Vom Dekonstruieren zum Dekorieren. Der lange Weg des F. O. Gehry

Paris ist derzeit Schaubühne, Testlaboratorium für und Laudatio an einen oder gar den größten unter den Spektakelgaranten des internationalen Architektenzirkus. Während im Centre Pompidou anhand von ca. 60 Projekten fast 50 Jahre architektonischen Schaffens Frank Gehrys in einer beeindruckenden Retrospektive Revue passieren, hat der Eigner des Luxuskonzerns LVMH, Bernard Arnault, im Pariser Stadtpark Bois de Boulogne lieber gleich ein Modell im Maßstab 1:1 realisieren lassen. Mit einer nicht minder beeindrucken-den Ausstellung, die ausschließlich den zwölfjährigen Planungs- und Bauprozess des Museums der Fondation Louis Vuitton dokumentiert, gönnt sich Arnault eine respektable Parallelausstellung zum Centre Pompidou im eigenen Haus.

In der Tat werden hier Superlative geschrieben, was auch die langen Besucherschlangen hier und dort belegen. Staunende Blicke, gereckte Hälse, nonstop klickende Kameras und stilvoll ausgefahrene Selfie Sticks belegen, wenn auch nicht zwangsläufig eine hohe Pub-likumsakzeptanz, so zumindest ein immenses Interesse. Das Gebäude der Fondation, das wie ein stolzes Schlachtschiff durch den Stadtpark kreuzt, spricht für sich selbst. Es gibt nur spärliche Zahlen zu den Gebäudedaten und lediglich vage Vermutungen über die sicherlich zu niedrig taxierten Kosten, hingegen aber Lobgesänge auf technische „Innovationen“.

Lediglich 3 500 m² Nutzfläche bei annähernd 11 000 m² Gesamtfläche scheinen verlässliche Eckdaten zu sein und veranlassten die „Süddeutsche“ zu der Aussage, dass „der Bau auf zwei Dritteln der 11 000 m² mit sich selbst beschäftigt ist.“ Damit trifft sie ins Mark, wobei von den Nutzqualitäten des verbleibenden Drittels nicht einmal gesprochen wird. Die sind in der Tat eine Enttäuschung auf der ganzen Linie. So beherbergt ein schuhkartonartiger Raum im Maßstab einer Turnhalle eine exquisite Werkgruppe von Gerhard Richter, die dort jedoch zu Briefmarken auf den Wänden wird. Auch die anderen zehn Säle vermitteln wenig Maßstäblichkeit und Atmosphäre und versuchen mit purer Gigantomanie zu punkten. Leider vermögen die Räume die Kunst nicht zu adeln, sondern banalisieren sie. Eine Riesenskulptur von Thomas Schütte wirkt geradezu wie ein Platzhalter, um der Höhe des Raumes einen Sinn zu geben. Letztendlich stellt sich das Gebäude primär selbst zur Schau und dienst als Marketingtool für LVMH sowie als Weihestätte für Bernard Arnault.

Nun würde man aber Frank Gehry sicher nicht gerecht, beurteilte man ihn anhand seines Entwurfes für die Fondation Louis Vuitton. Im Centre Pompidou lässt sich die Entwicklung des Werkes des mittlerweile 85-jährigen Pritzkerpreisträgers bestens nachvollziehen. Besonders die frühen und kleinen Projekte zeigen die Innovationskraft, die nicht weniger als ein Befreiungsschlag für die gesamte Zunft war und die Gehry zu verdanken ist. Das Aufbrechen und Dekonstruieren herkömmlicher Denk- und Baumuster hat definitiv innovative Qualitäten und auch neue Freiheiten geschaffen. Die Ehrlichkeit von Form und Material und besonders das spielhafte Arrangieren der Baukörper hatten Reiz – und sie haben ihn noch heute! Das Winton Guest House in Minnesota (1982–1987) ist eine gebaute Skulptur, die Form ihres Inhaltes ist und im Kontext des heutigen Œvres von Gehry noch als rational beschrieben werden könnte. Mit dem exaltierten Lewis House in Cleveland (1984–1995, geschätzte Baukosten 70 Mio. US$) beginnt aber erkennbar der Bruch mit der Ehrlichkeit von Inhalt und Hülle, was mit dem Einsatz neuentwickelter Computersoftware einherging. Gehry war einer der ersten, der die neuen technischen Möglichkeiten an ihre Grenzen trieb und dabei gehörig entgleiste. Peter Lewis realisierte das Bauvorhaben zwar nicht, war aber in seiner Rolle als Bauherr ein instrumentaler Förderer des Architekten. Das Lewis House scheint wie der „Point of no Return“, von dem an die Form den Inhalt bestimmt und nicht mehr umgekehrt – also ein „Function follows Form“.

Beide Ausstellung sind absolut sehenswert und spannungsreich kuratiert. Herausragend ist aber die Gehry Retrospektive im Centre Pompidou, da sie nicht nur die architektonische Entwicklung des Kanado-Amerikaners aufzeigt, sondern auch den Wandel von Baukonstruktionen und Darstellungstechnologien. Die anfänglich handcolorierten Isometrien auf Transparentpapier und die charmant tektonischen Modelle der 1960er und 1970er Jahre wirken im Gesamtkontext wie romantische Zeugen einer vergangenen Zeit. Letztendlich fällt aber die Bilanz dieser beiden wunderbaren Ausstellungen und dem dinosaurierartigen 1:1 Modell im Bois de Boulogne enttäuschend aus, denn anstelle von Prozesshaftigkeit und Tektonik demonstrieren die Myriaden von Probemodellen eher Beliebigkeit und Austauschbarkeit. Auf der anderen Seite wird spätestens nach der Fertigstellung von Frank Gehrys Entwurf für die Guggenheim Dependance in Abu Dhabi auch das Guggenheim Museum in Bilbao als noch zahmer Meilenstein auf dem Weg nach Saudi Arabien gelten. Frank F. Drewes

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