Kulturschock aus Downunder
MTC Theatre und Melbourne Recital Centre, Melbourne/AUS

Das Australische Architekturbüro ARM (Ashton, Raggat, Mc Dougall) liebt es mit architektonischen Formen und Material zu experimentieren und zu spielen. So entstanden in Melbourne zwei Bauten, die sich wie zwei ungleiche Schwestern präsentieren. Die eine darf man verschlossen, die andere auffällig und übermütig nennen.

Was der Bilbao-Aspekt ist, weiß heute jeder der das Feuilleton liest; was nun ist ein Melbourne Effekt? Ein noch gigantischeres Bilbao, entworfen von vielen Architekten für viele neue Kulturbauten – allerdings ohne internationale Architektenstars. Trotzdem ist Australiens zweitwichtigste Stadt ein bisschen wie ein bunter Architekturzoo geworden: Das Melbourne Arts Centre schultert beispielsweise eine Stahlkonstruktion, die wie der Pariser Eifelturm aussieht, nur nicht ganz so hoch ist. Oder in Melbournes Herzen umwabert ein Kranz aus wild gefalteten Museumshäusern den Federation Square. Wegen der schrägen und dekonstruktiven Elemente könnte man den New Yorker Architekten Daniel Libeskind als Paten vermuten. Aber die auffällige Fassadengestaltung auf einem einfachen geometrischen Grundsystem mit Glas, Zink und Sandstein, mit Auslassungen, Vorsprüngen und Faltungen ist home made in Downunder. Es ist eine heftige Herausforderung an die Sehgewohnheiten der Passanten, die ihren Augen nicht recht trauen wollen, weil sie gerade noch durch die geordnete Rechteckwelt der Downtown gewandelt sind. In den letzten zehn bis 20 Jahren ist eine stattliche Anzahl öffentlicher Bauten wie Messe- und Ausstellungshallen, Museen oder Theater gebaut worden und die weltweite Wirtschaftskrise scheint kein Hindernis für weitere Pläne zu bilden. Man kann behaupten: Sie alle zusammen sind mutige Botschafter und Bausteine der australischen Kultur-, Design- und Architekturmetropole, zu der sich die Stadt an der weiten Port Phillip Bay selbst erklärt hat.

Ein besonders guter Humus für neue Architekturideen ist wohl in Southbank, südlich von Down Town und Yarra River, zu finden. Dort haben die Architekten von ARM (Ashton Raggat McDougall) gerade in einem Doppelcoup den Kulturbauboom mit zwei illustren Hausskulpturen gekrönt – mit dem Sitz für die Melbourne Theatre Company und dem Melbourne Recital Centre. Nicht unter einem Dach, sondern als ungleiche Schwestern. Die eine mit zwei Theatersälen (Sumner Theatre 500 und Lawler Studio 150 Plätze für das MTC Theatre), die andere für das Melbourne Recital Centre (mit einem Kammermusiksaal als klassische Schuhschachtel für 1 000 Besucher). Eine „Schwester“ darf man die verschlossene, die andere die übermutige nennen. Das ist jene, die dem MTC, dem Theater dient. Besonders in nächtlicher Illumination zeichnen sich dort tanzende und blitzende Kristalle am Melbourne Himmel ab. Es ist eher eine Installation als ein Haus.

Schlüssiger Entwurfsprozess

Was aus der europäischen Ferne vielleicht überinstrumentiert und undiszipliniert wirkt, vielleicht auch von einigen Kollegen als zu verspäteter me to Effekt abgetan wird, ist ein in sich schlüssiger Prozess architektonischer Entwurfsarbeit: eine Reflexion jenes Großstadttyps, der amerikanische Down Town Effekte mit europäischer Kleinteiligkeit verbindet, der die Vielfalt und Wichtigkeit von Bildung und Kultur in die Stadt bringt, aber geprägt wird vom amerikanischen Gedanken der Kulturzentren mit mehrfach Nutzen. Center. Ein Mix aus schüttelt aus bunter US-Strip Architektur und traditionellen europäischen Bauideen.

Das MTC Theatre

Der Theaterbau ist wieder so ein Bauwerk, das mit den Sehnerven der Besucher spielt und an ihnen zerrt, denn es herrscht Unklarheit: Was ist hier Bauwerk, was Installation, was einfach nur Luft? Denn das Hauptgebäude wird vom einem Rahmenwerk umspielt: Das ist größtenteils sehr zackig auf die Fassade aufgebracht. Nachts glimmen und glühen dessen Rahmen mittels integrierter Neonleuchten schrill und alles wirkt dreidimensionaler als es ist. Der eigentliche Theaterbau steckt hinter einer schwarz eloxierten Fassade aus Aluminium und ist konservativer und einfacher gebaut als er in der Nacht wahrgenommen wird. Die Architekten von ARM erklären ihre Vorgehen mit ihrem Spieltrieb und der Pflicht, innovativ zu sein: „Wir sind ein konservatives Land, die Queen ist unser Staatsoberhaupt, wir haben viele Gründe, Dinge zu ändern und deswegen wollen wir architektonisch experimentieren, vor allem an der Fassade und im Raum!“ Ein Schelm, der sich Böses dabei denkt.

Ernstzunehmender ist die Erklärung, dass das Spiel aus dreidimen­sionalem Schein und zwei dimensionalem Sein als Paar aus Raum und Kulisse gleichermaßen im Theater als auch in der Architektur zuhause ist. Das Haus ist wie eine Inszenierung, die die gewöhnlichen Insignien von Hochkultur in Frage stellt. Auf diese Weise ist das Thema der „Schwellenangst“ geschickt umgangen worden, denn ein Kulturherrschaftsbau sieht wie das Burgtheater in Wien und nicht so aus. Das ist hier Showtime und Unterhaltungsarchitektur für die Nacht. Gäste aus Europa regt sie an und auf und verleitet zur Frage, ob es denn eigentlich nur Augenwischerei sei und in Zeiten der Nachhaltigkeit nun alles andere als State of the Art? Eben eine schlecht gemachte Kopie von Bilbao, nur Jahre zu spät? Nein, es ist der ehrenhafte Beitrag, es mit eigentlich klassischen Architekturtugenden wie Neugier und Lust zu versuchen, die wir in Deutschland, Schweiz oder Österreich, den Ländern der eleganten Kisten, häufig vermissen.

Die Innenraumkonzeptionen

Innen setzt sich diese kecke Sprache in den Lobbys und Treppenhäusern fort und lebt von den Theaterfarben Schwarz und Rot und von ineinander gesteckten spitzen Formfolgen, die die Räume der Foyers, Restaurant oder Bar bilden. Im Saal selbst kommt der Farbe Rot eine besondere Rolle zu, aber es herrscht dennoch stilistische Ruhe im Raum – funktional und dienend ist das Milieu: Das neue Zuhause des MTC sei ein Theaterraum, der voller neuester Technik vor und hinter den Bühnen stecke, erläutern die Architekten. Es ist der gut funktionierende Spielplatz für die Melbourne Theatre Company und der Universität von Melbourne, die sich Spielformen von klassisch bis utopisch widmen möchten – und hier können sie das.

Im Nachbargebäudekomplex mit dem Kammermusiksaal ändern die Komponisten von ARM die Tonart, aus Dur wird Moll und aus Forte Piano. Außen ist das Haus zugeknöpft und liefert nur zaghafte Hinweise auf den Inhalt, dass es dort um das Thema „Musik-Box“ gehen könnte. Mit Phantasie kann man die gläserne Front für eine große „Wurlitzerorgel“ halten, genauso aber auch wegen der vielen polygonalen Fensterrahmen sich an Bienenwaben erinnern. Ein schönes Bild, denn tief im Innern findet die Bienenkönigin ihren Platz im Musiksaal, geschützt und umlagert von anderen Kokons für Foyer, Treppenhäuser und wuchtige Toilettenanlagen. Wer in dieser Musikhöhle schwadroniert, vergisst bald die glühende Filigranität draußen am anderen Bauwerk, er erkundet eine Welt, die fatal an den Merzbaus des Dadaisten Kurt Schwitters erinnert und nicht endende Einfälle zum Thema Cocooning liefert.

Ein Raum mit fantastischer Akustik

Das Melbourne Recital Centre mit der Elisabeth Murdoch Hall und ihren 1 000 Sitzen macht mit seinen Ausstülpungen und Auskragungen deutlich, dass der Akustiker hier mit entworfen hat. Ein optimiertes Hörerlebnis, das optisch unterstützt wird, weil die durchgehende eichenhölzerne Hülle für Decke und Wände wie eine Verpackung wirkt, die die Töne festhalten will. Linien und Schichtungen des Holzes machen die akustischen Wellen plakativ deutlich. Die Architekten verweisen auf die berühmte Wigmore Hall in London als Referenz.

Sie wird wegen ihrer hervorragenden Akustik, vor allem für Kammermusik, als einer der besten Konzertsäle der Welt geschätzt.

Es geht um Themen wie Ambivalenz und Doppeldeutigkeit, um das sowohl als auch. Dabei ist die Gefahr Besucher, Musiker und Theaterleute zu überfordern gegeben, aber vielleicht wurde das bewusst durch die ARM-Architekten einkalkuliert, denn es gibt den Hinweis von ihnen, dass ihre Architektur eben wie das Theater immer gleichzeitig erzählend, bildhaft und realistisch sei, dass ihre Bauten also abstrakt und gleichzeitig konkret technisch werden müssen.

Und damit erklärt sich doch sehr rasch, dass eine Logik darin besteht, dass der leuchtenden und funkelnden Farbigkeit draußen dann drinnen in den Sälen Räume zur Meditation folgen. Orte der Konzentration und den Zuhörens und Zusehens. Laut und leise gleichzeitig.

Schade, dass man soweit reisen muss, um diese interkontinentale Lösung mit Mitteln aus alter und neuer Welt für ein Kulturzentrum selbst erleben zu können. Dirk Meyhöfer,Hamburg

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