In der Gemeinde lernen

The Heart, Ikast/DK

C.F. Møller Architects aus Kopenhagen entwickelten gemeinsam mit der Stadtgemeinschaft von Ikast in Dänemark aufgrund des Wunschs nach einem Schulerweiterungsbau ein räumliches Konzept, das auf die Bedürfnisse einer ganzen Gemeinde eingeht. Das entstandene Gebäude ist auch aus architektonischer Sicht ein markanter Treffpunkt für alle geworden.

Anfangs war lediglich der Bau einer Schulerweiterung angedacht: „Wir hatten etwa drei Jahre vorher die International School in Ikast-Brande fertiggestellt. Das war ein kleines Schulprojekt gewesen, an dem die Gemeinde zum ersten Mal an einem Konzept mitgearbeitet hatte“, beginnt Julian Weyer, Architekt und Partner bei C.F. Møller Architects, über das Projekt zu erzählen. In der Folge wünschte sich die Schule mehr Platz für den Unterricht, aber vor allem auch für neue, andere Aktivitäten, die sie bisher so nicht hatten. Dazu muss man wissen, dass Ikast eine Industriestadt ist, die zentral in Jütland liegt; eine der wenigen Städte in Dänemark, die nicht am Wasser liegt, dafür aber bekannt ist für den Sport Handball. Es gibt also einige Handballhallen in Ikast, aber nur sehr wenige andere Sporteinrichtungen.

Was braucht die Schule?

C.F. Møller Architects setzten sich mit der Schulleitung, mit dem Stadtrat und mit TeilnehmerInnen aus dem lokalen Gewerbe vor Ort zusammen und sprachen darüber, was die Schule für ein Raumprogramm brauchen würde. „Innerhalb dieser Gespräche kamen wir mehr und mehr darauf zu sprechen, dass die Gemeinde, durch die internationale Ausrichtung der Schule, eine lange Liste an Einrichtungen benötigte, die es in der Stadt nicht gab“, beschreibt Julian Weyer die ersten Erkenntnisse.

Die Stadt ist durch die Hightech-Industrie sehr stark internationalisiert. Es existiert also eine große Community an der Schule von Leuten unterschiedlicher Herkunft und Kultur, aber es gibt keine Orte, an denen man zusammenkommen kann – also andere Dinge tun kann, als Handball spielen, in eine lokale Bar oder die Kirche gehen. Durch die Diskussion zeigte sich, dass die Gemeinschaft aktiv ist, aber keine Treffpunkte in der Stadt hatte. Notdürftig mietete man entweder einen Saal in einem Hotel oder mal wieder die Handballhalle, um sich zu treffen. Durch das Gespräch wurde klar, dass dieser soziale Teil schwerer wog als der Bedarf der Schule allein. Das Raumprogramm der Schule war relativ klein, aber der Raumbedarf für die Gemeinde war sehr groß.

Was braucht die Gemeinschaft?

„Dann gingen wir zur Gemeinde und da hat sich gezeigt, dass die Gemeinde selber ein Programm am Laufen hatte, das inhaltlich ganz unmittelbar in der Nähe unseres Raumprogramms lag“, wie Julian Weyer und seine KollegInnen überraschend feststellten. Es war klar, dass die beiden Konzepte fusioniert werden würden, wodurch das Projekt nochmal um etwa 70 % größer wurde. Auf diese Weise ist die Gruppe entstanden, die das Projekt realisiert hat: die Kommune, die Schule mit ihren Stiftern und ihren Verbindungen zum lokalen Gewerbe und die großen Stiftungen in Dänemark für Baukultur, für Sporteinrichtungen und für Kunst im öffentlichen Raum.

Das gemeinschaftliche Projekt

Als man diesen Konsens gefunden hatte, begannen die ArchitektInnen, sich detaillierter damit auseinanderzusetzen, wer die NutzerInnen in dieser Stadt sind. „Das heißt, wir hatten zwar über den Bedarf gesprochen, aber nun wollten wir diese Menschen auch finden und mit ihnen ins Gespräch kommen, was leicht war, weil sie gut organisiert sind, egal ob als Skateclub oder als Tanzverein“, erklärt Julian Weyer. Am Ende waren es 30 Gruppen, die ihre Ideen miteinbrachten, woraus in der Folge das Gesamtkonzept entstand: Ein Haus für die Gemeinschaft, in dem unterschiedliche Räume zur Verfügung gestellt werden, die gezielt darauf ausgerichtet sind, den Bedarf zu erfüllen. „Das war zum Beispiel ein guter Saal zum Tanzen – der Schulleiter aus Panama ist ein begeisterter Tänzer. Oder ein Raum, um Yogakurse zu geben oder religiöse Treffen zu veranstalten“, zählt Julian Weyer Beispiele auf. Neben solchen mehrfach funktionalen Räumen gibt es zwei feste Einrichtungen, die für einen bestimmten Nutzer festgelegt sind: einmal die Schulerweiterung mit drei Unterrichts- und Gemeinschaftsräumen, die nach Schulschluss auch von anderen mitgenutzt werden können, aber über den Tag für die Schule reserviert sind. Der zweite feste Teil ist für die Kommunen reserviert, hier wurde ein Ratgeberzentrum für Jugendliche und soziale Hilfe eingerichtet. Um dieses Ratgeberzentrum gruppieren sich wiederum unterschiedliche Initiativen, die sozialer und psychiatrischer Art sind. Es gibt in direkter Nachbarschaft zum Gebäude beispielsweise eine Gärtnerei, in der Leute mit psychischer Behinderung arbeiten können, die dann wiederum von den unterschiedlichen Angeboten der Kommune und dem Ratgeberzentrum angezogen werden.

Bedürfnisse wahrnehmen und Synergien entwerfen

Wichtig war zu sehen, wo es Überlappungen gibt und Synergien entstehen können. „Aus diesen Erkenntnissen heraus haben wir das Haus in Räumen wachsen lassen, die immer mehrere Funktionen darstellen“, erklärt Julian Weyer das Raumkonzept. Der Tanzsaal beispielsweise ist akustisch so gestaltet worden, dass er auch für Konzerte und Vorlesungen genutzt werden kann. Die „Streetsporthalle“ ist mit einem Betonboden ausgestattet, auf dem man Basketball spielen und Skaten und über das Öffnen der Tore ebenerdig das Spielen nach außen erweitern kann.

Jeder Raum hat nach Möglichkeit mehr als zwei Funktionen und alle Funktionen werden in der Mitte mit einem verbindenden Raum zusammengeführt, der gleichzeitig als Bühne, Spielplatz und zentraler Treffpunkt genutzt wird.

Lernräume

Die Schulräume geben mehrere Unterrichtsformen vor, sodass neben dem klassischen Frontalunterricht auch Gruppenunterricht und Einzellernen möglich ist. Dabei geht es auch um das Umstellen von Mobiliar, um nach Möglichkeit verschiedene Lernformen parallel zu unterstützen. Das heißt, dass ein unterschiedliches Angebot an Räumen vorhanden sein muss. Im Gebäude gibt es nur einen einzigen Raum, der eine klassische Aufstellung der Möbel mit höheren Sitzmöglichkeiten aufweist, von denen man aus gemeinsam auf ein Whiteboard schaut. Dieser Raum ist nicht darauf ausgelegt, um dort für längere Zeit zu arbeiten. Dafür gibt es Räume, die mit loungeähnlichen Möbeln ausgestattet sind, auf denen man zusammen oder alleine lernen kann.

Das Haus steht für alle offen

Man kann die Räume reservieren, aber grundsätzlich stehen sie allen zur Verfügung. Die Schule kann das Gebäude zu 90 % nutzen, wenn die Unterrichtsform es erfordert (10 % stehen dem Ratgeberzentrum zur Verfügung). Manchmal braucht die Schule auch nur 15 % der Fläche.

„Von den ersten Ideen, den ersten Diskussionen mit der Schule, bis hin zur Realisierung haben wir etwa zweieinhalb Jahre gebraucht. Wobei die erste Phase, die Konzeptfindungsphase,  relativ lange gedauert hat. Als der Entschluss getroffen war, zu realisieren, ging es ganz schnell“, fasst Julian Weyer den Zeitrahmen zusammen.

Die Verbindung von Haus und Landschaft

Es gibt ganz bewusst keine Vor- und Rückseite; stattdessen die Möglichkeit, in jede Himmelsrichtung ebenerdig aus dem Gebäude in die umgebende Landschaft heraustreten zu können. Innen- und Außenraumnutzung wurden in direkter Verbindung zueinander geplant. Dabei gibt es eine aktive und eine ruhige Seite der Außenraumgestaltung: Die aktive Seite ist zur Straße hin orientiert, mit Skatepark, Strand, Fahrradständer, Parcour etc. Die ruhige Seite zur Landschaft hin, mit Wasserbecken und Wald, liegt südlich vom Gebäude.

„Die Idee ist, dass man von überall hier zusammenkommt. Das Gebäude sollte neben seinen Funktionen auch architektonisch ausstrahlen, dass es etwas Anderes ist, als eine Schule im klassischen Sinn“, erklärt Julian Weyer die Außenwirkung des „Herzes“ von Ikast und meint rückblickend: „Das Projekt ist ein Beispiel dafür, dass man ganz unterschiedliche Leute und Ressourcen zusammenbringt, in eine Richtung kanalisiert und dadurch verschiedene Anforderungen in einem Haus erfüllen kann – das kann eben Architektur.“ MS

Als Beispiel für neue Vernetzung von Schule und Gesellschaft ist das „Herz“ eigentlich kein klassischer Schulbau mehr, sondern ein öffentlicher Mehrzweckbau mit Aktivitätsräumen, Sport- und Freizeiteinrichtungen, die von der Schule genauso wie von anderen gebucht und genutzt werden können. Damit wird die traditionelle Organisation von Flächen durch eine Organisation von Zeiträumen ersetzt.«⇥DBZ Heftpartner Mads Mandrup Hansen und Julian Weyer, C.F. Møller Architects

Baudaten

Objekt: The Heart, Vestergade, Ikast/DK

Bauherr: Internationale Schule Ikast-Brande / ISIB Ejendomsselskab A / S.

Architektur und Landschaft: C.F. Møller Architects, Kopenhagen/DK, www.cfmoller.com

Tragwerksplanung + TGA: Ingeniørne, www.ingenior-ne.dk

Größe: 3 660 m² Gebäude, 3,7 ha Aktivitätenpark

Bauzeit: 2015 – 2018

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