Industriebau 4.0 – Wegbereiter für neue Planungsprozesse
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Arch. Christoph M. Achammer, Wien/AT

zum Thema „Industriebau“

4.0 – ein Zaubercode für alles und jedes! Dabei ist die Definition eigentlich ganz profan: die Verbindung von physischer und digitaler Welt. Nicht die Ergänzung, sondern die Verbindung. Es entsteht sozusagen eine „phygital world“. Objekte tragen Wissen in sich und steuern damit ihre Fertigung, ihre Verteilung und ihre Servicezyklen.

Und was hat das mit solch einer „Steinzeitbranche” wie der des Bauens zu tun? Nun, wir beschäftigen uns ja mit Industriebau, der immer schon zur Avantgarde der technischen und architektonischen Innovation zählte. Nicht umsonst waren die ersten Stahl-, Glas- und Stahlbetonbauten doch überwiegend Gebäude für die Industrie. Ähnlich bei den Prozessinnovationen: Generalunternehmer, garantierter Maximalpreis, Design to Budget, Fast Track Methode – alles wurde erstmals am Industriebau erprobt. Deshalb bezeichne ich ihn auch als den „Abfahrtslauf der Architektur”. In wenigen anderen Bauaufgaben steht der „Kernprozess“, dem das zukünftige Gebäude dienen soll, so unbestritten im Mittelpunkt und ist Ausgangspunkt des Gestaltungsbemühens.

Lernen von der Industrie könnte nun dazu führen, dass das Bauen „industriell” wird, ohne dabei die Erinnerung an die Monotonie der Systembauten zu beschwören. Denn Industrie 4.0 heißt, industrielle Fertigung mit der Losgröße 1. Also genau jener Losgröße, die für die Baumenschen bisher immer ein starkes Argument war, nicht industriell bauen zu können – eine Haltung, die ihren statistischen Niederschlag in der quasi nicht existenten Produktivitätssteigerung aller Bauprozesse im Vergleich zu allen anderen Industriezweigen findet.

Wir stehen am Beginn eines neuen Zeitalters. Die – noch unvollkommenen – Möglichkeiten der Digitalisierung könnten uns erstmals in die Lage versetzen, die Modelle, welche wir im Entwurf erdenken, ohne mehrmalige definitorische Umwege über „Geheimdokumente“, wie Pläne, Listen, Ausschreibungen und Vertragsformulierungen, direkt in einem virtuellen Modell des zukünftigen Hauses abzubilden. Wobei der Begriff „abbilden“ schon die Gefahr eines Rückfalls in alte Definitionsformen in sich trägt. Ein virtuelles Modell heißt nämlich nicht, eine 2D- durch eine 3D-Darstellung zu ersetzen, sondern vor Baubeginn ein virtuelles Abbild des zukünftigen Hauses zu modellieren. Ein zweidimensionales Türsymbol ist nun eine virtuelle Tür, die neben etlichen geometrischen Daten bis zu 600 weitere Attribute in sich trägt. Neben den bekannten physischen Attributen wie Farben, Brandschutzklassen etc. erhält man auch Informationen über Lieferzeitpunkte, Kosten, Beschaffungsketten oder Wartungsintervalle, um nur einige zu nennen.

Für uns Architekt_innen und Ingenieur_innen ist das eine ungeheure Herausforderung. Wir sind die ersten in der Prozesskette, die betroffen sind – nicht nur in der Erstellung der Modelle, sondern auch in der notwendigen Veränderung unseres Kommunikationsverhaltens. Es macht wenig Sinn, weiterhin „planbasiert“ zu kommunizieren, wenn wir über Modelle verfügen. Aber die modellbasierte Kommunikation zu erlernen, ist um ein Vielfaches komplexer, als virtuelle Modelle zu bauen. Trotzdem wird kein Weg daran vorbeiführen, wenn Bauherren, die in der Betriebsphase des Gebäudes die größten Nutznießer von Bauen 4.0 sein werden, und wenn die ausführende Industrie dadurch mit industriellen Beschaffungs- und Montagemethoden über 30 % vorhandenes Verschwendungspotential auflösen kann, diese neue Welt fordern.

Also werden wir zu Bannerträgern dieser Entwicklung, die fachübergreifend mit neuen Leistungsbildern Integrale Planung so umsetzt, dass die Vitruv´sche Dreifachforderung – Utilitas, Firmitas und Venustas – für ein gutes Haus virtuell und real erfüllt werden kann.

Der Architekt

Der Architekt und Univ.-Prof. Christoph M. Achammer, CEO von ATP architekten ingenieure, studierte an der TU Wien. Lehr- und Wanderjahre in Europa, Mittel-
und Fernost, USA. Seit 1987 Partner bei ATP architekten ingenieure, einem der führenden Büros für Integrale Planung, ca. 600 Mitarbeiter_innen. Acht euro­päische Standorte. Arbeitsschwerpunkte: Produktion, Logistik, F&E. Gründungsmitglied der DGNB, ÖGNI, IG Lebenszyklus. Unternehmensweite BIM Strategie und Standards, zahlreiche Auszeichnun-­
gen. Universitätsprofessor am Lehr­stuhl für Industriebau und interdisziplinäre Bauplanung, TU Wien, Institut für inter­disziplinäres Bauprozessmanagement. Buchveröffentlichungen, Vorlesungen und Vorträge zum Thema Industriebau, Integrale Planung und nachhaltiges Bauen.

www.atp.ag

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