Winzige Chance, oder?
Wie Oberbürgermeister deutscher Großstädte groß tun

Wieso schießt einem, spricht nur irgendwer den Namen Köln aus, immer gleich „Klüngel“ ins Gehirn? Noch vor Dom, Karneval oder Oswalt Mathias Ungers, ja sogar noch vor Fritz Schramma, dem Oberbürgermeister der eben Dom- und nicht Klüngelstadt am Rhein? Vielleicht, weil es immer wieder klüngelt in der von Vereinen und Vereinigungen übersatten alten Römerstadt, deren architektonischem Charme ein Weltkrieg und die Jahrzehnte der so genannten zweiten Zerstörung danach arg mitspielten. Köln, geprägt von seinen Stadtvierteln, kann man entdecken, muss man entdecken, und es gibt während dieser teils recht anstrengenden Suche täg­lich Offenbarungen.Und die weisen allesamt auf das eine hin: Die Stadt hat eine über 2000-jährige Geschichte, das meiste davon liegt allerdings unten drunter, unter der Stadt. Kulturschutt.

Der aktuell prominenste Teil dieser Halde liegt am und unter dem Rathausplatz, und er ist jüdischen Ursprungs. Bis Anfang 2008 noch von einer ziemlich unspektakulären wie schließlich das Bodendenkmal gefährdenden Glaspyramide überdeckelt, sieht man in dem einige Meter tiefen Loch Stufen, die in die auf Grundwasserniveau liegende Mikwe hinabführen. Das rituelle Tauchbad der jüdischen Gemeinde wurde in den fünfziger Jahren archäologisch geborgen und wird heute mit anliegenden Fundamenten weiterer Kulträume als die Keimzelle Kölns bezeichnet; und als „Archäologische Zone“ erforscht und Besuchern zugänglich gemacht. Die dort sichtbaren baulichen Reste stammen aus städtebaulichen Urzeiten, die Mikwe wird in einem Dekret Kaiser Konstantins aus dem Jahr 321 indirekt als vorhanden belegt.

So weit die Fakten. Ende der neunziger Jahre trat die „Gesellschaft zur Förderung eines Hauses und Museums der Jüdischen Kultur in Nordrhein- Westfalen“ mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, auf dem Rathaus­platz ein Museum zu errichten. Es wurde dis­kutiert und mit simplen Argumenten Für und Wider gestritten und mit noch simpleren Simulationen (Stadtplanungsamt) Platzenge vor Augen geführt und Atemnot erzeugt. So dauerte es schließlich bis 2006, als im Mai der Rat der Stadt dem vom Verein vorgeschlagenen Museumsstandort zustimmte. Es wurde ein Wettbewerb ausgelobt, der vierte bereits zu diesem Platz. Diesen entschied das Büro Wandel Hoefer Lorch + Hirsch für sich. Es überzeugte mit einem Konzept, das architektonisch wie funktional, aber ganz sicher auch städtebaulich wie für den Ort geschaffen erscheint. Der Neubau überdeckt den gleichsam sakrosanten Ort mittels einer hallenartigen Stahlkonstruktion, die, wie ein Schutzbau über archäologischen Grabungsfeldern, das Eigentliche nicht antastet. Nur wenige Stützen außen tragen das Raumfachwerk, das von einer Schicht dünn gesägter, opaker Steinplatten verkleidet wird. Städtebaulich stellt das Volumen die mittelalterlichen Raumkanten wieder her, belebt das Ungers-Konzept der „Kulturachse“ und formuliert den kleinen Platz vor dem Rathaus neu.

„Kleiner“ Platz. Auf einmal ist dieser Platz den Kölnern zu klein ge­worden. Mit einem Mal stört OB Schramma, dass sich demnächst nicht mehr die Massen vor der Renaissance-Laube des Rathauses versammeln können. Mit einem Mal ist Schramma gegen das Projekt. Andere auch, es gibt Unterschriftenaktionen gegen den Standort. Herr Schramma telefonierte inzwischen mit dem Vizevorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Schadensbegrenzung ist angesagt. Mit den Architekten sprach er noch nicht. Er also auch nicht. In Berlin macht das der Kollege OB mit dem anderen Parteibuch ebenso: Erst einladen, dann jubeln, dann abblasen. Klüngel in Berlin? Klüngel mit Berlin? Die Kölner jedenfalls haben noch eine winzige Chance, oder, Herr Schramma?! 

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