Mit Grubenwasser das Klima retten?

In Essen, auf dem Gelände der Zeche Zollverein, hatte man es schon mal und dann sehr spektakulär probiert: Zur Klimatisierung des heute noch so genannten SANAA-Gebäudes, damals ein Haus für eine private Universität, entworfen von ­SANAA, Tokio/J, und fertiggestellt 2006, überraschte der von Fenstern durchlöcherte, Beinahe­kubus mit Wandstärken von 25 cm. Monolithisch, ohne Vorhangfassade oder innenliegender Dämmung, von Farbe oder Putz ganz zu schweigen. Der Bau  ist brût, secco, brutal konsequent.

Das konnte so gemacht werden, weil die Stadt etwas Schönes machen wollte auf Zeche Zollverein, vor allem aber auch, weil das Haus auf warmem Grubenwasser steht, das sich in der weitverzweigten Schachtanlage nach Abstellen der Pumpen angesammelt hatte. Dieses Wärmepotenzial sollte über eine Wärmepumpe angezapft werden, die ihre Leistung in das in die Ortbetonwände eingegossene, insgesamt 3 000 m lange Schlauchleitungssystem einspeist. Ideale Bedingungen für eine kostenneutrale Gebäudeklimatisierung; das Grubenwasser hat annähernd eine Temperatur von 30 °C. Aber so richtig funktioniert hat es nicht, die Energiekosten sind recht hoch, die ausstehenden Sanierungskosten dieses prototypischen Baus auch und dann kam noch das Aus für das Anzapfen: Die Renaturierung der naheliegenden Emscher erlaubte ein Abpumpen nur noch bis 2020, dann war Schluss.

Was alles die östlich gelegene Stadt Bochum, nur wenige Kilometer entfernt, nicht daran hinderte, ebenfalls auf diese einfache Art der Gebäudeklimatisierung zu setzen, sie allerdings hat gleich ein ganzes Areal im Blick. Das Quartier ist das ehemalige Opel-Werk im Südosten der Stadt, 68 ha Vermarktungsfläche für Kaufinteressenten im so wunderbar kryptisch genannten „Inno­vationsquartier MARK 51°7“ (Planung: Architekturbüro aib, Duisburg, mit der niederländischen Volantis Groep). Und weil Automobil und Bergbau nicht mehr sind, ist „Wissen Bochums Ressource No. 1“ (so Bochum): auf MARK 51°7 sind bereits oder kommen noch technologieorientierte Unternehmen sowie Institute und ­Forschungseinrichtungen, „die einen engen Kontakt zur Wirtschaft suchen“, so die stadt­eigene, entwicklungs- und ­mak­lerisch aktive Gesellschaft „Bochum Perspektive GmbH“. Wie das alles ­finanziert wird, wer sich um die Sanierung des belasteten Geländes kümmern muss etc. bleibt hier außen vor, wir schauen auf das schon angesprochene Energiekonzept.

Um das Energiepotenzial des Grubenwassers für eine kombinierte Wärme- und Kälteversorgung nutzbar zu machen, gab es schon im Oktober die erste Bohrung. Beteiligt an diesen Arbeiten wie dem Gesamtkonzept ist die ebenfalls stadteigene FUW GmbH, in Zusammenarbeit mit der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG. Angezapft wird Grubenwasser der ehemaligen Zeche Dannenbaum, deren Schächte („Hugo“ und „Schiller“) unter MARK 51°7 liegen. Für die Wärmeversorgung soll das in etwa 800 m Tiefe rund 28 °C warme Wasser gefördert und über Wärmepumpen auf ca. 45 °C erwärmt und anschließend in das Netz abgegeben werden. Für die Kälteversorgung der entstehenden Immobilien wird Grubenwasser aus einer Tiefe von etwa 330 m genutzt (ca. 18 °C). Das natürliche Energiepotenzial des Grubenwassers wird, den Betreibern zufolge, mehr als 75 % des Wärme- und Kältebedarfs der angeschlossenen Abnehmer decken. Der verbleibende Wärmebedarf wird aus dem Fernwärmenetz der FUW GmbH gedeckt. Kältemengen, die an heißen Tagen zusätzlich erforderlich sind, werden über konventionelle Kälteanlagen an das Kältenetz von MARK 51°7 übergeben.

Auf Grundlage der positiven Messergebnisse starten die vorbereitenden Arbeiten zur Errichtung der Energiezentrale Ost. Dort soll die im Grubenwasser enthaltene Wärme- und Kälteenergie mit Wärmepumpen auf das Temperaturniveau gebracht werden, das für die Versorgung der Kunden erforderlich ist. Die Grubenwasser-Beheizung soll nach Betreibern etwa 3 200 t CO2/a einsparen. Der Aufbau der Wärme- und Kälteversorgung für MARK 51°7 wird aus Mitteln des EU-Interreg-Programms North-West Europe und des BMWi-Förderprogramms „Wärmenetze 4.0“ unterstützt. Das nennt man wohl nachhaltige Entwicklungshilfe im Restrukturierungsprozess Ruhrpott. Vielleicht sollte man aber auch schreiben, dass neben dem Erhalt/Umbau von Bauteilen des Opel-Werks aus den frühen 1960er-Jahren Abrisse stattfanden und viele, großvolumige Neubauten auf dem ­Areal ihren Platz finden werden. Inwieweit das die 3 200 t CO2/a-Ersparnis neutralisiert, wäre auszurechnen. Wir bleiben dran. Be. K.

www.mark51-7.de, www.aibonline.de
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