„Wir haben schon bei der Skizze mitgebogen“

Im Osten der sich langsam vervollständigenden Hamburger HafenCity wurde im Dezember ein neuer U-Bahnhof der Linie U4 fertiggestellt. In direkter Nachbarschaft zu den Elbbrücken und Gegenüber eines über eine Glasröhre erreichbaren S-Bahnhofs (ebenfalls gmp/sbp) zielt der Entwurf der U-Bahnhofshalle von gmp Architekten auf diese Brücken-Nachbarschaft. Doch was gut aussehen will muss auch gebaut werden können, hier kommen die Ingenieure von schlaich bergermann partner ins Spiel. In diesem Fall eine junge Ingenieurin, die sehr zufrieden mit Projektverlauf und dem Ergebnis insgesamt ist.


Liebe Sandra Niebling, als mir ein Gesprächspartner von sbp angekündigt wurde, hatte ich nicht mit einer jungen Frau gerechnet!

Sandra Niebling: Tatsächlich sind Sie mit dieser Erwartungshaltung leider nicht alleine. Der Ingenieurberuf ist nach wie vor eher eine Männerdomäne.

Wie ist das Geschlechterverhältnis bei den Ingenieuren bei sbp und hat sich das in den letzten Jahren signifikant verändert?

Doch, es hat sich auf jeden Fall etwas verändert. Als ich 2012 zu sbp kam, waren wir in Stuttgart keine Handvoll Ingenieurinnen, inzwischen sind es unter den 170 Kollegen aber deutlich mehr geworden.

Nach der Kunsthalle in Mannheim ist der U-Bahnhof ein weiteres großes Projekt, das Sie für sbp bearbeitet haben. Womit sind Sie in Hamburg besonders zufrieden?

Ich bin mit dem gesamten Projekt sehr zufrieden, vor allem, wenn ich jetzt in dieser beeindruckenden Halle stehe und das Ergebnis der Planung direkt vor Augen habe. Besonders gut gefällt mir, dass das Tragwerk im Mittelpunkt steht, da alle Tragwerkselemente sichtbar und damit Teil der Architektur sind.

Ab welchem Zeitpunkt war sbp mit im Projekt?

Wir waren schon im Wettbewerb dabei. 2013 haben wir mit gmp den Wettbewerb gemacht und anschließend die Tragwerksplanung bis einschließlich Leistungsphase 5, also Ausführungsplanung bearbeitet. Dazu haben wir noch die, wie es heißt, „stichprobenartige ingenieurtechnische Kontrolle“ gemacht.

Wie muss ich mir die vorstellen?

Wir betreuen auf Seiten des Bauherrn die ausführende Firma. Theoretisch ist es so, dass wenn wir die Ausführungsplanung fertig übergeben haben, unser Job sozusagen zuende ist. Was aus unserer Sicht aber nicht optimal ist und bei der U-Bahn Haltestelle glücklicherweise auch nicht passierte. Praktisch heißt das, dass wir zu bestimmten Bauabschnitten vor Ort sind und mit den Projektbeteiligten mögliche technische und auf den Bauablauf bezogene Besonderheiten, aber auch Schwierigkeiten besprechen und lösen helfen.

Was ist der Kern der Konstruktion? Waren Sie in der frühen Phase auch gestalterisch beteiligt?

Wir haben tatsächlich schon bei der Skizze mitgebogen oder anders gesagt: sbp hat von Anfang an den Prozess der Geometriebildung begleitet. Ein echter Knackpunkt war die Zweibrückenstraße, über die wir drüber mussten. Hier wurden unterschiedliche Modelle diskutiert: Sollte die „Bahnhofsröhre“ so ausgebildet werden, dass sie sich komplett selbst hinüberträgt oder bildet man – so wie es dann ja auch gemacht wurde – Fußgängerbrücken über der Straße aus, auf denen wiederum das Dach aufgesetzt wird. Auch, dass wir keinen Kreisbogen, sondern den Korbbogen verwendet haben, waren Entscheidungen, die wir gemeinsam mit gmp getroffen haben.

Gab es im Entwurfsprozess einen Moment, die Halle mit Holz oder als Hybridbau, also mit anderen Materialien als Stahl zu realisieren?

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir irgendwann über ein anderes Material nachgedacht hätten. Schon allein aufgrund der Anlehnung an die Bestandsbrücken war Stahl die erste Präferenz.

Nun ist die Lagerung der Einzelbögen eine offensichtliche Besonderheit in der Konstruktion.

Da wir ein besonders langes Dach haben – 96 m zwischen den äußeren Fußpunkten, knapp 140 m zwischen den Dachspitzen – und zudem je Seite 13 Fußpunkte, haben wir bewegliche Lager eingeplant, um Zwangsbeanspruchungen im Tragwerk zu vermeiden. Wir haben am jeweils mittigen Fußpunkt einen Festpunkt im Gesamttragwerk gesetzt und alle Punkte, die nach Norden oder Süden gehen, längsverschiebbar ausgeführt. Das Einzige, was jetzt noch an Zwängungen übrig bleibt, erzeugt die Reibung in den Gleitlagern.

Technologie aus dem Maschinenbau!?

Ja, genau. Wir haben nicht nur längsverschiebliche Lager, die Träger sind zudem in der Rotation frei. Was zum Beispiel bei großen Schneelasten wichtig ist. Durch eine solche Last von oben rotiert die Konstruktion am Auflagerpunkt. Die Verwendung der längsverschieblichen Radialgelenk-lager (Fa. Schaeffler), wie sie korrekt heißen, war auch für die Montage relevant. Und weil diese Lager im Bauwesen eher unüblich sind, musste eine Zustimmung im Einzelfall erwirkt werden.

Längsverschiebliche Radialgelenklager … ich könnte mir denken, die wurden in Hamburg nicht zum ersten Mal verwendet, oder doch?

Stimmt, beim Hauptbahnhof in Berlin kamen die schon mal zur Anwendung. Aber Standard sind solche Lösungen im Bauwesen ganz und gar nicht!

Nicht erst seit heute sind Ingenieure auch für die Optimierung des Materialeinsatzes verantwortlich. Haben Sie beim U-Bahnhof optimiert und in welcher Weise?

Ja, haben wir und das ist auch der Anspruch von sbp. Wir stehen für das leichte Bauen: Ringseildächer, reduzierter Materialaufwand bei großen Spannweiten … Alles das steht generell für gute Ingenieurarbeit und ist heute mehr denn je dem Thema der Nachhaltigkeit zuzuordnen. Für uns ist es essentiell in der Planung, nur das Material zu verbauen, das wir wirklich benötigen. Ganz praktisch haben wir Querschnitte und Trägerdicken auf die jeweiligen Ansprüche angepasst, was zu variierenden, den unterschiedlichen Biegemomenten angepassten Trägerhöhen beispielsweise führte, die von 350 mm bis 600 mm reichen. Gleiches gilt für die Varianzen bei den Blechstärken der Flansche und Stege. Das klingt jetzt nach deutlichen Größenunterschieden, aber ich glaube, dass jeder, der davon nichts weiß, das überhaupt nicht wahrnimmt.

Wie lange haben Sie mit dem Team von sbp an dem Bahnhof gearbeitet?

Den Wettbewerb hatten wir 2013 gewonnen, ich bin 2014 eingestiegen. Dabei waren wir bis Anfang 2018, als das Tragwerk fertig wurde. Bearbeitet wurde es von etwa sechs Kollegen.

Haben Sie 2014 „hier“ gerufen, als man bei sbp überlegte, wer das Projekt übernehmen wolle?

[lacht] Pauschal kann ich das nicht beantworten, weil die Projekte nach unterschiedlichen und auch variierenden Kriterien vergeben werden. Klar kann man sich melden, wenn Projekte anstehen, die einem interessant erscheinen. Üblicherweise übernehmen aber die, die den Wettbewerb gewonnen haben, auch die Umsetzung des Projektes.

Sie arbeiten mit dem Standard Rhino/Grasshopper: Modifizieren Sie zusätzlich ihre Software?

Neben den von Ihnen angesprochenen Programmen arbeiten wir noch mit Sofistik für die Berechnungen. Aber ja, wir modifizieren tatsächlich auch, gerade im Bereich der Formfindungsprozesse.

Sie sprachen Sofistik an: Spielte BIM eine Rolle?

Nein. Als wir 2013 den Wettbewerb gewonnen haben, hat BIM noch keine so wichtige Rolle gespielt. Alle unsere neuen Projekte aber laufen mit BIM. Natürlich haben wir das Dach in 3D geplant, anders wäre das nicht möglich gewesen.

Wieviel Handarbeit gab es in der Fertigung der Stahlbauteile?

Tatsächlich wurde das Meiste noch per Hand gemacht. SEH Engineering GmbH, Hannover, haben das gemacht. Wir kennen die Firma sehr gut aus gemeinsamen Projekten in der Vergangenheit. Bei der Fertigung der über 10 m langen Elemente kommt es auf Millimetertoleranzen an. Montiert wurden die Einzelteile dann von Knotenpunkt zu Knotenpunkt, hier werden sie zu einer biegesteifen Konstruktion verschweißt. Das heißt, sie werden anfangs nur geheftet, um sie vor dem endgültigen Verschweißen noch einmal ausrichten zu können.

Die Konstruktion wurde über einem Gerüst errichtet. Gab es nach dem Gerüstabbau eine Überraschung?

Nein, eine Überraschung gab es glücklicherweise nicht, alles hat sich wie zuvor berechnet verhalten. Aber natürlich sind wir immer gespannt, wenn eine Konstruktion am Ende abgelassen wird. Wichtig bei diesem Projekt war, dass sich das Dach gleichmäßig absenkt, also auch in den sehr weitauskragenden Dachspitzen.

Wann bauen Sie den Bahnhof über die Elbe?

Jetzt plane ich erstmal den Um- und Neubau der Alsterschwimmhalle in Hamburg. Da die U-Bahnhaltestelle Elbbrücken nicht weit entfernt ist, werde ich aber sicher ein Auge darauf haben, wann der Sprung über die Elbe kommt.

Mit Sandra Niebling unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft im Anschluss an die gemeinsame Projektbesichtigung einige Tage später, am 12.12.2018 per Telefon.

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