Was ist stadthaltig? Eine Ausstellung gab Antworten

Soviel Stadt war nie! Auch nicht bei uns im Heft, was ja klar ist, berichtet man über das aktuelle Geschehen in der Architekturszene. Ausstellungen, Videovorträge, Videosymposien und Botschaften (E-Mails) aus der Politik, sie alle haben die Stadt fest im Blick. Und dieser Blick geht in die nächste Zukunft. Für die geht man davon aus, dass in den kommenden Jahrzehnten 70 % der Weltbevölkerung in Städten leben wird. In Deutschland sind es längst mehr, 95 % der Deutschen leben in einer Stadt; wobei dazugesagt werden muss, dass sich in diesem Land eine Siedlung mit 2 000 und mehr EinwohnerInnen bereits Stadt nennen kann. Die Megastadt, um die es häufig im Diskurs geht, wird in Deutschland nicht (noch nicht?) anzutreffen sein. Selbst wenn man das Ruhrgebiet mit dem Köln/Bonner Raum als Megacity definieren würde, kämen wir damit international gesehen auf Platz 547. Dennoch, das Thema fasziniert und tatsächlich haben wir ein ganz besonderes, vielleicht durchaus emotionales Verhältnis zur Stadt, die wir gerne – und immer auch markenbildend – die „europäische Stadt“ nennen.

Und diese eben auch Chimäre Seiende steht seit längerem unter Stress; durch den demografischen Wandel oder eine auf Ausverkauf und Handlungsunfähigkeit zielende Bodenpreis-/Immobilienpolitik. Gestresst – und hier ist der zustimmende Konsens geringer – durch das Autogerechte, das wir uns nach dem Weltkrieg 1939 – 45 zulegten, weil sowieso alles schon Tabula rasa war und die Parole galt: Neubeginn! Tatsächlich bedroht durch den schon genannten Ausverkauf der Innenstadtlagen an Unternehmen, die ihre Filialen als Geld- wie Warenumsatzgeneratoren konzipiert haben. Und nun kommt ein weiteres Thema hinzu, dessen ganze Tragweite immer noch unterschätzt wird: der Klimawandel, der eine Aufheizung der Städte bedeutet, kollabierende (Energie-)Systeme, Bauschäden durch Unwetter und Dauersmog. Das Treibhausgas CO2 soll deutlich reduziert werden, und – im direkten Zusammenhang mit dem Klimawandel – eine massenhafte Zuwanderung wird neue, ganz anders gedachte Stadträume nötig machen.

„Greening the City“ (DBZ 04 | 2021, S. 14) scheint das eine, einfach weil schnell umzusetzende Mittel zu sein, Städte …, ja was eigentlich, nachhaltiger zu machen, robuster, stadthaltiger?

Letzteres ist ein schönes Kunstwort, das sich aus der linearen Übersetzung des englischen urbainable ergibt, ein Wort, das es in dieser Sprache ebenfalls nicht gibt. Übersetzungsprogramme machen daraus „begehbar“, „nutzbar“. Also meint das Kunstwort die funktionale Stadt? Der Titelt „urbainable – stadthaltig“ stand über einer Ausstellung in der Akademie der Künste (Hansea-tenweg), die die Positionen zur europäischen Stadt für das 21. Jahrhundert herausgearbeitet hatte. Kuratiert von Tim Rieniets, Mattias Sauerbruch und Jörn Walter sollte die von der Akademie beauftragte Schau ein Beitrag zur Diskussion zum Thema Zukunft der Städte in Europa sein und ganz „konkrete Anstöße für eine weitere Metamorphose der europäischen Stadt liefern“ (Jeannie Meerapfel, Präsidentin der AdK im Katalog). Nun ist die Ausstellung für Besucher seit Ende 2020 zwar geschlossen, doch es gibt einen kleinen Film auf der Webseite der Akademie, in dem die drei Kuratoren sehr ausführlich durch die Räume und das Programm führen. Unbedingt anschauen!

Glücklich die Ausstellungsmacher, die einen Katalog zur Schau produziert haben, Kataloge sind in diesen Zeiten des Verhinderns das Vehikel, das uns den Gang durch die Räume zwar nicht erlaubt, auf jeden Fall aber den Gang in die in den Räumen präsentierten Thematiken. „urbainable“ hat diesen Katalog, der mit zahlreichen und sehr unterschiedlichen Beiträgen urbanen Thematiken, aktuellen wie zukünftigen, nachgeht. Er wird ergänzt um eine schmale wie gleichformatige Broschüre, welche die wie ein Schleier über den Ausstellungsthemen montierte zweite Bilder- und Stichworte-Schicht präsentiert, eine Rauminstallation mit Fotos von Erik-Jan Ouwerkerk und ­Infografiken des Instituts für Entwerfen und Städtebau der Leipniz Universität Hannover. Doch zu diesem Beiheft später mehr.

Die Ausstellung selbst, die wir nicht mehr besuchen können, möchte das Potential aufzeigen, das Städte für die Menschheit der Gegenwart aber auch der Zukunft bieten. Dabei haben die AutorInnen die Stadt und die Stadtentwicklung vor Augen, die aus dem Blickwinkel der professionellen Stadtbetrachter als die wünschenswerte = europäische Stadt erscheint. Bedürfnisse, Wünsche, Vorstellungen von öffentlichem Raum folgen Traditionen, die aus der europäischen Kultur stammen. Aus einer Baubildersprache, die der Mehrheit der in den Städten Lebenden vielleicht gar nicht geläufig, angenehm und damit wünschenswert ist. Die hervorragenden Texte der rund 70 Seiten langen Einleitung in den folgenden Projekteteil beleuchtet künstlerische Positionen, kollektives Arbeiten, ein Pädoyer für die analoge Stadt (Gottfried Keller lässt grüßen!), handeln vom Verschwinden von Zwischenräumen (ein wunderbarer Text von Jenny Erpenbeck) oder dem „Bauen im Anthropozän“, einem trockenen, technischen Beitrag, der alle bekannten Register für eine Stadtplanung von morgen zieht.

Dann kommen die Projekte, darunter tatsächlich auch ein paar, die uns sehr lange schon begleiten (das Louvain-la-Neuve in Belgien oder der Klassiker mit zurzeit besten Entwicklungschancen, das Aufwindkraftwerk von Jörg Schlaich, Helmut C. Schulitz Einfamilienhaus-Verdichtung in Los Angeles, und andere). Es gibt Essays zu Projekten und papiergebliebenen Projekten für die Zukunft.

Es fehlt die Perspektive und die ergibt sich meist am klarsten im Wechseln von Standorten. Es fehlt der Blick vom Land. Es fehlen die, die außerhalb des Diskurses stehen und andere Geschichten erzählen von und über die Stadt. Ein wenig klarer wird die Perspektive in der Lektüre, im Überflug der schon genannten Broschur zur Rauminstallation: Hier werden Grafiken, Zitate, Zeichnungen und Bilder zu einem transparenten Vorhang gewebt, der sich über das Gebaute derart legt, dass es sich anders öffnen kann als in der direkten, interpretierenden Draufschau: „Wo wohnen eigentlich die Ideen?“, wird hier gefragt. Leider bezieht sich das auf die Meldung von Entwicklungen zum Patent und nicht darauf, wo Zukunftsideen für den Stadtraum gedacht werden, den inneren, den äußeren, den, der versammelt oder trennt, der bewegt oder festhält usw.

Die stadthaltige Stadt, so kann man schließen, ist noch nicht gefunden und doch überall schon im Werden, als ein Generisches auch schon vorhanden. Ganz sicher müssen wir andere Begriffe für das Neue finden. Stadthaltig? Vielleicht. Be. K.

www.adk.de/de/programm
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