„Nachhaltigkeit bedeutet eine innovative, zukunftsfähige Architektur“
Jost Niesert zum Thema „Nachhaltigkeit“

Die Bevölkerungsdichte in den Städten steigt. Das zieht einen immer größeren Bedarf an Nahrungsmitteln in den Ballungsräumen nach sich. Warum nicht einfach einen Teil davon direkt in der Großstadt produzieren – an Ort und Stelle sozusagen? Jost Niesert nimmt sich dieser Alternative in seiner Diplomarbeit an und entwirft ein Vertikales Gewächshaus, das nicht nur Platz, sondern auch Ressourcen sparend Gemüse erzeugt.

Sie haben das Vertikale Gewächshaus entworfen. Was ist die Idee dahinter?

Die Zahl der Menschen auf der Erde wächst dramatisch, während gleichzeitig der bestellbare Boden - durch Überbauung, Überbeanspruchung und Kontamination - täglich knapper wird. Die Schweiz beispielsweise rechnet mit einem Bodenverlust von einem Quadratmeter pro Sekunde. Wir stehen daher vor der Herausforderung, auf immer weniger Boden immer mehr Nahrung zu erzeugen.

Hinzu kommt, dass bereits heute die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt – mit stark steigender Tendenz. Der Transport der landwirtschaftlichen Produkte zu den Konsumenten – oft über Tausende von Kilometern - verursacht immense Verkehrs- und Umweltpro-bleme. Im Vertikalen Gewächshaus gedeiht das Gemüse mehrstöckig vor Ort und kommt zudem ohne einen einzigen Krümel Erde aus.

Erläutern Sie bitte kurz Ihren Entwurf.

Bei meiner Standortwahl habe ich mich für Dublin entschieden, da Irland nahezu alles Obst und Gemüse importiert. Der Liberty Hall Tower, höchstes Gebäude und Wahrzeichen der Stadt, wird 2010 einem Neubau weichen. Mir war es wichtig, dieses geschichtsträchtige Gebäude zu erhalten und zu zeigen, dass augenscheinlich unwirtschaftlicher Bestand sinnvoll nachgenutzt werden kann.

Das Vertikale Gewächshaus zieht vor allem durch den Turm die Aufmerksamkeit auf sich, der durch seine Struktur und den sich darin bewegen­den Pflanzen ein markantes und Neugier weckendes Landmark darstellt.

Der Nutzer wird durch die frei zugängliche Erdgeschosszone, die als Markt- und Gastronomieebene funktioniert, in das Gebäude eingeladen. Über dieser Ebene überlagern sich die beiden Hauptfunktionen: Forschung und Information. Die als ‚L’ ausgeführten Gebäudeteile verschränken sich und schaffen Zonen für Kommunikation und Austausch. In ihrer Mitte formen sie das Atrium.

Der Gewächshausturm ist flexibel und platzintensiv gestaltet. Er birgt drei unabhängige, baugleiche Treibhäuser. Sie können in Bezug auf Licht, Temperatur, Luftfeuchte und CO2- Konzentration auf die jeweiligen Pflanzenkulturen abgestimmt werden. Die Pflanzen wachsen auf Hydrokulturen, die in Taschen auf einer Textilbahn angebracht sind. Diese Bahnen hängen an einem Transportsystem, das durch das Treibhaus führt und im Luftraum zwischen Bestand und der neuen, abgehängten Fassade die Geschosse wechselt. Per Computersystem werden die Pflanzen in die Position gebracht, die für Ihre Entwicklung am förderlichs­ten ist. Das System funktioniert wie ein Fließband, das den natürlichen Werdegang der Pflanze nachahmt.

Was verstehen Sie unter dem Begriff Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit impliziert zuallererst den schonenden verantwortungsvollen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen; aus fachspezifischer Sicht bedeutet Nachhaltigkeit für mich zudem eine innovative, zukunftsfähige Architektur, die das Gebot der Wirtschaftlichkeit mit dem Ideal einer humanen, lebenswerten Stadt verbindet.

Was macht das Vertikale Gewächshaus nachhaltig?

Der Entwurf sieht die Umwandlung von städtischen Abfallprodukten und Schmutzwasser in nutzbares Frischwasser und Energie vor. Durch eine Algenfassade am Gewächshausturm wird durchlaufend Bioethanol gewonnen. Die organischen Abfälle werden durch einen Fermentierungsprozess mit Schmutzwasser vergoren. Das entstehende Methan kann wie das Bio­ethanol zur Befeuerung der Heizzentrale des Gebäudes genutzt werden. Durch die lokale Herstellung von pestizid- und herbizidfreiem Gemüse fördert der Entwurf darüber hinaus den Umwandlungsprozess der Stadt in ein autarkes, nachhaltiges Ökosystem und trägt zur Scho­nung der schwindenden Landflächen sowie natürlichen Ressourcen bei.

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