WELTRAUMBAUTEN

Zukunft (über)all

Man kommt beim Thema „Zukunft“ einfach nicht am Weltall vorbei. Seitdem wir diesen unendlichen Möglichkeitsraum entdeckt haben, denken spezialisierte Architekten über die Gestaltung neuer Orte im All nach. Auch, weil es auf der Erde gerade nicht rund läuft?

Wenn wir gefragt werden, was wir beruflich machen und wir uns dann als Weltraum-ArchitektInnen vorstellen, sind die meisten Leute zuerst ziemlich erstaunt darüber, dass es so etwas überhaupt gibt. Wahrscheinlich haben die meisten Menschen eine ungefähre Vorstellung davon, was ArchitektInnen machen. Sie organisieren und gestalten die Räume, in denen wir uns alltäglich bewegen. Ihr wichtigstes Werkzeug dabei ist ihre Vorstellungskraft, nicht nur hinsichtlich der ästhetischen Eigenschaften der Objekte, die sie entwerfen, sondern auch der zu erwartenden Abläufe innerhalb und um ein Gebäude sowie deren gesellschaftlicher Implikationen. Aber vor allem sind es die Bedürfnisse, Gewohnheiten und Vorlieben jener Menschen, die es benutzen werden, welche bei der Planung eines Bauwerks besonderes Augenmerk verlangen.

ArchitektInnen sind darin trainiert, sich in ihnen unbekannte Menschen hineinzuversetzen und dabei die Anforderungen zukünftiger Nutzer an ihre verschiedenen Lebensumgebungen zu antizipieren.

Wenn Menschen in den Weltraum fliegen, ändern sich dabei, bedingt durch die extreme Umgebung, die Anforderungen an Räume und deren Organisation. Der Weltraum ist eine lebensfeindliche Umwelt. Es gibt hier keine Luft zum Atmen, was auch große Druckdifferenzen zwischen Innen und Außen zur Folge hat. Dieser Umstand wirkt sich bestimmend auf die Geometrie bewohnbarer Hüllen aus, welche in der Regel Annäherungen an druckoptimierte Körper sind. Außerhalb des Erdmagnetfelds herrscht außerdem eine hohe Strahlenbelastung, was entsprechende Maßnahmen notwendig macht.

Das betrifft nicht nur Material und Bauweise, sondern unter Umständen auch die Wahl des Bauplatzes, wenn beispielsweise erwogen wird, auf dem Mond Habitate in unterirdischen Höhlen zu platzieren, wo Menschen vor ­kosmischer Strahlung geschützt wären. Daneben gibt es noch viele andere Besonderheiten, die zu berücksichtigen sind und welche die Ko­operation einer großen Zahl von ­IngenieurInnen aus vielen Ländern und Industriezweigen erfordert, um schließlich ein Vorhaben wie die Errichtung einer bewohnten Forschungsstation auf dem Mond oder dem Mars real werden zu lassen.

Die Menschen selbst jedoch ändern ihre Grundbedürfnisse kaum, sie nehmen sie mit ihren Behausungen überallhin mit. Neben Luft, Wasser und Nahrung, stellen wir auch ergonomische Anforderungen an unsere Umgebung und für ein gut funktionierendes Arbeiten müssen darüber hinaus gewisse Mindeststandards an Raumqualitäten erfüllt sein. Private Rückzugsmöglichkeiten spielen dabei eine Rolle, genauso wie geeignete Orte für Begegnung und Austausch. Das zu ermöglichen, ist unter den gegebenen Bedingungen eine interessante Herausforderung für uns.

Bei allem, was in den Weltraum transportiert werden soll, spielt das zur Verfügung stehende Transportmittel vielleicht die wichtigste Rolle. Um in eine niedrige Erdumlaufbahn zu gelangen, muss eine Rakete auf mehr als das 20-fache der Schallgeschwindigkeit beschleunigt werden. Dabei soll sie nicht nur sich selbst und den benötigten Treibstoff tragen, sondern auch ihre Fracht sicher an ihr Ziel bringen. Das ist mit einigem Energie- und Kostenaufwand verbunden. Gegenwärtig kostet es etwa 20000 Dollar, um ein Kilogramm Fracht mit einer Atlas V Rakete in den Erdorbit zu bringen. Die Tragkraft der Rakete ist für solch ein Vorhaben mit etwas mehr als acht Tonnen erreicht.

Da sucht man als erstes nach Möglichkeiten, Gewicht zu sparen. Das wirkt sich zum einen auf Design und Materialwahl aus, zum anderen spielt der sorgfältige Umgang mit Ressourcen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, den Transportaufwand von der Erde auf sein notwendiges Minimum zu beschränken. Dazu gehört das Recycling von Luft und Wasser sowie die Wiederverwendung von Materialien wie Metall und Kunststoff für die Herstellung neuer Ersatzteile. Aber auch an Möglichkeiten der Gewinnung von Wasser und Material für den Bau von Forschungsstationen auf fremden Himmelskörpern wie Mond oder Mars wird derzeit intensiv geforscht.

Neben dem Gewicht unterliegen auch die Abmessungen eines Weltraumhabitats den Beschränkungen des Raketenfrachtraums. Dieser Umstand führt zu Überlegungen, Hüllen zu konstruieren, die sich für den Transport falten lassen. Eines der Projekte, an denen wir in der Vergangenheit (2013  –  2015) arbeite­ten, hatte genau das zum Gegenstand. Es handelt sich dabei um ein mobiles, selbstauffaltendes Habitat für extreme Umwelten (SHEE – Self-deployable Habitat for Extreme Environments). Dafür wurde ein Faltungsmechanismus entwickelt, der es erlaubt, eine etwa 50 m³ große Behausung samt ihrer Einrichtung für den Transport auf etwa die Hälfte ihrer Größe zu verkleinern. Gemeinsam mit Projektpartnern aus Frankreich, Belgien, Estland und Tschechien wurde von uns ein Prototyp entworfen und gebaut, der nun für Simulationszwecke zur Verfügung steht. Mit Hilfe von Simulationen wird die Anwendungstauglichkeit von Designs für den Weltraum zuvor auf der Erde getestet.

Für Häuser außerhalb des Erdmagnetfeldes, beispielsweise auf dem Mond oder dem Mars, ergeben sich zusätzliche Schwierigkeiten. Dort ist der Raum erfüllt von schädlicher kosmischer Strahlung, die im Falle des Auftretens von Sonneneruptionen schnell zum Tod führen kann. Ein möglicher Weg, sich dagegen zu schützen, ist der Bau von Schildstrukturen aus Regolith, dem lockeren Gesteinsmaterial, das die Oberflächen fester Himmelskörper bedeckt. Gesammelt und gesiebt kann der Mond- oder Mars-Sand dazu verwendet werden, mittels 3D-Druck Kuppeln zu errichten, die den erforderlichen Schutz gegen Strahlung und Mikrometeoriteneinschläge bieten.

Das Projekt RegoLight, das wir kürzlich abgeschlossen haben, hatte die konzeptionelle Weiterentwicklung einer solchen Bauweise zum Ziel. Dabei wird gebündeltes Sonnenlicht dazu verwendet, vor Ort Mondsand zu schmelzen, um in einem schichtweisen Druckverfahren ähnlich dem Lasersinterdruck verzahnbare Bauelemente herzustellen, aus denen dann ohne Bindemittel Kuppelkonstruktionen errichtet werden können. Außerdem konnte mit Mondsimulanten (einem Mondsand-ähnlichen Material) im Labor experimentell die Durchführbarkeit dieses Druckverfahrens unter Vakuumbedingungen nachgewiesen werden, womit der Technologiereifegrad weiter angehoben werden konnte. Im weiteren Entwicklungsverlauf könnte diese Technik schon in den 2030er-Jahren beim Bau von permanenten Mondbasen zum Einsatz kommen.

Gegenwärtig sind wir an der Planung des europäischen Wohnmoduls der nächsten Raumstation beteiligt. Lunar Orbital Platform oder kurz Gateway genannt, wird 2028 der internationalen Raumstation (ISS), deren Betrieb 2024 eingestellt werden soll, nachfolgen. Gateway wird genauso wie die ISS in internationaler Kooperation entwickelt und betrieben werden. Anders jedoch als diese wird der neue Orbiter nicht um die Erde, sondern um den Mond kreisen und als Zwischenstopp für kommende Mondlandungen sowie als Vorbereitung auf zukünftige bemannte Missionen zum Mars dienen. Zwischen den astronautischen Missionen wird ein Roboter die laufenden Experimente teils autonom, teils von der Erde ferngesteuert betreuen. Was eine Raumstation ­außerdem besonders macht, ist der Umstand, dass hier keine Schwerkraft herrscht. Für uns als ArchitektInnen er­geben sich aus den Bedingungen unter Schwerelosigkeit neue Herausforderungen, aber auch interessante Mög­lichkeiten der Raumorganisation.

Oben und Unten sind hier nicht durch die Gravitation vorgegeben. Im Unterschied zum Bauen auf der Erde, wo gewöhnlich der Quadratmeter die Ausgangsgröße darstellt, ist hier der Kubikmeter vom Beginn der Planung an die bestimmende Einheit. Bekannte Planungshilfen wie beispielsweise Ernst Neuferts Bauentwurfslehre verlieren hier viel von ihrer Anwendbarkeit. Sie müssen durch andere Standards ersetzt werden. Allerdings gibt es für die Raumfahrt noch vergleichsweise wenig Erfahrungswerte, auf die man zurückgreifen könnte. Ein Mensch benötigt auch in der Schwerelosigkeit einen Platz zum Schlafen, aber wie sieht sein Bett aus? Ist es hier überhaupt noch sinnvoll von Betten zu sprechen? Astronauten haben ohne Schwerkraft keine wirkliche Verwendung für Stühle, sie benötigen aber Fixierungshilfen, die verhindern, dass sie während der Arbeit buchstäblich abdriften. Hier ist noch viel Raum für experimentelle Ansätze.

Extreme Bedingungen stellen ArchitektInnen vor besondere Herausforderungen. Wenn wir für die Schwerelosigkeit planen, ist es diese Andersartigkeit der Eingangsparameter, die im besonderen Maße ein Umdenken erfordert und das fasziniert uns. Carl Sagan, der bekannte Astrophysiker und Gründer des SETI (Search for ExtraTerrestrial Intelligence) Instituts, brachte den Gedanken so auf den Punkt: „Weltraumexploration bedeutet nicht, dass man endlose Kreise im Orbit um die Erde zieht und in der Schwerelosigkeit Tomaten züchtet, Weltraumexploration bedeutet, andere Welten zu erforschen.“

Die Erforschung anderer Welten ist einer von vielen Entwicklungsmotoren, die uns dabei helfen können, Antworten auf terrestrische Herausforderungen zu finden. Wir sind derzeit auf der Erde mit einem neuen Phänomen konfrontiert. Erstmals in der Geschichte vermag der Mensch in das bestehende dynamische Gleichgewicht seines Heimatplaneten einzugreifen. Die Daten, die wir von unseren Satelliten erhalten, belegen das eindrücklich und unbestreitbar. Das explosive Bevölkerungswachstum und der damit verbundene, vehement steigende Ressourcenverbrauch zwingen uns zum Umdenken. Wir haben uns zu wenig Gedanken gemacht, woher unsere Ressourcen kommen und wie wir damit und mit unserer Abfallproduktion umgehen. Die bemannte Raumfahrt dient uns einerseits als Beweis für die Möglichkeit dringend notwendiger transnationaler Verständigung. Andererseits kann sie uns technische Lösungsansätze bieten, die wir auch auf der Erde sinnvoll einsetzen können. Die Internationale Raumstation ist energietechnisch durch Solarenergie autark, aber auch andere lebensnotwendige Dinge, wie Wasser und Luft werden wiederaufbereitet.

Unter extremen Bedingungen wird ­härter an der Lösung von Problemen gearbeitet, die uns hier auf der Erde im Komfort unseres Alltags weniger relevant erscheinen mögen. 3D-Druck von Gebäudeteilen, nur mit Sonnenenergie und Material vor Ort, könnte die Bauindustrie mit ihrem enormen Energie- und Materialbedarf weltweit in eine positive Richtung lenken. Entwerfen für den Menschen verlangt heute nach dem Blick auf die längerfristige Zukunft. Und erfordert es auch, unkonventionelle Methoden zu untersuchen, damit die selbstregulierenden Erhaltungsfunktionen unseres Planeten wirksam bleiben können. Der intelligente Umgang mit Ressourcen und das gleichzeitige Erforschen völlig neuer Wege sind wesentliche Teile der astronautischen Raumfahrt. Daran teilhaben zu können empfinden wir als Privileg. Es ist ein Hauptmotiv für die Ausrichtung unserer Arbeit.

„Wir denken über die Grenzen des Bekannten als den Rand unserer Realität, in dem wir die Antworten zu den großen Fragen des Warums finden können“, schreibt Wyn Wachhorst in seinem Buch “The Dream of Spaceflight”.  Weltraumexploration ist ein Teil dieses Realitätsrandes, ein Schritt ins Unbekannte getrieben von einer Vision, die nach einer Zukunft riecht, in der noch vieles offen ist.

Man kommt beim Thema „Zukunft“ einfach nicht am Weltall vorbei. Seitdem wir diesen unendlichen Möglichkeitsraum entdeckt haben, denken spezialisierte Architekten über die Gestaltung neuer Orte im All nach. Auch, weil es auf der Erde gerade nicht rund läuft?
Unter extremen Bedingungen wird härter an der Lösung von Problemen gearbeitet, die uns im Komfort des Alltags weniger relevant erscheinen.
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