Massiv gemauert
Cluster House Hunziker Areal, Zürich/CH

Mit der Überbauung „mehr als wohnen“ zeigten die Zürcher Wohngenossenschaften 2015, wie zeitgenössisches Wohnen im 21. Jahrhundert organisiert werden kann. Duplex Architekten stellten sich der Herausforderung, die sechs Geschosse hohen Gebäude mit Außenwänden als monolithisches Mauerwerk aus gefüllten Leichtbauziegeln zu konstruieren.

2007 feierten die für Zürich prägenden Wohnbaugenossenschaften 100 Jahre gemeinnützigen Wohnungsbau. Statt sich mit dem Status quo zufriedenzugeben, beschloss man ein Zeichen zu setzen. Als Folge eines internationalen Ideen­wettbewerbs zum Thema „Wie wohnen wir morgen?“ entstand die Über-Genossenschaft „mehr als wohnen“ aus 55 Zürcher Wohnbaugenossenschaften. Sie erwarb das Areal der ehemaligen Betonelementefabrik Hunziker im rauen, aber aufstrebenden Nordosten der Stadt im Baurecht und die Stadt Zürich schrieb einen mehrstufigen Ideenwettbewerb für die Gestaltung des 41 000 m2-Grundstücks inklusive der Bearbeitung eines exemplarischen Einzelgebäudes aus. Das Ziel: neue Wohnformen, die Anforderungen der 2000-Watt-Gesellschaft und Optimierungen im Bau- und Planungsprozess umzusetzen.

Dicke Dinger

2009 gewann die Arbeitsgemeinschaft von Duplex Architekten und Futurafrosch die Konkurrenz mit dem Claim „Quartier statt Siedlung“. Ihr Projekt sah 13 asymmetrische, rund 30 x 50 m große „Kisten“ vor, die so über das Areal verteilt sind, dass ein tatsächlich städtisch anmutendes Netz aus Straßen, Plätzen und Gassen entsteht.

Von Anfang an stand fest, die drei nächstplatzierten Teams Müller Sigrist Architekten, Pool Architekten und das Architekturbüro Miroslav Šik in die Weiterbearbeitung miteinzubeziehen. Für den Außenraum zeichneten die ebenfalls prämierten Müller Illien Landschaftsarchitekten verantwortlich. In der an den Wettbewerb anschließenden halbjährigen Dialogphase erstellten die Beteiligten ein Gestaltungsreglement für das Areal, unter anderem mit Vorgaben für die Fassadengestaltung und Adressbildung sowie für die Nutzungsverteilung der rund 7 000 m2 Gewerbeflächen im Erdgeschoss. Anschließend vergab man die Bauten an die einzelnen Büros: Jedes Team außer den beiden Gewinnern erhielt zwei benachbarte Bauten sowie ein möglichst weit entferntes Haus, um einen formalen Zusammenhalt über das ganze Quartier zu erreichen.

Die Mehrzahl der Häuser besteht aus einer Massivkonstruktion mit Wärmedämmverbundfassade. Vor dem Hintergrund, den Bau als angewandte Forschung zu betrachten – Stichwort „Optimierung im Bauprozess“ –, wurden alternative Konstruktionen vorgeschlagen: So entstand unter anderem das Haus G von pool Architekten als Dämmbetonkonstruktion. Duplex Architekten entschieden sich bei Haus A und Haus M für eine monolithische Einsteinmauerwerkskonstruktion.

Wie im Großen so im Kleinen

Haus A fungiert dabei auf mehreren Ebenen als Innovationskatalysa­-tor, auch beim Raumprogramm: Die Architekten konzipierten die Grundrisse als Clusterwohnungen: Auf jeder Etage des sechsgeschossigen Baus verteilen sich zwei 320 – 400 m2 große Wohnungen, mit Gemeinschaftsflächen und privaten Einheiten mit Kleinküche und privatem Bad als Rückzugsmöglichkeit. Das Haus-im-Haus-Prinzip wirkt wie eine skalierte Version des Arealplans. Bewohnt werden die elf Groß-Wohngemeinschaften von acht bis zwölf Bewohnerinnen und Bewohnern.

Diese Wohnform, die heute eine urbane Realität abbildet, erwies sich allerdings als unerwartet komplex: So existierten noch keine spezifischen Brandschutznormen für Großwohnungen, nur solche für Heime oder Familienwohnun­gen – mit beidem ließen sich die Gemeinschaften nur schwer in Einklang bringen. Die Planer und die Genossenschaft als Vermieterin gingen hier pragmatisch-kreativ vor: Die Mieter jeder Einheit sind heute als Verein organisiert.

Eine Schicht für alles

Für die Konstruktion wählten die Planer einen Leichtbauziegel mit Perlit-Füllung, einem mineralischen Dämmstoff aus glasartigem, vulkanischen Gestein, das unter Hitze aufgebläht wird – ein Novum für einen Bau in dieser Größe und Höhe, der Herstellern und Planern einiges an Forschungs- und Entwicklungsarbeit abverlangte.

Die planerische Herausforderung ist die gleiche wie beim Dämmbeton: Je besser die Dämmleistung, desto schlechter das Tragverhalten. Die Bauten auf dem Areal waren gemäß dem mit dem Passivhaus vergleichbaren Standard Minergie-P-Eco zu erstellen (wenn auch ohne Zertifikat), es ergab sich also einen Zielkonflikt. Darüber hinaus existierten maximal dreistöckige Gebäude aus dem in der Schweiz bis dato kaum verwendeten Stein.

Für das monolithische Mauerwerk ohne zusätzliche Außenwärme­dämmung sprachen hingegen die Kompaktheit des Volumens und der Wunsch der Architekten, der grassierenden Technisierung von Gebäuden eine eigene Position entgegenzusetzen. Zudem ist der Stein vollständig rezyklierbar und er ermöglicht eine diffusionsoffene Bauweise, was sich in einem angenehmen Raumklima niederschlägt.

Um die guten bauphysikalischen Eigenschaften
des Steins – neben der Wärmeleitfähigkeit von λ = 0,07 –
0,08 W/mK sorgt das Perlit auch für guten Schallschutz – möglichst vollständig zu erhalten, werden die 248 x 490 x 249 mm großen Blöcke nicht im Mörtelbett gesetzt, sondern an den Vertikalfugen per Nut und Feder fixiert und horizontal im Läuferverband mit einer 1 – 2 mm dicken luftdichten Dünnbettmörtelfuge verklebt. Und auch für die
statische Frage fanden die Planer eine Lösung: In den unteren drei Geschossen setzte man einen Stein mit einer Druckfestigkeit von 4,2 N/mm2 und einem Lambdawert von 0,08  W/mK ein, in den drei oberen Geschossen veränderte sich das Verhältnis zu 3,4 N/mm2 bei  0,07  W/mK.

Generell galt es Gewicht zu reduzieren. Die Decken bestehen daher nur aus 20 cm Stahlbeton, auf Einlässe für die Lüftungen, die eine stärkere Dicke bedingt hätten, konnte man dank vertikaler Erschließung im Kaskadensystem verzichten. Die Erdbebensicherheit gewährleisten auf jedem Stockwerk Stahlbetonwände zum Treppenhaus, das Untergeschoss ist als Weiße Wanne ausgebildet. Um den Verschnitt zu minimieren und die Dämmleistung der Steine zu erhalten, sind alle Proportionen des Baus – Wandmaße, Öffnungen, Laibungen – auf das Steinmaß hin abgestimmt. Das bedingte einen ebenso hohen Planungsaufwand wie Sichtmauerwerk, minimierte aber den Aufwand auf der Baustelle.

Wer nun eine rotbraune Ziegelfassade erwartet, wird enttäuscht. Zwar war es anfangs ein Wunsch der Architekten, den Stein auch zu zeigen. Seine mangelnde Witterungsresistenz ließ das jedoch nicht zu. Stattdessen ist der Bau mit mehreren Schichten sandfarbenem Kalkzementputz überzogen sowie mit einem Waschputz als Deckputz. Mit ihren französischen Fenstern erinnert die „Kiste“ an südländische Vorbilder, passend platziert am zentralen Platz der Siedlung.

Auch was die Energieversorgung angeht, betrat man Neuland:

Genutzt wird die Abwärme aus dem benachbarten Rechenzentrum der Stadt Zürich, mit einem Fernwärmeanschluss als Back-up, falls die Server einmal ausfallen. Strom liefert die 3 000 m2 große PV-Anlage auf den Dächern.

Experiment geglückt?

Die Erfahrungen mit dem Stein sind trotz des hohen Planungsaufwands positiv: Aufgrund der Reduktion auf eine Schicht konnten Sekundärkonstruktionen ohne Hilfsmittel angeschraubt und der Putz direkt aufgebracht werden. Im Unterhalt soll die Bauweise unkompliziert sein. Die Erfahrungen von Haus A konnten die Architekten beim Bau von Haus M verfeinern – was dort aus statischen Gründen z. B. im Erdgeschoss zu einer Zweischalenkonstruktion aus Backstein und Stahlbeton führte. Wie der Bau im Vergleich zu seinen Nachbarn altern wird, wird hingegen erst
die Zeit weisen. Tina Cieslik, Bern

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