was­serstoff benötigt. Neben energiebedingten ­CO2-Emissionen bilden in einigen Steine-Erden-Branchen die prozessbedingten Emissionen die größte Herausforderung. Dabei handelt es sich vor allem um chemisch gebundenes CO2, beispielsweise im Rohstoff Kalkstein, welches bei der Verarbeitung freigesetzt wird. Klimaneutralität lässt sich hier ohne CO2-Abscheidung, Nutzung und Speicherung (CCU/CCS) nicht erreichen. Um es kurzzumachen: Die Baustoffindustrie ist gut aufgestellt, die nächs­ten Schritte müssen jetzt im engen Schulterschluss mit der Politik erfolgen.

Bemängelt wird häufig die fehlende Innovationsfreude in der Branche. Viele Materialien, mit denen wir heute bauen, haben sich über viele Jahrzehnte kaum verändert – auch wenn es vereinzelt erste Hightech-Produkte am Markt gibt. Breitenwirksam werden sie – oft auch auf Grund der hohen Kosten – nicht. Wie setzt sich die Branche dafür ein, um die Trendumkehr zu schaffen?

Bezüglich einer fehlenden Innovationsfreude möchte ich klar widersprechen – ganz im Gegenteil. Die Unternehmen der Baustoffindustrie produzieren, teilweise seit über 200 Jahren, so erfolgreich, weil sie stets auf Fortschritt und Innovation gesetzt haben. Industrialisierung, Digitalisierung und nun Dekarbonisierung – bei jedem dieser Themen geht die Branche mit gutem Beispiel voran. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass am Ende der Markt bzw. der Kunde entscheidet, welche Produkte gekauft werden. Aus diesem Grunde brauchen wir, etwa mit Blick auf das Thema Kreislaufwirtschaft im Bausektor, klare Anreize seitens der öffentlichen Hand.

Baustoffhersteller von Zement, Ziegel oder auch Beton spüren zunehmend den Druck aus dem boomenden Holzbau. Themen wie Modulbau und Rückbaubarkeit lassen sich mit dieser Konstruktionsweise oft wesentlich leichter umsetzen. Wie sehen Sie die Steine-Erden-Industrie gerüstet, um den Planer:innen vergleichbar günstige, effiziente und nachhaltige Produkte für eine zukunftsfähige Bauweise zu bieten?

Vergleichen wir Baustoffe nach Wärmeeffizienz, Preisniveau oder Langlebigkeit, brauchen sich Steine-Erden-Baustoffe weder heute noch zukünftig verstecken. Allerdings sind diese Vergleichsdebatten, die schon in Forderungen nach Quoten oder einseitiger Förderung ge­endet sind, angesichts der großen Herausforderungen im Bausektor kontraproduktiv. Aus unserer Sicht sollte Nachhaltigkeit im Bausektor ohnehin nicht am Produkt, sondern am Gebäude als Ganzes festgemacht werden. Ein klimaneutraler Gebäudesektor kann als Ziel nur erreicht werden, wenn für jedes Gebäude die individuell beste Lösung gefunden wird. Einseitige Förderung oder baustoffbezogene Regulatorik könnten niemals alle relevanten Indikatoren wie etwa Verfügbarkeit, Einfluss auf Biodiversität oder Kreislauffähigkeit vollumfassend berücksichtigen. Für die Baustoffindus­trie stehen Marktwirtschaft und Technologieoffenheit daher an erster Stelle.

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