Modulares Bauen
Holz und Holz-Hybrid

Zurzeit wird das erste modulare Gebäude für studentisches Wohnen in Berlin gebaut, genannt TOP, für das der Bauherr, die Berliner Immobilien Gesellschaft mbH berlinovo, ein eigenes Bausystem zur Verfügung hat. Die multidisziplinäre Entwicklung erfolgte feder­führend durch Arup im Auftrag der berlinovo; im Folgenden wird die „Geschichte“ des TOP erzählt.

Das 1 000-Teile-Haus

Das Forschungsprojekt LifeCycleTower aus dem Jahr 2010 (Abb. 2) beschäftigte sich mit dem Thema modulare Holzbausysteme im Hochhausbau. Gemeinsam mit dem österreichischen Developer CREE und dem Architekten Hermann Kaufmann hat Arup ein Konzept entwickelt, ein 20-geschossiges Hochhaus in Holzbauweise zu errichten. Der ursprüngliche Planungsansatz war, eine reine Holzbaukonstruktion einzusetzen.

Schon beim LifeCycleTower waren Vorfertigung und Modularität maßgebende Kriterien bei der Planung – die Arbeitshypothese waren 1 000 Bauteile für 20 Geschosse. Das Konzept sah Brettsperrholz- bzw. Brettschichtholzkonstruktionen für Decken, Stützen und den aussteifenden Kern vor. Innerhalb von wenigen Wochen wurde die Decken allerdings zu Holzbetonverbunddecken umgeplant, weil der Brandschutz und in noch stärkerem Maße die Akustik Masse und nichtbrennbares Material erforderten. Das Projekt wurde 2010 erfolgreich abgeschlossen und CREE realisierte (mit Hermann Kaufmann und lokalen Ingenieuren wie Merz, Kley und Partner) den LCT ONE.

Parallel wurde die Forschung von CREE/Arup fortgesetzt, um herauszufinden, ob andere Standorte für das LCT Konzept in Frage kommen. In Deutschland und der Schweiz kann das System fast unverändert eingesetzt werden, für den nordamerikanischen Markt wurde das Verhalten unter Erdbebenlasten untersucht (siehe Abb. 3 und 4). Das statische Konzept blieb dasselbe, durch die Anpassung der Verbindungen konnten die zusätzlichen Lasten aufgenommen werden. Auf Grund
lokaler Normen war eine Höhe von mehr als sechs Vollgeschossen damals nicht möglich. Ab 2012 entstanden die ersten Projekte basierend auf dem entwickelten Konzept.

Modulare Prototypen

CREE realisierte einige Projekte mit dem LCT Konzept. Hier möchte ich vor allem das LCT ONE erwähnen. Basierend auf dem Grundriss des Forschungsprojekts wurde ein „Viertel“-Grundriss realisiert, das Gebäude selbst ist achtgeschossig (Abb. 5). Mit dem Architekten Andreas Heupel plante Arup das Projekt H7 in Münster (Abb. 6), dessen Richtfest im Dezember 2015 stattfand. Dieses Bürogebäude ist sieben Geschosse hoch, das Normalgeschoss misst ca. 1 000 m² BGF. Beide Projekte werden durch einen Stahlbetonkern ausgesteift. Diese Ausführung wurde aus Kostengründen und auf Grund der vereinfachten Genehmigungsfähigkeit mit einem „nicht brennbaren“ Treppenhauskern gewählt. Der Stahlbetonkern und damit Ortbeton auf der Baustelle waren natürlich nicht ideal für Modularität, Wiederholung, Achsraster und die schnelle Montage der vorgefertigten Bauteile, aber das grundlegende Konzept war in beiden ­Fällen ein wichtiger Faktor für die niedrigen Baukosten und die schnelle Fertigstellung.

Herangehensweise

Im Folgenden haben wir das Thema Modularität hinterfragt. Als Fazit aus den realisierten Projekten folgerten wir für uns: Ortbeton in der Konstruktion ist langsam und „nass“.  Wir würden die Trennung der Gewerke Holz und Beton soweit wie möglich optimieren.

In Münster hatten wir noch ca. 15 % Vergussbeton eingesetzt. Das betraf die Fugen zwischen den Fertigteilen, den umlaufenden Ringbalken sowie verschiedene Bereiche ganz in Ortbeton wie Anschlusszonen am Stahlbetonkern und die zentrale Flurdecke.

Nach wie vor ist eine Decke in Stahlbeton (plus Holzunterzügen) unseres Erachtens aus akustischen Gründen die zu bevorzugende Lösung. Erste Tests im Rohbau in Münster haben gezeigt, dass Tritt- und Luftschalldämmung gut funktionieren. Weitere Untersu-

chungen nach erfolgtem Ausbau sollen uns helfen, das Holzbetonverbundsystem weiter bezüglich Akustik und Dynamik zu optimieren.

Wichtig ist die „trockene“ Herstellung – Fertigteile in Stahlbeton werden im Werk oder auf der Baustelle mit den Holzträgern schubfest gekoppelt. Hierfür untersuchen wir zurzeit die Schubverbindersysteme, die für eine trockene Montage zugelassen sind. Die Decken bilden Scheiben aus, um die Windlasten in das Aussteifungssystem (Kerne oder Wandscheiben zu leiten), dafür müssen die Fertigteile gekoppelt werden. In Münster wurde das noch über einen Ringbalken realisiert, bei Folgeprojekten wollen wir „trockener“ arbeiten.

Die Abstimmung mit den ausführenden Firmen und Herstellern ist wichtig. Die Diskussion über Details erlaubt es, der Fertigung entsprechend zu planen.

Generell gilt: „Weniger ist mehr“ und „je einfacher, je besser“.  Fertigung und Montage sollen die Bauweise vereinfachen und beschleunigen und gleichzeitig Kosten sparen.

Bedarf von Kleinstapartments

Allein im Raum Berlin werden in den nächsten Jahren über 2 500 Studenten Apartments und mehr als 10 000 Flüchtlingsunterkünfte benö­tigt. Diese Tatsache führte zur Entwicklung des TOP, kurz für Technisch Optimierter Prototyp.

Von der Immobilien Gesellschaft mbH berlinovo wurde u. a. Arup beauftragt, ein modulares System zu entwickeln, dass die Errichtung dieser Unterkünfte schnell, wirtschaftlich und nachhaltig ermöglicht und dabei einen hohen Wohnkomfort auf kleinstem Raum realisiert. Gemeinsam mit einer Gruppe externer Experten wurde ein Konzept für ein wirtschaftliches und nachhaltiges Gebäudekonzept entwickelt, das in großen Mengen und schnell gebaut werden kann:

– Raum- und Modulgrößen

– Nasszellen als separates Modul

– Höhe bis acht Geschosse in der

Gebäudeklasse 5

– Brandschutz F90B, Nachweise nach Norm, keine Z.i.E.

– Maximale Vorfertigung

– Geringe Betriebskosten

– Nachhaltigkeit

– Hoher Komfort

Die Bewertung der untersuchten Varianten erfolgte nach einem von berlinovo vorgegebenen Schlüssel (siehe Tabelle 1). In einer umfassenden Matrix wurden die einzelnen Konzepte einander gegenübergestellt und bauelementeweise bewertet. Exemplarisch für eine Variante dargestellt und auf den Bereich der Wandkonstruktionen beschränkt, sieht ein Ausschnitt der Tabelle wie in Tabelle 2 aus. Aus der Auswertung der Matrix entstand als beste Variante der Technisch Optimierte Prototyp. Dieses Konzept betrachtet „nur“ die typischen Apartments und ermög­licht eine beliebige Anordnung der Räume auf einem gegebenen Grundstück. Der zweite Teil des Konzepts ist die jeweilige Anpassung an das vorgefundene Grundstück selbst. So sind zum Beispiel Baugrundverhältnisse nicht einheitlich oder es gibt unterschiedliche Erschließungskonzepte. Diese lokale Anpassung macht unseres Erachtens einen Anteil der Planung in der Größenordnung von 20 % aus.

Was bedeutet Modularität in der Praxis? Was können wir aus den realisierten Projek-ten lernen? Wir gehen davon aus, dass der Begriff Modul sich im „Leben“ eines Gebäudes durchaus ändern kann. Möglicherweise wird eine Einheit als Modul gefertigt, zur Baustelle transportiert und dort aufgestellt.
In der Folge kann es aber passieren, dass Module umgenutzt werden, dann entfallen zum Beispiel Trennwände, hier erfolgt dann ein Rückbau in Einzelteilen. So wurden die folgenden Elemente entwickelt:

Eine Teilunterkellerung und eine Bodenplatte wird in Ortbeton hergestellt. Hier ist der Einsatz von Vollfertigteilen nicht sinnvoll, weil der Aufwand bei der nachträglichen Abdichtung von Fugen zu hoch ist. Eine Ortbetongründung ist wirtschaftlicher als die Montage großer Fertigteilfundamente und auch hier gibt es das Thema Fertigteil-Fugen. Bis OK Gelände wird also ganz traditionell gebaut, Bauelemente bzw. Baumodule sind hier nicht sinnvoll.

Eine Deckenplatte in Stahlbeton mit einem schwimmenden Estrich, der ggf. auch als
Heizestrich ausgeführt werden kann. Hier sind die entscheidenden Parameter Akustik und Brandschutz. Die Platte wird als Fertigteil hergestellt und auf der Baustelle montiert. Die Fugen müssen für den Schallschutz und die akustischen Anforderungen vergossen werden, die Ecken der Platten werden über einbetonierte Stahlanker gekoppelt, um die ­Deckenscheibenwirkung herzustellen.

Eine Fassade in Holzmassivbauweise. Hier wird im Moment noch die Verwendung von Brettsperr- bzw. Brettschichtholz geprüft.
Zusammen mit einem Wärmedämmverbundsystem ergibt sich somit für die Fassadenbauteile ein nur dreilagiger Aufbau (Holz – Dämmung – Putz), was die Fertigung erleichtert und eine „atmungsaktive“ Gebäudehülle ermöglicht, was unsere Bauphysiker sehr positiv bewertet haben. Die Tragkonstruktion wird als F 90 B nachgewiesen, das heißt im Brandfall Verlust von ca. 60 mm Holz durch Abbrand.

Die Wohnungstrennwände sind aus Schallschutzgründen zweischalig. Diese können als Massivholzplatten in Brettsperrholz, als Ständerwand mit Gipskartonbeplankung oder als offene Rahmen hergestellt werden. Die letzte Variante ist für eine Nachnutzung mit Zusammenlegung einzelner Räume ­vorgesehen.

Der Abschluss des Raumes zum Flur hin ­besteht aus einer tragenden Brettsperrholz-Wand, in der die Tür angeordnet ist, einer Brettschichtholzstütze und dazwischen einem breiten Technikschacht auf der Rückseite der Nasszelle. Auf der Flurseite wird eine durchgehende GK-Ständerwand vorgesehen, der Schacht ist ebenfalls eine Gipskartonkonstruktion.

Das Badezimmer wurde bei unserem Konzept als komplett vorgefertigte und vorinstallierte Nasszelle vorgesehen.

Die Studie mit den Ergebnissen unserer Arbeit und der externen Experten wurde in eine Ausschreibung für den TOP umgesetzt, zusätzlich ergänzt durch eine Ausschreibung für die lokale Anpassung an das Grundstück, auf dem das erste Apartmenthaus für Studenten der berlinovo in dieser Bauweise ­errichtet werden soll.

Das erste Apartmenthaus für Studenten

Die erste Umsetzung des Konzepts erfolgt zurzeit für ein Apartmenthaus für Studenten mit ca. 140 Einheiten. Die ausführende Firma ist die Brüninghoff GmbH Co. KG, die sich im Bieterverfahren durchgesetzt hat, Arup erbringt als Subunternehmer die Fachplanungsleistungen für die Tragwerksplanung, Brandschutz, Bauphysik und Akustik. Unsere Architekten haben Brüninghoff bei der Entwicklung und Präsentation des Fassadenkonzepts unterstützt.

Gleich bei der ersten Realisierung zeigt sich weiteres Optimierungspotential. Das geplante Projekt ist „nur“ sechs Geschosse hoch. Auf Grund seiner Lage an einer stark befahrenen Straße und den resultierenden Erfordernissen des Schallschutzes werden zwei Giebelwände fensterlos ausgeführt und durch den Gebäudegrundriss in U-Form ergeben sich weitere opake Wandflächen.

Das Aussteifungssystem wurde angepasst, die Fassade übernimmt nun als Lochfassade alle Aussteifungskräfte. Durch den Grundriss stehen Aussteifungswände in kurzen Abständen zur Verfügung, die Scheibenkräfte in den Decken bleiben so relativ niedrig. Die Koppelung der Deckenscheiben wird gerade auf eine „trockene“ Koppelung ohne einbetonierte Bewehrung umgeplant. Die Tür zum Apartment sowie der Technikschacht nehmen 80 % der rückwärtigen Wandfläche ein, sodass eine tragende Wand nicht mehr sinnvoll ist. Die flurseitige Tragkonstruktion wird über zwei Stützen in Brettschichtholz realisiert. Die Deckenplatte und ihre Tragkonstruktion sollen noch „einfacher“ werden, um den Bauablauf weiter zu beschleunigen. In Abstimmung mit der ausführenden Firma werden die Deckenplatten nun mit einem kleinen Randunterzug versehen, dadurch entfällt der Holzriegel an den Trennwänden und die Montage wird etwas schneller durch Entfall einer Komponente.

Das Brandschutzkonzept für die Apartmenthäuser für Studenten sieht keine Kapselung der tragenden Holzbauteile vor. Das Tragwerk wird für den Brandfall bemessen unter Berücksichtigung der Abbrandrate, wie sie im Eurocode definiert ist, so kann auf Zustimmungen im Einzelfall verzichtet werden.

Das erste Projekt TOP hat intern bereits die Revisionsnummer 2.0 erhalten, weil sich zeigt, dass viele Komponenten in der Anpassung an den finalen Standort noch optimiert werden können. Die einzelnen Elemente
werden trocken gekoppelt, an vielen Verbindungen ist eine einfache Lagesicherung ausreichend. Mit der gewählten Konstruktion sind die mit dem Konzept TOP gebauten Gebäude höchst flexibel in der Nutzung, so das Räume nahezu beliebig kombiniert und zusammengeschaltet werden können.

Das Innenraumrendering (siehe Abb. 10) zeigt den Planungsansatz, der unter Berücksichtigung von diversen anderen Sachverhalten letztlich den Bauherrn auch von der vorgeschlagenen Ausführung überzeugt hat:

Der Raum zeigt die verwendeten Baustoffe, die Holzfassade bietet eine zusätzliche Sitzgelegenheit, bei der die Vorteile der Holzkonstruktion erfahrbar werden, die Stahlbetondecke speichert (passiv) Temperatur, die im Sommer die Räume (etwas) kühler und im Winter länger warm hält.

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