Plastizität durch
gefaltete Betonelemente
HumboldtHafenEins, Berlin

Das Architekturbüro KSP Jürgen Engel Architekten aus Frankfurt a. M. konnte am Humboldthafen in Berlin seinen 2011 prämierten Wettbewerbsentwurf 1:1 realisieren. Die Plastizität der Fassade aus gefalteten glasfaserverstärkten Betonfertigteilen erzielt dabei als wesentlicher Bestandteil des Entwurfs eine besondere Wirkung. Die Herstellung, Montage und Lieferung der 6 800 Weißbeton-Fertigteile stellte eine große Herausforderung dar, die Generalunternehmer, Herstellerfirmen und Architekten gemeistert haben. Der Neubau wurde 2015 mit dem DGNB-Siegel in Platin ausgezeichnet.

Der Humboldthafen in Berlin ist ein besonderer Ort. Das Grundstück am Ostufer des kleinen Hafenbeckens, das jetzt von dem Architekturbüro KSP Jürgen Engel Architekten bebaut wurde, war Teil des Grenz­streifens zwischen Ost- und Westberlin und offensichtlich auch nach der Grenzöffnung lange nicht als Bebauungsgrundstück wahrgenommen worden. Dabei hat die Lage ausgesprochen viel zu bieten: Zum einen grenzen die Grundstücke rund um den Humboldthafen direkt an den Berliner Hauptbahnhof und verfügen damit über eine ideale Verkehrsanbindung, zum anderen liegt das im Sommer 2015 fertiggestellte Bürogebäude HumboldHafenEins direkt gegenüber dem Regierungsviertel am Spreebogenpark.

Gelungen an dem Entwurf ist, dass der Gebäudekomplex mit einem Volumen von ca. 170 000 m³ BRI weder als unangenehmer Klotz noch als Barriere zwischen Stadt und Ufer in Erscheinung tritt. Das liegt in erster Linie an der Entscheidung der Architekten, das Gesamtvolumen in einer Mäanderform aufzulösen. Insgesamt drei Höfe gliedern dabei den Baukörper, bringen viel Tageslicht in die Büroräume und gewähren Ausblicke. Zwischen den Gebäuden gibt es einen öffentlichen Durchgang von der Straße Alexanderufer an die Uferpromenade, der den Architekten im Sinne der Durchlässigkeit besonders wichtig war. Die großzügige Promenade sowie Cafés und Restaurants unter den zweigeschossigen Arkaden an der Westseite des Gebäudes sollen hier zukünftig zum Verweilen einladen. In Fortführung der Arkadenflucht führt eine Treppe unter der mächtigen Auskragung des südlichen Kopfbaus auf die Hugo-Preuß-Brücke.

Glasfaserverstärkte Weißbeton-Elemente

Es ist aber auch die Fassade aus weißen, unterschiedlich gefalteten, leicht schräggestellten Glasfaserbeton-Elementen (GFB-Elementen), die verhindert, dass sich vor dem Betrachter eine große, womöglich gesichtslose Fläche auftut. Auch findet sich hier keine für Bürobauten typische, aus dem Grundriss resultierende Gleichförmigkeit an der Fassade wieder. Im Gegenteil, es scheint sich etwas in dem Fassadenbild zu bewegen, obwohl die Elemente starr sind.

Relativ schnell war die Entscheidung der Architekten auf eine Umsetzung der Fassadenidee mit glasfaserverstärktem Beton gefallen. Das Material ist fest und die Elemente können in einer geringen Stärke von nur 3 cm und einem entsprechend geringen Gewicht gefertigt werden. Zudem lassen sich sehr gut gefaltete Bauteile herstellen. „Die Plastizität der Fassade ist ein wesentlicher Bestandteil des Entwurfs. Eine Fassade, die sich je nach Blickwinkel, Tageszeit oder Wetterlage zu verändern scheint“, erläutert Martina Lasse, Projektleiterin bei KSP Jürgen Engel Architekten. „Zum Glück hat der Bauherr diese Idee trotz des damit verbundenen Flächenverlustes, also Verringerung der Mietfläche, unterstützt.“

Eine wichtige Frage betraf bei der Fassadenplanung auch die Farbgebung. Klar war von Anfang an, dass es ein heller Farbton werden sollte, wobei zunächst an das Einfärben des Betons gedacht worden war. Im Zuge der weiteren Planung und der Abstimmung mit der Herstellerfirma kristallisierte sich dann heraus, dass ein Weißbeton durch das Beimischen von Weißzement ein homogeneres Erscheinungsbild gewährleisten kann. Zudem versprach man sich – zu Recht, wie sich herausstellte – von einer möglichst hellen Fassade größere Tageslichteinträge in den Innenräumen. „Das Spiel mit Licht und Schatten und die dadurch entstehenden Farbnuancen kommen zwischen den weißen, plastischen Elementen und den dunklen Glasflächen und Rahmen besonders zur Geltung“, erklärt Matthias Koch, Teamleiter des Architekturbüros, die ästhetisch motivierten Beweggründe. „Zudem besteht beim Einfärben des Betons, je nach Grad der Pigmentierung, die Gefahr, dass sich Pigmente unterschiedlich an der Schalung anhaften und so zu einer fleckigen Oberfläche führen.“

Anspruchsvolle Baustellenlogistik

Um einerseits die Fassade möglichst vielfältig erscheinen zu lassen, andererseits aber die Umsetzbarkeit zu gewährleisten, entwickelten die Architekten ein Modulsystem mit vier verschiedenen Senkrecht-Elementen in unterschiedlicher Anordnung plus der notwendigen Sonderformen. Für die Fassadenfläche von ca. 14 000 m2 wurden insgesamt 6 800 Elemente angefertigt. Nicht zuletzt diese hohe Stückzahl brachte gleich zwei Herausforderungen mit sich: Zum einen musste eine Herstellerfirma gefunden werden, die auch bei so hohen Chargen in der Lage war, diese überhaupt und in gleichbleibender Qualität herzustellen. Zum anderen war eine ausgefeilte Baustellenlogistik notwendig. Diese war auf dem vorhandenen Grundstück ohnehin nicht einfach, da die Fläche zu jeder Seite stark begrenzt ist. Die Herstellerfirma musste daher ein Zwischenlager anbieten können, von dem aus täglich zwei LKW-Ladungen der Fertigteile auf die Baustelle geliefert wurden, um direkt verbaut zu werden, also eine Anlieferung „just-in-time“. Dabei war sicherzustellen, dass genau die Teile vor Ort waren, die im aktuellen Abschnitt benö­tigt wurden. „Täglich mussten drei Mon­tage-Kolonnen mit den richtigen Elementen
bedient werden“, so Frank Wilke, Senior Projektleiter bei Bilfinger Hochbau GmbH. „Die Fassade war ein großes Thema. Wir hatten zusätzlich einen Bauleiter speziell für die Ausführung der Fassade eingesetzt.“

Die Qualität der GFB-Elemente prägt letztendlich das Erscheinungsbild des gesamten Gebäudes. Daher wurden im Verlauf der Ausführung mehrere Mock-ups erstellt. „Dieses Ausprobieren gehört dazu und es ist auch sehr spannend. Wenn dann das Musterelement verabschiedet ist, hat man Gewissheit über die Qualität der gesamten Lieferung“,
so Architektin Lasse. Mit einem so genannten Grenzmuster werden die Mindestanforderungen vertraglich festgelegt. Und diese waren offensichtlich hoch: Präzise Kanten und eine ausgesprochen glatte, fast samtige Oberfläche zeichnen die im Werk gefertigten Elemente aus. Sie sind mit einer speziellen, von der Firma entwickelten Schalungstechnik aus Kunststoffschalung hergestellt. Allerdings bleibt nicht aus, dass sich, trotz einer Beschichtung durch Hydrophobierung, an exponierten Stellen durch die Bewitterung eine gewisse Patina bilden wird. Diese ließe sich bei Bedarf abwaschen.

Viele Diskussionen gab es um die Frage nach der Fugenbreite. Die Architekten hatten sich eine maximale Breite von 12 mm vorgestellt, die technisch zu viele Nachteile nach sich gezogen hätte. Allein für die Aufnahmen von Längendehnungen des Materials war ein Fugenmaß von 20 mm notwendig. Auch um einen nachträglichen Austausch einzelner Elemente sicher­zustellen, konnte das Maß nicht unterschritten werden. „Fugenmaß und Anzahl waren uns Architekten sehr wichtig. Sie waren für uns beispielsweise ein Argument gegen eine Natursteinfassade“, betont Projektleiterin Lasse. „Wenn es jedoch technische Notwendigkeiten gibt, muss man Kompromisse eingehen und nach neuen Lösungen suchen, durch die dennoch
die gewünschte Optik im Wesentlichen erhalten bleibt. Ich denke, das ist hier gelungen.“

Überhaupt war es bei diesem Projekt möglich, sehr dicht am Wettbewerbsentwurf zu bleiben. Bauherr, Architekt und GU haben von Anfang bis Ende an einem Strang gezogen und waren darum bemüht, die prämierte Architektur auch umzusetzen. Die konstruktive Zusammenarbeit aller am Bau Beteiligten zeigt sich auch in den sehr guten energetischen Werten des Gebäudes, die im Verlauf der Ausführung zu der, über das angestrebte Ziel hinausgehenden, sehr guten Bewertung geführt hat. Nina Greve, Lübeck

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