Der Preis der Krise

Material und Arbeitskraft am Bau unterliegen derzeit einer kräftigen Preisentwicklung, die manch einem Bauunternehmen schwer zu schaffen macht. Nun kommt es darauf an, ­bestehende Verträge auf mögliche Preisanpassungen zu prüfen – und künftige Verträge krisensicher zu formulieren

Nach einer Materialknappheit holt die deutschen Baustellen nun eine erhebliche Preissteigerung bedingt u. a. durch steigende Inflationsraten ein. Nicht nur die Preise für Materialien steigen erheblich an, sondern auch die Löhne der am Bau Beteiligten. Für Auftragnehmer in laufenden Verträgen wird es nun ggf. schwierig, die eigenen Kalkulationsziele zu erreichen, viele Verträge werden gar defizitär. Wie man mit diesem Szenario auf Auftraggeber- und Auftragnehmerseite umgehen kann, soll dieser Artikel kurz beleuchten. Dabei wird in zwei Szenarien getrennt. Szenario 1 beschreibt bereits abgeschlossene Verträge, Szenario 2 die zukünftigen Verträge.

1. Bestehende Verträge und der Grundsatz „pacta sund servanda“

Bei bestehenden Verträgen gilt der Grundsatz „pacta sund servanda“ - Verträge sind einzuhalten. Es kommt maßgeblich darauf an, ob die Regelungen des Vertrages bzw. deren Auslegung es hergeben, vereinbarte Preise bzw. Honorare nachträglich anzupassen. Ein Beispiel hierfür sind Preisgleit- bzw. Werterhaltungsklauseln, die konkret auf einen Anstieg von Preisen bei Materialien oder eine steigende Inflation reagieren sollen. Üblich sind auch Force-Majeure-Klauseln, die ein Rücktrittsrecht oder einen Anpassungsanspruch bei höherer Gewalt einräumen. Sind solche Regelungen im Vertrag vorhanden, sind zunächst allein diese für eine Vertragsanpassung heranzuziehen. Dies gilt natürlich auch für die Verträge, die keine Anpassungsklauseln enthalten. Die Verträge sind auch in diesem Fall auszulegen und der wirkliche Wille der Erklärung zu erforschen, anstatt allein am buchstäblichen Sinne des Wortlauts festzuhalten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu entschieden, dass völlig ungewöhnliche und von keiner Seite aus zu erwartende Leistungen nicht geschuldet seien. Dem Auftragnehmer dürfe kein unzulässiges Wagnis aufgebürdet werden. Dagegen stehen allerdings ebenfalls Entscheidungen des BGH, wonach bei einem Pauschalpreisvertrag, der von einem detaillierten Leistungsverzeichnis ausgeht, keine Vertragslücke vorliege, wenn später Preissteigerungen bei Baustoffen auftreten. Die Parteien hätten sich über das detaillierte Leistungsverzeichnis umfassend über den Umfang und den Preis der Leistungen geeinigt und abschließend zur Vereinfachung einen Pauschalpreis gebildet. Daran seien die Parteien gebunden.

1.1 Unmöglichkeit der Leistungserbringung

Für die von einer Preisteuerung oder Inflation betroffene Vertragspartei wäre dann, wenn eine Anpassung durch Vertragsregelungen oder Aus­legung scheitert, an die Unmöglichkeit der Leistungserbringung gemäß § 275 BGB zu denken (Leistungsverweigerungsrecht). Fälle einer sog. „wirtschaftlichen Unmöglichkeit“ oder „Unerschwinglichkeit der Vertragsdurchführung“ sind hiervon nicht erfasst, auch wenn § 275 Abs. 2 Nr. 1 BGB sich zunächst so lesen mag. Hierauf kann sich ein Auftragnehmer also grundsätzlich nicht berufen.

1.2 Störung der Geschäftsgrundlage

Dem Grundsatz „pacta sund servanda“ steht aber der gesetzliche Anspruch auf Vertragsanpassung oder Vertragsaufhebung nach der Störung der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB gegenüber. Dieser Anspruch soll das Äquivalenzverhältnis von Leis­tung und Gegenleistung wahren. Die Parteien müssen sich demnach an das von ihnen getroffene Äquivalenzverhältnis, also dem Wert und Gegenwert der geschuldeten Leistung und Gegenleistung gebunden halten. Kommt dieses Äquivalenzverhältnis aus dem „Gleichgewicht“, greift unter Umständen ein Vertragsanpassungs- bzw. Vertragsauflösungsanspruch. Diese Regelungen greifen vereinfacht gesagt, wenn sich die Geschäftsgrundlage nach Vertragsschluss unvorhersehbar verändert hat und es der einen Vertragsseite nicht länger zumutbar ist, an dem Vertrag weiter gebunden zu sein. Was sich durchaus einfach und fair anhört, ist in der Praxis aber eine absolute Ausnahmevorschrift, deren Voraussetzungen streng geprüft werden und von den Gerichten nur mit größter Zurückhaltung angewandt werden.

Geschäftsgrundlage ist immer das Äquivalenzverhältnis der Leistung (z. B. Erbringung von Bau- oder Planleistungen) und Gegenleistung (Zahlung des vereinbarten Werklohns bzw. Honorars). Bei einer unvorhersehbaren erheblichen Preissteigerung bei Baumaterialien oder Löhnen in Folgen von z. B. Materialmangellagen oder Inflationsgeschehen, kann das Äquivalenzverhältnis schnell betroffen sein. Die entscheidende Frage in der Praxis ist aber regelmäßig, ob es der einen Partei noch zuzumuten ist, am unveränderten Vertrag gebunden zu sein. Es gibt z. B. eine Entscheidung des BGH, wonach auch bei einer Preissteigerung von 6 000 % (!) bei Heizöl im Zuge der Ölkrise kein Anpassungsanspruch des Heizöllieferanten bestand, da dieser sich vorher mit einer seinen Vertragspflichten entsprechenden Menge an Öl hätte bevorraten können. Der BGH sieht es demnach als ein vermeidbares Risiko des Unternehmers, sich vor künftigen Preisteuerungen durch Lagerhaltung zu schützen. Dies wurde gerade auch bei anderen volatilen Märkten, in denen naturgemäß mit Preisschwankungen gerechnet werden müsse, als ein Unternehmerrisiko angesehen, der grundsätzlich ein Anpassungsanspruch ausschließt. Ob diese Entscheidung – insbesondere mit Blick auf die Bauwirtschaft – sachgemäß ist, kann dahingestellt bleiben. Es löst auch nicht das Problem von notwendigen Lohnsteigerungen der am Bau Beteiligten infolge von Inflationsgeschehen.

In der Corona-Krise hat der BGH die Voraussetzungen für einen Vertragsanpassungsanspruch weiter konkretisiert. Demnach darf ein Anpassungsanspruch nicht zu einer Überkompensation entstandener Verluste führen. Staatliche Leistungen müssen bei der Unzumutbarkeit mitberücksichtigt werden, die Interessen beider Vertragsparteien sind abzuwägen und die Zumutbarkeit ist anhand einer Einzelfallabwägung aller relevanten Umstände vorzunehmen. Wichtig hierbei ist immer auch der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. War zu diesem Zeitpunkt eine Preissteigerung oder Inflation für die Parteien vorhersehbar, könne sich eine Partei nicht mehr auf einen gesetzlichen Anpassungsanspruch berufen. Dies gilt grundsätzlich z. B. für Verträge, die nach Bekanntwerden der Corona-Pandemie oder des Kriegsbeginns in der Ukraine geschlossen wurden, in deren Folge eine Preisteuerung erfolgte. Ein Anpassungsanspruch mit Erfolg durchzusetzen, wird dann deutlich erschwert.

1.3 Zwischenfazit

Bei bestehenden Verträgen besteht bei Fehlen konkreter (wirksamer) Anpassungsklauseln für beide Vertragsparteien eine enorme rechtliche Unsicherheit, deren rechtliche Klärung möglichst nicht vor Gericht geschehen sollte. Vielmehr sollten sich die Vertragspartner in diesen Fällen an den „Verhandlungstisch“ setzen und eine für beide Seiten faire Lösung finden, die das bisherige Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung angemessen berücksichtigt.

2. Zukünftige Verträge

In zukünftigen Verträgen sollten schon allein aufgrund der Kenntnis von der Corona-Situation, der bekannten Knappheit von Baumaterialien sowie den Auswirkungen des Ukrainekrieges Regelungen zur Anpassung der Preise, des Werklohns bzw. Honorars oder auch schlichtweg der Ausführungszeit aufgenommen werden. Für vorhersehbare Risiken wird es nur äußerst schwer bzw. ist es ausgeschlossen, eine Vertragsanpassung über die Störung der Geschäftsgrundlage durchzusetzen. Die üblichsten Regelungen sind Preisanpassungsklauseln oder Force-Majeure-Klauseln.

2.1 Preisanpassungsklauseln

Preisanpassungsklauseln sollen dem jeweiligen Vertragspartner ein Recht auf Anpassung seiner angebotenen Preise geben. Eine solche Klausel in den Verträgen von Unternehmern stellt im Zweifel aber eine Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) dar, die auch bei Verträgen im B2B-Bereich einer Klauselkontrolle unterliegen. Im schlimmsten Fall stellt ein Gericht die Unwirksamkeit der Klausel fest, mit der Folge, dass sich nicht auf eine Preisänderung berufen werden kann. Der BGH hat für Preisanpassungsklauseln Mindestanforderungen festgelegt. Die Preisanpassung muss an konkrete nachvollziehbare und dem Vertragspartner bekannte Preiselemente gekoppelt sein. Es muss ein Ausgleich zwischen ansteigenden und absteigenden Preiselementen erfolgen (Saldierung), sodass keine preisliche Besserstellung eintreten kann. Das Äquivalenzverhältnis muss gewahrt bleiben. Schließlich muss dem Vertragspartner die Chance eingeräumt werden, sich bei einem Preisanpassungsanspruch vom Vertrag lösen zu können.

2.2 Force-Majeure-Klauseln (Höhere Gewalt)

Auch der Versuch, die Preise oder Honorare über eine Force-Majeure-Klausel (Höhere Gewalt) im Vertrag anzupassen, unterliegt bestimmten Voraussetzungen. Solche Klauseln müssen, um Wirksamkeit zu entfalten – ohne dass eine Partei dabei benachteiligt wird ‑ transparent und konkret formuliert werden. Dabei sollte der konkrete Anwendungsfall in der Klausel beschrieben sein. So sollten z. B. Preissteigerungen durch Kriegsgeschehen explizit genannt werden. Preissteigerungen oder auch allgemeines Inflationsgeschehen stellen allein keinen Fall von Höherer Gewalt dar und sind immer nur mittelbare Folge einer Höheren Gewalt, wie z. B. eines Krieges. Anders kann dies allerdings bei einer Hyperinflation sein, die aber aktuell nicht gegeben ist.

2.3 Zwischenfazit

Bei der vertraglichen Gestaltung muss streng auf die bekannten Maßstäbe zu AGB geachtet werden. Anderenfalls ist das Risiko groß, dass sich eine Partei mit Erfolg auf die Unwirksamkeit einer solchen Klausel beruft.

3. Fazit

Ob bestehende oder zukünftige Verträge: Den Vertragsparteien ist geraten, in Szenarien, in denen Preise und Löhne unvorhergesehen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Vertragspartei ernstlich betreffen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Entweder durch Nachtragsverhandlungen oder gleich durch die Aufnahme entsprechend fair ausgestalteter Änderungsklauseln. Kein Vertragspartner kann etwas davon haben, einen „guten“ Preis ausgehandelt zu haben, unter dem der andere Vertragspartner unmöglich eine qualitativ angemessene Leistung erbringen kann und ggf. sogar in die Insolvenz gehen muss.

Die Nutzung der männlichen Form in Fällen der Allgemeingültigkeit dient ausschließlich der Lesbarkeit juristischer Texte.

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