Reflektierende Kupferfassade

Kloster Saint-François, Sainte-Lucie de Tallano/FR

Eine markante Materialsprache zeichnet die Revitalisierung des Klosters Saint-François in Sainte-Lucie de Tallano auf Korsika aus. Die Kupferoberflächen der ergänzenden Fassade verbinden sich eindrucksvoll mit der bestehenden Steinfassade und ergeben eine präzise ausgeführte Ergänzung des bestehenden Gebäudes.

Tief im Landesinneren von Südkorsika liegt das Dorf Tallano, das heute noch 250 Einwohner zählt. Etwas abseits vom Dorfkern gelegen, erhebt sich die im 15. Jh. erbaute Kirche mit dem dazugehörigen Kloster Sainte-Lucie, das mit der Zeit in einen ruinösen Zustand verfiel. Die Region beschloss, einen Wettbewerb für die Renovierung auszuschreiben, wobei ein attraktiver Ort für die Bevölkerung des Dorfs und der Umgebung geschaffen werden sollte. Das Lesen steht im Vordergrund dieser revitalisierenden Ambition, schließlich soll eine Bibliothek und ein Veranstaltungsraum für Lesungen geschaffen werden, der in den Sommermonaten auch für Kulturfestivals genutzt werden kann, wie im nahegelegen Altagène. Den Wettbewerb gewann die junge korsische Architektin Amelia Tavella, mittlerweile preisgekrönt, deren inniger Bezug zur Maquis-Landschaft und den alten Dörfern sich in der Sensibilität ihres Projekts widerspiegelt.

Anbau in erhabenen Ruinen

Das Kloster flankiert auf der einen Seite den Kreuzgang der Klosterkirche, während es sich auf der anderen zur Landschaft hin öffnet, mit weitem Blick auf die Berge des Alta Roca. „Eines war klar für mich: Ich wollte die Ruine weder abtragen noch wieder aufbauen, sondern einfach so behalten, wie sie ist“, erklärt Amelia Tavella entschieden ihre Entwurfsstrategie. Dabei musste die Ruine aber erst ertüchtig werden. Der Feigenbaum, dessen Wurzeln sich tief in die Steine verbohrt und letztendlich zum Bestand der Mauern mitbeigetragen hatte, musste vorsichtig entfernt werden. In einem langwierigen, behutsamen Renovierungsprozess wurde das Gebäude wieder in Stand gesetzt, in Absprache mit AC Perrot, einem mit der Denkmalpflege vertrauten Architekturbüro.

Der Anbau fügt sich organisch hinter den bestehenden Klos-termauern ein: „Ich habe mich an der ursprünglichen Volumetrie orientiert. Durch Mimesis habe ich die Silhouette des bereits existierenden Gebäudes nachgebildet.“ Allerdings hebt sich der Zubau eindeutig durch die Materialwahl ab. Die Kupferfassade – die mit der Zeit eine Patina erhält, wie die Klos-termauern und umliegenden Steine – scheint sich wie eine filigrane Haut hinter den dicken Steinmauern einzuschreiben. „Wie bei einer russischen Puppe liegen hier die Schichten der Zeit ineinander verschachtelt“, erklärt die Architektin, die alt und neu klar trennt und dennoch in Dialog treten lässt. „Ich sehe in der Menschenhand nichts Negatives, solange sie in Symbiose mit der Natur handelt“. Dennoch kein Pastiche, keine pittoreske Anbiederung, sondern eine klare Haltung, die dem Erhabenen des Klosters nichts anhaben kann, im Gegenteil: Eben dieses Gefühl will sie durch den Neubau stärken. Im Äußeren durch die Massivität des dunklen, monolithischen Kupferkörpers, der rätselhaft maßstablos wirkt und das Innenleben nicht erahnen lässt; im weißen Inneren durch die Lichtführung, die durch eine Vielzahl von quadratischen, in die Kupferhaut gefrästen Löchern an kleinteilige Kathedralenfenster erinnern.

Dies wird durch die Wegführung unterstützt: Von der an einem Olivenhain vorbeiführenden Straße kommend, sehen die Besucher:innen eine rötlich glänzende Metallbox, die sich hinter den Klostermauern hervorschiebt. Über einen hohen, aus der Doppelhaut ausgeschnittenen Bogen betritt man das Gebäude über eine an einem Ausstellungsraum vorbeiführende Treppe, die sogartig hinaufzieht, begleitet von Zenitallicht. Sie mündet im Empfangsraum (der auch als Mehrzweckraum dient), in dem eine weiße Treppe weiter nach oben führt, deren geometrische Linien in klarem Kontrast zu den alten Mauern stehen. Im dahinterliegenden Klostergewölbe wurde ein eindrucksvoller Raum für Lesungen eingerichtet, mit einem neuen Ziegelboden (die Lüftungsrohre sind diskret in Holzbänken versteckt). Ein Geschoss höher liegt die Bibliothek. Im Tageslicht, das durch die kleinen quadratischen Öffnungen ins Innere gelangt, befindet sich im Anbau eine Spielfläche für Kinder und eine Mediathek, während der Lesesaal im alten Kloster liegt, in stoischer Ruhe, mit Weitblick auf die Berge ringsum.

Im Kreuzgang ist ein großzügiger Veranstaltungsplatz mit Freilichtbühne angelegt. Hier können die Dorfbewohner:innen auch bei Prozessionen oder anderen Anlässen zusammenkommen, denn dieser Ort lädt zur Gemeinsamkeit ein.

Abstraktion bedarf einer komplexen Konstruktion

Hinter der abstrakten Fassade verbirgt sich eine komplexe Konstruktion, die einer sehr präzisen Feinarbeit bedurfte: „Die 1 mm starken Kupferbleche mussten von einer spezialisierten Firma mit sehr erfahrenen Handwerkern genauestens vorfabriziert werden, damit sie beim Einsetzen passen, was bei einer Renovierung nicht so einfach ist“, beteuert die Architektin. Die unregelmäßigen, in der Größe variierenden Löcher, die nach präzisen Plänen von einer Reihe zur nächsten leicht versetzt sind, um einen lebendigen Charakter zu erwecken, wurden mit Laser ausgeschnitten. So ist die Fassade je nach Nutzung mehr oder weniger transparent, an manchen Stellen (hinter denen etwa die Haustechnik liegt) gelegentlich auch ganz geschlossen; dennoch hat sie aufgrund ihrer durchgehenden Materialität einen einheitlichen Aspekt. Ist die Kupferhaut geschlossen, liegt dahinter (mit 47 cm Abstand) eine Blechwand; ist sie perforiert, befindet sich dahinter eine Verglasung, wobei die Perforation als Sonnenschutz wirkt. In jedem Geschoss sind Gitterroste in der Kontinuität des Bodens angebracht, um das Reinigen der Glasfassade zu ermöglichen. Auch beim Dach musste mit Sorgfalt ein spezielles Detail entwickelt werden, um eine möglichst abstrakte Form zu erzielen, was durch eine ins Kupferblechdach integrierte Regenrinne erzielt wurde. Die gesamte Konstruk­tion des Anbaus ist aus Stahl, denn der Architektin war es wichtig, dass ihr Gebäude reversibel ist – dass es wieder abgebaut werden kann, wenn seine Zeit vorbei ist. Diese bewusste Eingliederung in die lange, historische Zeit bedeutet, sich der Vergänglichkeit unserer Epoche bewusst zu sein, aber auch, eine bescheidene Haltung gegenüber dem bedeutenden Alter des Klosters einzunehmen.

Interessant ist auch der Umgang mit der Mauerstärke im Portikus des Kreuzgangs: In der Fortsetzung der bogenförmigen Säulenreihe wählte Amelia Tavella beim Anbau eine ebensolche Wandstärke und versteckt somit geschickt die Stahlstützen in der Doppelhaut. Sie schließt die Serie mit einem Bogen ab, dem letzten der Reihe, nur gibt es hier anstelle des mittel­alterlichen Kreuzgewölbes eine flache Decke, ebenfalls mit Kupferblechkassetten verkleidet.

Sempers Bekleidungstheorie findet hier eine aktualisierte Form, denn das Textile wird bei diesem Zubau zum dominanten Gestaltungsmotiv in seiner vorgehängten Funktion mit allseitig umhüllendem Charakter. Nicht die Struktur, die völlig verschwindet, sondern die Haut ist es, die die Hauptrolle spielt, um sich klar von der tektonisch gemauerten Massivität des Steinbaus abzuheben. Ist aber, wie Semper es darlegte, das Textile der eigentliche Ursprung der Konstruktion (und nicht etwa die Tektonik, die das textile Prinzip imitiert), dann könnte man hier ein dialogisches Spiel mit der Baugeschichte sehen, das den Faktor Zeit in die Krise bringt. Es entsteht ein spannendes Oszillieren von einst und heute, wobei Zeit und Materialität in eindrücklicher Weise die Protagonisten sind. Zum starken Raum des alten und neuen Baukörpers gesellt sich die Dimension der Zeit, die uns über die (Bau-)geschichte und unser Dasein sinnieren lässt. Susanne Stacher, Paris/FR

Projektdaten

Objekt: Sanierung & Erweiterung des Klos-ters Saint-François
Ort: Santa-Lucia di Tallano/FR

Typologie: Kulturraum

Inhaber: Collectivité de Corse,

www.isula.corsica

Architektur: Amelia Tavella Architectes

Bauzeit:
12.2017–05.2022

Grundstücksfläche: 2 500 m²

Grundfläche: 1 000 m²

Fachplanung

Tragwerksplanung: ISB Heizung: G2I

Beleuchtung: G2I

Elektroinstallationen: G2I

Innenarchitektur: Amelia Tavella Architectes

Ein Ort mit Identität generiert sehr selbstverständlich eine sensible und angemessene architektonische Einfügung. Weiterbauen im Bestand, zeitgemäß interpretiert und gekonnt bauplastisch, raumbildend und materiell inszeniert.«

DBZ Heftpartner:innen allmannwappner, München

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