Schauen Sie, ich bin da wenig dogmatisch↓

„Bild und Raum. Candida Höfer im Dialog mit der Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek“ heißt eine Fotoausstellung im Museum für Fotografie in Berlin, die noch bis Ende August gezeigt wird. Wir hatten die überraschende Gelegenheit, nach der Presse­konferenz mit Candida Höfer, deren Fotografien in den großen Sammlungen der Welt zu finden sind, zu sprechen. Auch über die Menschenleere auf ihren Bildern der ­gebauten (Raum-)Welten.

Liebe Candida Höfer, ich freue mich sehr, dass Sie so spontan meinem Gesprächswunsch entsprochen haben! Verzeihen daher bitte die eine oder andere schräge Frage …

Candida Höfer: [lächelt, schweigt]

Candida Höfer
Foto: Benedikt Kraft

Candida Höfer
Foto: Benedikt Kraft

Es gibt und es kommen große Candida-Höfer-Ausstellungen in renommierten Häusern, die internationale Fotowelt feiert Sie gerade. Was denken Sie, kann da noch kommen?

Ich mache mir darüber gar keine Gedanken. Ich freue mich sehr über diese Ausstellung hier im Fotomuseum in Berlin, die wunderbar kurartiert ist und mir sehr gut gefällt. Ab Ende September habe ich eine weitere Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein, dort ist der Kontext ein ganz anderer als hier in Berlin. Aber inhaltlich sind die Ausstellungen tatsächlich ähnlich. Nein, dass man mich feiert? … wieso auch. Ich habe die letzten Tage in Lissabon genossen, da habe ich mir verschiedene Ausstellungen angesehen. Aber ich renne nicht von einer Ausstellung zur nächsten. In Lissa­bon kann man wunderbar Fisch essen … überhaupt eine schöne Stadt da unten im Süden.

Als internationale arbeitende Künstlerin kommen Sie ohnehin weit herum, ist das noch so?

Ja, ich reise noch viel. Und tatsächlich konnte ich diese seltsamen zwei Jahre viel freier reisen. Corona hat die meisten ja stillsitzen lassen. Es ist sicher nicht richtig, zu sagen, dass ich diese Zeit genossen habe, aber die Zeit der Ruhe hat mir gut getan. Offenbar hatte ich die Langsamkeit und das Verhaltene vergessen; wie es ist, die Orte für mich allein zu haben, konzentrierter zu sein. Ich hatte vergessen, dass es so wunderbar ist.

Ausstellungsansicht
Foto: Benedikt Kraft

Ausstellungsansicht
Foto: Benedikt Kraft

Sie haben gerade in der Pressekonferenz gesagt, dass Sie zum Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf damals gar keine Alternative gehabt hätten … Was bedeutet das?

Also das bezog sich nicht auf die Akademie selber, die war schon mein Ziel gewesen. Aber als ich mich dort bewarb, gab es noch keine Fotoklasse. Und Fotografie sollte es ja schon sein. So habe ich zunächst mit dem Filmen begonnen in der Klasse von Ole John. Ich dachte damals, das Filmen sei dem Fotografieren ja irgendwie nah, verwandt. Ich hatte damals noch viel mit Diafilm fotografiert. Gefilmt hatte ich mit dem Equipment der Klasse. Diese frühe Arbeit wurde 2013 im Düsseldorfer Kunstpalast in einer Ausstellung gezeigt. Ich hatte mich damals zuerst gar nicht getraut, die Arbeit überhaupt zu zeigen. Aber es hat sich gelohnt. Mir jedenfalls hat die Arbeit gefallen.

Sie gelten – vielleicht bezeichnen Sie sich selber auch so – als Becher-Schülerin?!

Ja. Also ich war halt in der Klasse.

Es gäbe noch die „Düsseldorfer Fotoschule“ und anderes: Sind das Etiketten, die Sie annehmen können? Sehen Sie sich verwandt mit Andreas Gursky, Thomas Ruff oder Thomas Struth, um nur einige zu nennen?

Diese Ettiketierung brauche ich nicht. Aber Sie brauchen das vielleicht oder andere, die einen Zugang zur Fotografie versuchen. Mein Lehrer, Bernd Becher, war schlicht ein fabelhafter Mensch, wie ebenso seine Frau, die damals natürlich nicht die Professur bekommen hat, das war damals so. Heute vielleicht auch noch. Die beiden sind ja leider nicht mehr unter uns; wie gesagt, fabelhafte Menschen und hervorragende Lehrer. Die uns nämlich nicht „richtig“ gelehrt hatten.

Ausstellungsansicht
Foto: Benedikt Kraft

Ausstellungsansicht
Foto: Benedikt Kraft

Sie haben Ihnen eine lange Leine gelassen.

(lacht). Ja, vielleicht. Man geht ja auch auf eine Akademie, weil man in etwa schon weiß, was man will.

Sie wussten als junge Frau schon, was Ihre Ziele waren?

Ungefähr, ja.

Wie alt waren Sie? 20, 22?

Nein, nein. Da war ich, glaube ich, schon 30.

Also eine Spätberufene. Was war Ihre Idee, warum sind Sie an die Akademie gegangen?

Ich hatte vorher schon viele Dinge ausprobiert, aber tatsächlich war fast immer die Fotografie mit dabei. Und so erscheint es mir in der Rückschau heute – damals wohl auch schon – nur konsequent, dass ich mir sagte, mach das mal. Nur – wie schon gesagt – gab es die Fotoklasse nicht. Es gab bereits eine Videoklasse, aber das kam für mich nicht infrage. Fotografie hatte zu dieser Zeit auch noch nicht die Bedeutung, die sie später hatte, die sie jetzt hat. So war meine Entscheidung damals einfach richtig, ein glücklicher Zufall meinetwegen.

Als Fotografin in der Männerwelt der Fotografie: Fühlten Sie sich nicht oft alleine?

Das mit der Dominanz der Männer in der Welt der Fotografie kam erst später. Aber ja, mir haben immer wieder mal Freunde oder Bekannte gesagt, dass wenn ich ein Mann wäre, wäre es schneller gegangen. Wahrscheinlich ist das richtig. Ich fand das irgendwie furchtbar, aber …

Aber ist es nicht so?

Jetzt frage ich mich das nicht mehr, das hat sich erübrigt.

Kommen wir zur Architektur, eines Ihrer zentralen Sujets. Sie haben gerade mit diesem Schwenk über die Pandemie gesagt, dass der Arbeitsdruck geringer war. Und die Architektur deutlich weniger von Menschen belagert. Stören Menschen die Architektur, die sie uns auf Ihren Bildern zeigen wollen?

Nein, die Menschen stören nicht, eher störe ich die Menschen, für die ja die Architektur im Eigentlich da ist. Und weil ich das Gefühl habe, zu stören, ist es mir lieber, ich kann in den großen oder kleinen Räumen alleine arbeiten.

Räume haben mit Menschen eine andere Subjektivität als die, die Sie ihnen mit der Kamera ablauschen wollen?

Ja, das ist richtig.

Ausstellungsansicht
Foto: Benedikt Kraft

Ausstellungsansicht
Foto: Benedikt Kraft

Konnten Sie die uns allen aufgezwungene Ruhe der letzten Jahre nicht nutzen, um beispielsweise Venedig menschenleer zu fotografieren oder …

Also Venedig ist mir ehrlich gesagt sowieso zu touristisch geworden, zu groß die Menschenmassen, „Touristenmassen“ muss ich wohl sagen. Als ich jetzt in Lissabon war, ist mir das auch aufgefallen, wie anstrengend es sein kann, wenn Städte, wenn Orte von Touristen überfüllt sind. Das ist dann wie ein Zuckerguss, den ein guter Kuchen auch nicht braucht, ganz im Gegenteil.

Aber ich habe von dieser besonderen Stimmung gelesen, Freunde haben davon erzählt. Ich bin nicht hingefahren, weil ich mich nicht unnötig gefährden wollte; ich denke, das war eigentlich der Grund. Und: Es gibt andere Orte, überall auf der Welt, kleine, große, großartige, bekannte und andere. Venedig ist vielleicht schon zuendegeschaut?!

Im Augenblick, vielleicht?! Aber noch einmal zu den Menschen. Tatsächlich gibt es immer mehr Architektur-Fotografen, die Menschen auf ihren Bildern zeigen, auch, um Architektur maßstäblich zu machen. Vielleicht aber auch, weil das Gebaute für den Menschen ist. Sie werden weiterhin die Menschen auf den Fotos meiden, was steckt dahinter?

Mir ist das auch schon aufgefallen, dass einige Architekten hier andere Wege gehen. Z. B. der Peter Zumthor, der mit einem Fotografen zusammenarbeitet, der vermehrt Menschen auf seinen Architekturfotos zeigt. Aber das war doch immer schon so! Le Corbusier  hat seine Arbeiten häufig mit Modells, mit Freunden, mit anderen im Vordergrund regelrecht inszeniert. Aber das ist eben nicht meine Sache. Aber schauen Sie, ich bin da wenig dogmatisch und wirklich habe ich noch nie vorhersehen können, was ich vielleicht in fünf Jahren mache. Bisher mache ich die Räume leer, weil ich mich dann besser konzentrieren kann. Und vielleicht kann ich das auch gar nicht, Menschen im Raum zeigen, wie das der Thomas Struth macht. Seine Fotografien von Menschen in den Uffizien beispielsweise finde ich hervorragend. Aber wie er das macht, weiß ich nicht.

Räume ohne Menschen, Ausstellungsansicht
Foto: Benedikt Kraft

Räume ohne Menschen, Ausstellungsansicht
Foto: Benedikt Kraft

Auch jeden Fall digital mit elend langer Postproduktion.

Ja sicher, aber dadurch werden die Bilder nicht schlechter, ich finde, die sehen immer sehr gut aus.

Thomas Struth arbeitet mit einem großen Team und mit großer Rechnerkapazität an seinen Bildern. Wie fotografieren Sie denn am liebsten?

Also mittlerweile arbeite ich auch rein digital mit einem großen digitalen Rückteil. Da sind die Möglichkeiten der Bildbearbeitung eben sehr groß.

Auch mal nur ein Detail, Ausstellungsansicht
Foto: Benedikt Kraft

Auch mal nur ein Detail, Ausstellungsansicht
Foto: Benedikt Kraft

Wie lange arbeiten Sie an einem Bild in der Postproduktion?

Ich habe Mitarbeiter, die das machen. Das kann mit Retusche, Stitchen und anderen Arbeiten eine lange Zeit in Anspruch nehmen. Tage?!

Die internationale Fotografie hat sich dem großen Format verschrieben, offenbar braucht es die Überwältigung, um sich auf dem Markt behaupten zu können. Machen Sie noch kleine Formate? Postkartengröße?

Darüber möchte ich noch nicht sprechen. Es gibt bald wieder welche.

Miniaturen verdichten, konzentrieren den Blick, erzeugen Intimität. Große Formate können ganz schön viel Leere zeigen!

Und manchmal passen sie auch nicht in die Räume, in die Häuser.

An die Wände der Sammler ... Fotografieren Sie noch analog?

Nein.

Knipsen Sie?

Ja. Ich habe fast immer eine kleine Sony dabei, die ziemlich gut ist und die immer in diese Tasche hier passt. Heute habe ich sie nicht dabei. Wenn ich unterwegs bin und etwas sehe, dann nehme ich sie heraus und fotografiere. Also genau so, wie ich das am Anfang auch gemacht habe. Und dieses Spontane gefällt mir doch sehr gut.

Spontan schnell ein Portrait! Mit dem Handy ...
Foto: Benedikt Kraft

Spontan schnell ein Portrait! Mit dem Handy ...
Foto: Benedikt Kraft

Also dann eher wieder die Street-Fotografie?

Das muss nicht sein. Es können auch Details im Raum sein.

Wenn Sie über Ihr Werk schauen, gibt es da eine Linie? Gab es Brüche?

Natürlich habe ich zu bestimmten Themen gearbeitet, so zum Beispiel in dem Fotoprojekt, in dem ich On Kawaras „Date Paintings“ in Räumen von privaten Sammlungen fotografiert habe. Oder die Bilder aus Zoologischen Gärten; aber das mache ich nicht mehr. Ein einmaliges Projekt war die Dokumentation der Rodin-Plastik der „Bürger von Calais“, die ich in aller Welt fotografierte. Etwas ähnliches würde ich auch nicht mehr machen.

Das sind aber zeitlich begrenzte Projekte. Ich habe meine Frage eher auf Ihre Haltung bezogen.

Als Fotografin? Als Frau? Als Mensch? Die Frage ist mir zu weit. Meine Arbeit zeigt meine Haltung. Wenn sich die Arbeit verändern sollte, hat sich vielleicht meine Haltung zu bestimmten Dingen verändert.

Dann schauen wir also auf das, was kommt. Verfolgen Sie die aktuelle Architektur-Fotografie? Was lesen Sie, was schauen Sie sich an?

Ich habe mir vor Kurzem ein Buch gekauft, da werden Innenräume gezeigt, die von bekannten Architekten entworfen und realisiert wurden. Keine Fotos, alles ist gemalt.

Also keine Fotografie?

Keine Fotografie.

Ihre Bilder aus Liverpool, hier in der Ausstellung, sehen sehr gemalt aus.

Ja, aber natürlich sind das Fotografien.

Was ist der Ausblick? Was steht an, worauf freuen Sie sich?

Also erstmal freue ich mich über diese Ausstellung hier in Berlin und auf die kommende in Liechtenstein. Und dann freue ich mich auf 14 Tage Ferien in einem asiatischen Land. Das muss nämlich auch sein.

Auf jeden Fall. Ferien müssen immer sein. Haben Sie herzlichen Dank.

Bitte schön.

Mit der Fotografin Candida Höfer unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 23. März 2022 in der Ausstellung im Museum für Fotografie, Berlin.

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