Vernetzte Lichtinstallation

Stadtbahn, Karlsruhe

Mit einer Kombilösung aus einem über- und unterirdischen Streckennetz für die Stadtbahn erfuhr Karlsruhe eine ­verkehrsberuhigende Maßnahme, im Zuge derer sieben Haltestellen im Untergrund entstanden. Ein wesentliches Gestaltungselement der meditativ wirkenden Bahnsteig­ebenen sind scheinbar schwebende Lichtinstallationen, die sich mit der Architektur vernetzen.

Zu den Hauptverkehrszeiten fährt in Karlsruhe jede Minute eine Bahn in jede Richtung. Die Kaiserstraße in der Innenstadt war  so an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geraten. Zudem stellte der rasante Tram-Verkehr, der sich unkoordiniert mit Autos und Fußgängern mischte, insbesondere für ältere Menschen und Kinder ein Sicherheitsrisiko dar. Deshalb baute man zwölf Jahre lang einen aufwendigen Stadtbahntunnel, der Ende vergangenen Jahres in Betrieb genommen wurde, und mit ihm sieben neue unterirdische Haltestellen. Nach einem einheitlichen Konzept von Allmann Sattler Wappner Architekten gestaltet, empfangen sie die Fahrgäste tief im Erdreich mit einer Reduktion auf das Wesentliche und bilden einen spürbaren Kontrast zu den für den urbanen Raum typischen Reizen. Schon beim Eintauchen in die Transferbereiche beginnt der Fahrgast, die Eindrücke der starken Geräuschkulissen und vielfarbigen Werbebotschaften der überirdischen Straßenzüge und Plätze hinter sich zu lassen. Terrazzoböden und gestockte Betonwände, die Rohbau-Charakter ausstrahlen, zeigen sich unauffällig und fordern die Sinneswahrnehmung der Passanten nicht heraus. Sie signalisieren den Fahrgästen, dass sie sich im Übergang zweier Welten befinden. Konisch geformte Deckenleuchten in freier Anordnung erhellen die Treppenräume und das Zwischengeschoss. Zusätzliches Licht wird von LED-Bändern generiert, die durchgängig in den Handläufen der Treppen verbaut sind.

 

Innehalten

Treppen führen den Fahrgast weiter abwärts zur Bahnsteig-ebene. Der Kontrast zum Transferbereich könnte größer nicht sein, denn in dem homogenen Raum sind alle Oberflächen elegant und hell und es gibt eine wahre Fülle an Licht. Dennoch sind auch hier optische Reize konsequent reduziert, als würde der Raum Stellung beziehen gegen die zuvor im Außenraum erlebte Reizüberflutung. Kraft dieser kontemplativen Wirkung wird der Fahrgast endgültig zum Innehalten eingeladen.

Wände, Decken und Böden des Ingenieurbauwerks werden komplett von einer weißen Raumschale mit – trotz unterschiedlicher Verkleidungen – farblich homogenen Oberflächen und abgerundeten Übergängen an den einzelnen Raumelementen bekleidet. Die Schale besteht im unteren Wandbereich aus einer Stahlbeton- und ab halber Wandhöhe aus einer Trockenbaukonstruktion. Der für den Bodenbelag als Plattenmaterial verwendete großformatige weiße Betonwerkstein kommt auch an den Stahlbetonwänden zum Einsatz, während die oberen Wandsegmente und die Abhangdecke von akustisch wirksamem Material kaschiert werden. Eine schräg zur Wand verlaufende Verblechung bildet den Übergang der unterschiedlichen Konstruktionen und Materialien als Schattenfuge aus. Das Fugenraster der Betonwerksteinplatten an Boden und unterer Wand folgt der Linearität der Gleise und der Oberleitungen und vervollständigt das streng lineare Erscheinungsbild des Raums.

 

 

Ganzheitliche und zusammenhängende Gestaltung

Das einheitliche Entwurfs- und Gestaltungskonzept der sieben unterirdischen Haltestellen verlangte auch bezüglich der Beleuchtung eine durchgängige Lösung. „Architektur und Licht ergänzen sich, um eine ganzheitliche und zusammenhängende Gestaltung zu erreichen“, berichtet Sebastian Utermöhlen, Projektverantwortlicher für die Lichtplanung bei Ingo Maurer. Dies war schon im Vorentwurf das Ergebnis der engen Kooperation der LichtdesignerInnen mit den ArchitektInnen. Die verschiedenen Raumhöhen der sieben Bahnsteige veranlasste die LichtplanerInnen, auf Deckenein- oder Anbauleuchten zu verzichten und statt dessen eine einzigartige Lichtinstallation zu entwerfen, mit der sie besonders flexibel reagieren konnten. Sie ist mit Stahlseilen zwischen den Wänden verspannt und passt sich den diversen Raumhöhen an. „Nach dem Wettbewerbsentscheid für die Architekten Allmann Sattler Wappner und das Lichtplanungsteam bei Ingo Maurer 2004 war die LED-Entwicklung noch nicht weit genug fortgeschritten“, erläutert Sebastian Utermöhlen. Da von vornherein klar war, dass das Projekt erst viele Jahre später realisiert werden und sich die LED durchsetzen würde, sollte natürlich mit dieser innovativen Technologie geplant werden. „Wir haben daher anfangs ein Modell mit Platzhaltern gebaut und die Entwicklung im Markt während der kommenden Jahre beobachtet“, fährt Sebastian Utermöhlen fort. Ein zweites Modell sollte später folgen und wurde in der unternehmenseigenen Produktion in Aubing parallel mit 1 : 1 aufgehängten Stahlseilen aufgebaut.

 

Technik beflügelt Technik

Ausgangspunkt für den Entwurf der technisch anmutenden Lichtinstallation war die verdichtete Oberleittechnik der Bahn, die die Fahrgäste – bewusst oder unbewusst – stets wahrnehmen. „Dieser Technik schlossen wir uns mit einer eigenen Struktur an, deren Segmente aus drei nebeneinander und zwei übereinander liegenden Stahlseilen, Klemmen, Isolatoren und Abspannungen bestehen“, sagt Lichtplaner Sebastian Utermöhlen. Die Stahlseilkonstruktion überspannt beide Bahnsteige quer und nimmt die Leuchten auf. Die Entscheidung war letztendlich für 150 cm lange LED-Zylinder aus dem Standard-Sortiment eines Herstellers gefallen. Nach umfangreichen Lichtberechnungen zwecks Erzielung einer ausreichend hellen und homogenen Beleuchtung der Bahnsteige wurde die Positionierung jedes einzelnen Lichtstabs definiert und am Modell erprobt. Auch die Windung jeder einzelnen Kabelschleife wurde solange am Modell arrangiert, bis das Gesamtkonstrukt als ästhetisch empfunden wurde.

Auf jeder Bahnsteigseite liegen diffus strahlende Zylinderleuchten auf jeweils einem Stahlseilsegment auf. Zwei Drittel beleuchten die Bahnsteige gleichmäßig, während das verbleibende Drittel den Deckenraum erhellt. Dadurch gewinnt dieser optisch an Höhe und macht auch das grafische Zusammenspiel der Oberleitungen, der Stahlseilkonstruktionen und der Raumlinearität deutlich sichtbar. Während die LED-Röhrenleuchten streng parallel zu den Gleisen ausgerichtet sind, verspringen sie scheinbar zufällig in der Höhe und demonstrieren damit eine Schwerelosigkeit, die den Schwebecharakter der Installation steigert.

„Oft finden wir gerade in technischen Bauelementen eine besondere Ästhetik, die auch hier die Grundlage des Gestaltungskonzepts bildete“, beschreibt Sebastian Utermöhlen abschließend das Projekt. „Das Ergebnis ist diese offenkundige Verspannung von Drahtseilen und Stromkabeln, welche mit ihrer Sichtbarkeit beeindrucken und Elektrizität spürbar machen.“ Petra Lasar

Die Reduktion der optischen Reize schafft einen poetischen Raum: helle Raumoberflächen, sanftes homogenes Licht. Das Leitungsnetz als übergeordnetes Grid zur Leuchtenaufnahme in der Gestaltung der Oberleitungen, zieht sich durch die gesamte Station. Die Passanten durchbrechen den homogenen Raumeindruck mit dreifarbigen Schatten. Ihre Bewegungen, das ständige Kommen und Gehen trägt zur Inszenierung bei.« DBZ HeftpartnerInnen ANDRES + PARTNER, Hamburg

Baudaten

Objekt: Stadtbahntunnel Karlsruhe

Standort: Karlsruhe

Typologie: Infrastruktur

Bauherrin: Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft mbH

Nutzerin: Verkehrsbetriebe Karlsruhe

Architektur: Allmann Sattler Wappner Architekten (seit Dezember 2021 allmannwappner gmbh)

www.allmannwappner.com

Teamleitung: Manfred Sauer

Projektleitung: Vasko Petkov, Julia Behm, Kartin Bell, Christian von Arenstorff, Christian Boland, Frank Karlheim

Team: Nicole Hansmeier, Olga Fraile Vasallo, Bertram Landwerlin, Jakob Wolfrum, Eugenie Gross, Helge Birke, Tobias Bösl, Adrian Stadler, Xaver Heltai, Muslima Rafikova, Henrike Jahns, Ivonne Eitel, Dimitra Giannikopoulou, Kerstin Liese-Schaich, Rouven Würfel, Marion Arnemann, Leila Hussein, Sebastian Kordowich, Maria Mesa Izquierde

Bauleitung: ZETCON Ingenieure GmbH, www.zetcon.de

Bauzeit:  01.2010 – 12.2021

 

Projektdaten

Nutzfläche gesamt: 15 000 m²

Brutto-Grundfläche: 16 500 m²

 

Fachplanung

Lichtplanung: Ingo Maurer GmbH, München, www.ingo-maurer.com

Projektsteuerung: Schüssler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Düsseldorf,

www.schuessler-plan.de

Objektplanung: Obermeyer Planen und Beraten, Karlsruhe,

www.obermeyer-group.com;

Spiekermann GmbH, Düsseldorf, www.spiekermann.de

Tragwerksplanung Ausbau: ZPP Ingenieure AG, Bochum, www.zpp.de

TGA-Planung: Obermeyer Planen und Beraten, München,

www.obermeyer-group.com

Akustik: Obermeyer Planen und Beraten, München,

www.obermeyer-group.com

Brandschutz: Stuvatec, Köln,

www.stuva.de

Signaletik: pandesign, Karlsruhe, www.pandesign.de

 

Hersteller

Beleuchtung: NORKA Norddeutsche Kunststoff- und Elektrogesellschaft Stäcker mbH & Co. KG,

www.norka.com

Bodenbeläge: Schwab-Stein GmbH, www.schwab-stein.de

Fassade: Schwab-Stein GmbH,

www.schwab-stein.de

Trockenbau: Sto, www.sto.de

Türen/Tore: HODAPP GmbH & Co. KG, www.hodapp.de

Seile und Seilkomponenten Lichtgespinst: Carl Stahl Hebetechnik GmbH, www.carlstahl.de

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