Ziel Null Energie
Erfahrungen am Beispiel der Solarsiedlung Freiburg am Schlierberg

Das Ziel klingt simpel und wird in Variationen weltweit strapaziert. Energie- und Umweltpolitik fordern den Null-Verbrauch als Fernziel ein, der Begriff ist vom Marketing entdeckt, erste Gebäude und Siedlungsprojekte mit dem Anspruch ausgeglichene Energie- oder Emissionsbilanz sind realisiert. So definiert die Bundesregierung im fünften Energieforschungsprogramm: „Beim Neubau ist es Ziel, den Primärenergiebedarf, d. h. den Energiebedarf, der für Beheizung, Trinkwassererwärmung, Lüftung, Klimatisierung und Beleuchtung sowie Hilfsenergien notwendig ist, gegenüber dem heutigen Stand der Technik nochmals zu halbieren. Das Fernziel sind

Nullemissionshäuser.“ England und die USA zielen in politischen Programmen auf zero carbon developments und net-zero energy buildings. Die plan 08, Forum aktueller Architektur in Köln, lädt ein zum Entwicklungswork-shop Zero Emission City. Der Vatikan lässt sich „Klima-Ablass“ schenken - und wird damit der erste Staat der Welt, der seine C02-Emissionen vollständig ausgleicht. Megaprojekte in den Wachstumsregionen Golf und China werben mit CO2-neutraler Bilanz. In Masdar, Abu Dhabi soll eine Zero Carbon Community entstehen, in Dongtan Chinas erste carbon-neutral ecocity. Nicht nur für die internationale Kommunikation, sondern auch für die anstehenden Prozesse zur Lösung von Energiefragen ist die Klärung zentraler Begriffe und deren Verwendungszusammenhänge wesentlich. Dazu will der Artikel einen Beitrag leisten.


Null Energie verbrauchen

Nullenergiehaus, Plusenergiehaus®, Null­emissionsstadt oder im internationalen Sprachraum net zero energy building, equilibrium building, carbon neutral city - je nach Standpunkt und Motivation wird unterschiedlich bilanziert. Mit dem Fokus Ressourcenknappheit / Endlichkeit der Ressourcen wird Energie betrachtet, stehen Klimaschutz und Gesundheit im Vordergrund, werden CO2 äquivalente Emissionen berechnet, für die „zweite Miete“ interessieren die Energiekosten. Eine Bilanz kann in die nächste übersetzt werden, doch verschieben sich mit Umrechnungsfaktoren auch die Bilanzen. Der nachfolgend benutzte Maßstab der Energie vermeidet die Vermischung mit nicht energetischen Maßnahmen (Beispiel: Ablass Waldwirtschaft) und umgeht die Atomstromdebatte, in der Atomstrom teils als CO2 neutral in die Rechnung eingeht. Die Begriffsvielfalt weist darauf hin eine wissenschaftlich belastbare Methodik fehlt. 

Seit Oktober 08 beschäftigt dies eine Expertengruppe der Internationalen Energieagentur unter dem Titel Towards Net Zero Energy Solar Buildings. Ziel ist die Dokumentation und Analyse exemplarischer Gebäude nahe der Nullenergiebilanz, um dabei Methodik und Werkzeuge für die Arbeit mit diesen Häusern zu entwickeln. Der Lehrstuhl btga der Universität Wuppertal koordiniert mit Förderung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die methodischen Arbeiten. Im Rahmen des vom Ministerium des Landes NRW geförderten Forschungsprojekts Bauen und Energie in der Lehre wurden beispielhafte Solarsiedlungen aus energetischer Sicht bilanziert. An einer dieser Siedlungen wird nachfolgend der Nullenergieansatz erläutert.

Die Solarsiedlung Freiburg

Rolf Disch ist Pionier des Bauens mit der Sonne. 1999 - 2006 baute er seine Solarsiedlung in Freiburg am Schlierberg aus Plusenergiehäusern. Die Siedlung liegt drei Kilometer südlich der Freiburger Altstadt, in direkter Nachbarschaft zum Quartier Vauban. Dieses ehemalige Kasernenareal ist seit den 90er Jahren ein Experimentierfeld für nachhaltiges, ökologisches Bauen. In der Solarsiedlung leben ca. 170 Bewohner in 59 Reihenhäusern, neun davon stehen auf dem Dach des Sonnenschiffs, eines Büro- und Geschäfts­riegels als Lärmschutz zur Hauptverkehrsachse. Die Reihenhäuser variieren in der Breite auf zwei, selten drei Geschossen, so dass Wohnflächen zwischen 75 und 200 m² entstehen. Wohn- und Aufenthaltsräume liegen für solares Bauen klassisch im Süden, die Erschließung mittig, in der Servicezone im Norden liegen Küche, Bäder, Haustechnik.

Verbrauchsmessungen statt Bedarfsbilanz

Im Rahmen des Forschungsprojekts Bauen und Energie in der Lehre evaluiert das Fachgebiet btga der Universität Wuppertal die 50 bodenständigen Reihenhäuser der Siedlung energetisch. Ziel ist die vollständige Bilanz des Verbrauchs - Wärme und Strom auf der Soll-, Solarstromerzeugung auf der Habenseite. Sie ist mit üblicher Zählerausstattung möglich, die Daten können wie bei Energieausweisen über die Versorgungsunternehmen erhoben werden. Heute übliche Zähler speichern auch Monats- bzw.Tageswerte mehrerer Jahre. Alle Bewohner wurden um ihre Zustimmung zur Erfassung ihrer Verbrauchs- und Stromertragsdaten gebeten. 24 Haushalte stimmten zu, von 20 Häusern wurden ausreichende Daten erfasst - mindestens jähr­liche zeitgleiche Verbrauchsdaten Wärme inkl. Warmwasser, Stromverbrauch inkl. Haushalts­strom, und Stromerzeugung. Die erfassten Häuser werden hier beschrieben. Für einzelne Häuser liegen monatliche, teils tägliche Verbrauchs- und Erzeugungsdaten vor. In vier Häusern laufen aktuell zusätzlich Messungen des Innenraumklimas und des Energieverbrauchs Warmwasser.


Integrale Planung

Ausrichtung und Dichte der Siedlung entstanden in Abwägung von Wohnqualität, ganzjährig besonnten Solarstromdachflächen, verschatteter Südfassade im Sommer und verschattungsfreier Südfassade im Winter einerseits und teurem Grundstück andererseits. Ein Beispiel für geeignetes Werk­zeug der Planungsphase zeigt die Simulation, hier in Anwendung bei einer Studienarbeit des Masterprofils Environmental Building Design im Architekturstudium in Wuppertal. Die Ausrichtung von Niedrigstenergiegebäuden ist einen gesonderte Betrachtung wert. Abweichungen bis 45° von der Südausrichtung führen heute nicht mehr zu bedeutenden Verlusten des Solarertrags der Südfassade.

Einsparpotential

Die Häuser verbrauchen sehr wenig Energie. Nur diese geringe Restenergie kann mit Solarstromerträgen der Dächer ausgeglichen werden. Hohe Energieeffizienz vor Ort (Passivhaus) mindert auch den Verbrauch von erneuerbarer Energie und die Ansprüche an Transport und Speicherung von Energie in Netzen (geringer „Mismatch“). Der geringe Verbrauch resultiert aus einem Bündel an Maßnahmen: Die kompakten Häuser wurden in Passivhausstandard gebaut, der hohe Dämmstandard - mittlerer U-Wert der Gebäudehülle von 0,28 W/m2K - ist hier der erste Schlüssel zum niedrigen Verbrauch. In den Häusern wurden wassersparende Armaturen eingesetzt. Stromsparende Geräte und Nutzerverhalten verringern Haushaltstromverbräuche. Schließlich sind die Häuser der Sied­lung angeschlossen an ein Wärmenetz aus Kraft-Wärme-Kopplung, ein Blockheizkraftwerk betrieben mit Holzhackschnitzeln und Gas. 

Strom ist ein hochwertiger Energieträger, Wärme ein einfacherer. Bilanzen mit Strom und Wärme werden deshalb in Primärenergie betrachtet, hier wird die verbrauchte Endenergie je Energieträger mit einem Primärenergiefaktor bewertet. Deutsche Normung bewertet den Energieträger Holz z.B. mit Faktor 0,2, Heizöl und Gas mit Faktor 1,1, Strom mit dem Faktor 2,7. Aus den Daten der Siedlung wurde das mittlere Haus bestimmt:

– 2,9 Bewohner,

– 137 m2 beheizte Wohnfläche,

– 49 m2 Solarstromanlage mit 6,3 kWp Nenn­leistung, d.h. pro m² beheizte Wohnfläche 0,36 m² Solarstromanlage mit 46 WP Nenn­leistung. 

Das mittlere Haus der Freiburger Solarsiedlung erzeugt in der Jahressumme ein Plus von 36 kWh/m2a Primärenergie.

a. Das mittlere Haus der Solarsiedlung, als Variante geplant nach EnEV-Anforderun­gen, würde 185 kWh/m2a verbrauchen,

b. dieses EnEV-Haus als stromsparender Haushalt gleich dem mittleren Haushalt der Freiburger Solarsiedlung würde 165 kWh/m2a verbrauchen.

c. Das gebaute Haus in Passivhausstandard verbraucht noch 98 kWh/m2a.

d. Wird die Wärme aus dem Nahwärmenetz mit anteiliger Holzverbrennung be-zogen, reduziert sich der Verbrauch auf 79 kWh/m2a.

e. Dieser geringe Verbrauch ist mit einer Gutschrift von 79 kWh/m2a Primärenergie Solarstrom auszugleichen, der Überschuss ist das erwirtschaftete Plus von durchschnittlich 36 kWh/m2a Primärenergie. Für den Ausgleich des Verbrauchs vom mittleren Haus nach EnEV-Standard ist eine Erzeugung der doppelten Menge notwendig, diese ist auf den vorhandenen Reihenhäusern nicht zu installieren.

In weiter gefassten Szenarien wird mit Einspeisungen von Wärme in Wärmenetze oder Gutschriften aus CO2Handel kompensiert. Hier vorgeschlagen ist die Bilanzgrenze am Objekt selbst. 

Die Bilanz für das mittlere Haus der Siedlung ist positiv, einzelne Häuser weichen jedoch von dieser positiven mittleren Bilanz ab. Teils ist das Verhältnis von Wohnfläche zur Fläche der Solarstromanlage ungünstig - es gibt einzelne dreigeschossige Häuser, die im Verhältnis weniger Dachfläche für die Solarstromanlage haben (0,22 m² statt Ø 0,36 m² PV/beheizte Wohnfläche) -, einzelne Häuser sind Endhäuser einer Reihe und verbrauchen so mehr Heizenergie. Die geringer werdende Dachfläche pro Wohnfläche weist bereits da­rauf hin, dass dem energetischen Konzept der Solarsiedlung bei höheren Gebäuden Grenzen gesetzt sind. Hier sind andere Lösungswege gefragt. Entscheidend für die Energiebilanz ist bei optimierten Gebäuden darüber hinaus das Nutzerverhalten. In einer Siedlung mit ähnlichen Wohntypen mittelt sich dieser Einfluss.


Die Bedeutung der Nutzer

Exemplarisch für Niedrigstenergiehäuser: In der Solarsiedlung Freiburg wird ca. ein Viertel Primärenergie zu gleichen Teilen für Wärme und Warmwasser verbraucht, drei Viertel für Strom. Hier zeigt sich Potential von Energie­spargeräten (Gerätelabel A+) und Nutzerverhalten. Der festgestellte Stromverbrauch in der Siedlung liegt etwas unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Es besteht aber noch ein erhebliches Potential zur Verbrauchssenkung.


Nullenergie im Netz

Im Unterschied zu energieautarken Gebäuden, die jederzeit genügend eigene Energie für den eigenen Verbrauch bereitstellen, wird für Nullenergiehäuser nur eine jährlich ausgeglichene Bilanz angestrebt. Nullenergiehäuser sind nicht energieautark, sondern an Versorgungsnetze angeschlossen, sie speisen Energie – hier Solarstrom - ein und beziehen Strom für eigenen Stromverbrauch aus dem Netz. Die Problematik der hauseigenen Energiespeicherung – insbesondere im saisonalen Maßstab – wird auf das Netz verlagert. Dies macht die Konzepte einerseits praxistauglich, anderseits aber auch unglaubwürdig, wenn eine sehr große Disbalance zu Lasten des Netzes ausgeglichen werden muss („Mismatch“). Das in Deutschland eingeführte Kon­zept der Vergütung für Solarstrom gemäß Energieeinspeisegesetz favorisiert die Einspeisung des gesamten Ertrags gegenüber der Stromerzeugung zur prioritären Eigenverbrauchsdeckung.


Offene Fragen bleiben

Noch ist die Nullenergie-Bilanzierung national und international methodisch nicht abgestimmt. Aktuell wird je nach Bezug - Normung, Berechnungsprogramm, Förderprogrammen oder vorhandenen Zählern - unterschiedlich umfangreich bilanziert. Um Verbrauchs- statt Bedarfsbilanzen zu erstellen, favorisieren wir die verbrauchsseitig vollständige Erfassung einschließlich der Geräteverbräuche und der Beleuchtung. Dass auch politische Festlegun­gen die Bilanzen bestimmen, zeigt beispielhaft die Bewertung des nur bedingt erneuerbaren Energieträgers Holz. Da Holz nicht bedin­gungslos nachhaltig zur Verfügung steht, ist die Bewertung mit dem günstigen Primärenergiefaktor 0,2 langfristig fraglich. Gleiches gilt für Stromgutschriften. Die aktuell dargestellt Bilanz der Solarsiedlung Freiburg beweist aber in der Praxis: Das Ziel Null Energie ist schon heute machbar!

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