„Ophelis Schauraum“, Bad Schönborn

Mitten im Nirgendwo … Ludloff Ludloff, Berlin, haben in Bad Schönborn einen besonderen Hallenbau realisiert, dessen tatsächliches Potenzial erst der zweite Blick offenbart. Gut so!↓

„Bad Schönborn“, das könnte eine Erfindung sein. Die Wortkombination aus Schön und Born verspricht den Badereisenden Jugend und – wenn alles gut geht – Schönheit. Tatsächlich gibt es den Badeort, er ist keine Erfindung à la Thomas Mann, tatsächlich wurde er „erfunden“ im Kontext der baden-württembergischen Gemeindereform Anfang der 1970er-Jahre, als man die eigenständigen Orte Bad Mingolsheim und Bad Langenbrücken zu eben dem Schönen mit Jungbrunnenversprechen zusammenfügte.

Den Büro- und Arbeitsweltenausstatter „ophelis“ gibt es schon seit mehr als 100 Jahren. In Bad Schönborn hat das eigentümergeführte Unternehmen von der Produktion bis zu Vertrieb und Verkauf sämtliche Firmenbereiche untergebracht. Allerdings fehlte dem Unternehmen mit heute rund 160 MitarbeiterInnen, das sich selbst durchaus auf Augenhöhe mit vitra sieht, ein Raum, der neben einer angemessenen Produktinszenierung auch Räume hat, in denen mit neuen Ideen gespielt, in denen interne Schulungen oder Foto-shootings gemacht werden; ein Viel- und Allzweckraum, der den eher nüchtern sachlichen Bestand aus den 1950er-Jahren um etwas ganz Eigenes ergänzt.

Neben der Vorstellung, eine sehr eigene Architektur mitentwickeln zu wollen – der städtebauliche Kontext ist ein typisches Gewerbegebiet mit Niemandslandpotenzial – war den Bauherren klar, dass man einen Holzbau wollte. Nach einigen Recherchen und zuverlässigen Empfehlungen entschied man sich für das Berliner Büro Ludloff ­Ludloff Architekten. Deren Entwurf eines leicht gestreckten, eher flachen Volumens mit dunklem Sockel (Holzbretterfassade) und aufgesetztem, weiß schimmerndem Oberlichtband, passt einerseits sehr wohl in den Kontext mit heterogenen Gewerbebauten, irritiert andererseits sofort durch seine randgenaue Silhouette, die abgerundeten Ecken und einen Zugang, der sich aus der gerundeten Großform herauszurollen scheint und auf den Ophelis-Bestand zeigt. Einblicke in den Bau sind nicht möglich, bei Dämmerung und Dunkelheit strahlt das Oberlichtband in variierender Intensität. Die Konzentration nach Innen ist gewollt. Das, was gezeigt werden soll, wird in der „schauraum“ genannten Ausstellungshalle gezeigt.

Die betritt man durch den wie aus dem Volumen herausgebogenen Flur, der als geschützter Zugang schon vor der Eingangstür beginnt und sich hinter einer auf der leicht nach innen gesetzten Achse drehenden massigen Wand fortsetzt. Der Flur innen weitet sich hier zunächst in der Höhe und erlaubt erst an seinem trichterförmigen Ende den Blick in die große Halle. Die wird von zwei Stützenreihen mit vier beziehungsweise drei Y-Stützen gegliedert. Die hell lasierten Pendelstützen sind aus zwei transportfähigen Halbrahmen verbolzt und tragen jeweils ein Brettsperrholz­element von bis zu 15,20 m Länge (16 cm stark). Die Zwischenfelder werden mit kleineren BSH-Elementen gefüllt. Diese, wie auch die langen Deckenelemente, sind durch sternförmig angeordnete, pressverleimte Holzrippen (8 x 45 cm) verstärkt. Damit erhält man ein mehrachsig gespanntes Plattenbalkentragwerk, das so in der Regel nur beim Stahlbeton- oder Stahlbau zur Anwendung kommt. Die Stöße der vorgefertigten Deckenelemente wurden in den Momentennullpunkten geplant, so dass hier nur Schubkräfte übertragen werden. Damit konnte die Verbindung der einzelnen Plattenelement durch eine einfache Verschraubung während der Montage gewährleis­tet werden.

Ausgesteift wird das Tragwerk nicht über einen Betonkern oder die anliegenden Nebenräume. Architekten und Tragswerksplaner haben die Längsaussteifung dezent und logisch aus dem Entwurf heraus entwickelt: Die 1,3 m weit aus der geschlossenen, ringförmigen Wand in Holztafelbauweise kragenden Pfosten wirken als „eingespannte Stützen“, auf der die Deckenplatte plan aufgelagert ist. Dass diese Stützen eher als Gliederung des Oberlichtbands mit Polycarbonatstegplatten (6 cm) wahrgenommen werden und nicht als Teil des statischen Systems, macht den Wert der Planung aus. Der auf das Stützenraster zentrierte Konferenzsaal mit gerundet trapezoidem Grundriss übernimmt ebenfalls eine aussteifende Funktion.

Punktuell ist das flache Dach durch Oberlichter so unterbrochen, dass der Raum neben der Kunstbelichtung noch Tageslicht erhält. Die Architekten sehen hier die Fortschreibung ihrer Assoziation „künstlicher Baumkronen“ und einer Innenwelt nahe von Naturräumen. Ergänzt wird dieser lichte Wald (oder ist es eher der Forst?!) durch das schon angesprochene Volumen Konferenzsaal, das trotz seiner Größe – gut verpackt und zurückhaltend platziert – einen nicht unerheblichen Flächenanteil an der Halle hat. Dieser multifunktionale Raum hat Außenblickbezug, wie auch die Besprechungs- und Serviceräume, die auf der Nordseite des Volumens außen gut versteckt und mit deutlich niedrigerer Deckenhöhe direkt an die Halle angeschlossen sind.

Die Übersetzung und damit Fortschreibung eines Tragwerksprinzips auf den Holzbau, die feine, amorphe Herausarbeitung des Grundrisslichen, die Einfachheit und Logik der Fügungen und die Irritation durch das Besondere im Alltäglichen machen die flexibel nutzbare Ausstellungshalle zu eben dieser: klassischer Showroom und Treffpunkt für Gespräche, Weiter- und Fortbildung, für flexibles Zwischen- und Weiternutzen, für ­lebendiges Fortschreiben einer Unternehmensphilosophie, die auf Offenheit setzt und selbstverständliches Understatement. Und das in Bad Schönborn, einem Ort im Süden der Republik, den man von Speyer aus – Dom etc. – unbedingt einmal besuchen sollte. Willkommen ist hier jeder, der Neugier mitbringt. Be. K.

www.ludloffludloff.de
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