Baugruppe Walden 48, Berlin

Keimzelle für den
Wohnungsbau

Innerstädtisch mit Holz zu bauen, ist noch immer nicht der Normalfall. Dabei sprechen Energie- und CO-Bilanz für sich. Vor allem der höhere Planungsaufwand schreckt ArchitektInnen wie Bauherr­Innen noch ab. Mit dem Projekt Walden 48 in Berlin zeigen Scharabi Architekten in Arbeitsgemeinschaft mit Anne Raupach nun, wie es gehen kann: mit vorgefertigten Bauteilen und individuellen Lösungen

Lage, Lage, Lage. Das mit dem alten Schlachtruf der Immobilienwirtschaft ist in der Hauptstadt so eine Sache. Denn längst geht es dort um innerstädtische Nachverdichtung. Und die gelingt besser mit guten Ideen als mit dem Fokus auf exklusive Baugründe. So zum Beispiel beim Projekt der Baugruppe Walden 48, die, fast noch im Schatten des Fernsehturms, die Bebauung eines äußerst schwierigen Terrains gewagt hat: Vorn rattern die Straßenbahnen im Minutentakt über das Gleisbett. Hinten raus finden auf dem Georgenfriedhof Berlinerinnen und Berliner seit mehr als 200 Jahren die letzte Ruhe. Und dazwischen sollte Wohnraum für neues Leben entstehen. Keine einfache Aufgabe.

„Wir haben uns 2013 auf das Grundstück beworben, das der Eigentümer auf der Suche nach neuen Ideen ausgelobt hat“, erzählt Susanne Scharabi, Gründerin des Berliner Büros Scharabi Architekten, das sie gemeinsam mit ihrem Mann Farid betreibt. „Da es damals noch keinen Bebauungsplan gab, hatten wir viel Freiheit beim Entwurf. Und die haben wir auch genutzt.“ In Arbeitsgemeinschaft mit der Architektin Anne Raupach entwickelten sie die Idee, flexiblen Wohnraum in Holzbauweise zu schaffen. Damals, vor acht Jahren, war das noch ein Novum für Berlin. Kaden Klingbeil hatten gerade einmal fünf Jahre zuvor den ersten Siebengeschosser aus Holz realisiert, seinerzeit noch in kreativer Auslegung der Berliner Bauordnung, die keine Antworten auf den Umgang mit dem Baustoff Holz geben konnte.

Hybride Konstruktion aus Beton und Holz

Heute sieht es da ein wenig besser aus, trotzdem ist noch viel Pionierarbeit zu leisten. „Wir haben uns letztlich für eine hybride Bauweise entschieden, weil es nach Abwägung der bautechnischen und ökologischen Argumente die wirtschaftlich sinnvollste Variante war“, sagt Susanne Scharabi. Das Ziel war jedoch, so wenig Beton wie möglich einzusetzen. Und so sind zwar das Kellergeschoss, drei der vier Treppenhauswände sowie Teile der Verbunddecken aus Ortbeton – die Treppenläufe, tragenden Schotten, Fassadenwände, ein Teil der Deckenkonstruktion und sogar die Fahrstuhlkerne dagegen aus Holz. Selbst bei bewährten Konstruktionen ist das heute noch nicht selbstverständlich. „Fahrstuhlkerne aus Holz haben wir zum Beispiel zuvor schon einmal bei einem Projekt realisiert – mit der gleichen Aufzugsfirma wie beim Projekt Walden 48“, erinnert sich Susanne Scharabi. „Allerdings gab es einen Wechsel in der Geschäftsführung. Und die beschied uns zunächst, dass sich die Konstruktion nicht für den Einbau eines Aufzugs eignet. Wir mussten also erneut Überzeugungsarbeit leisten.“

„Beim elementierten Bauen mit Holz müssen Architekten von Beginn an berücksichtigen, dass sie das Gebäude so entwerfen, dass Holz überhaupt zum Einsatz kommen kann“, sagt Roman Fritz, Geschäftsführer des Unternehmens Rubner Holzbau, das bei Walden 48 die Holzbauteile gefertigt und geliefert hat. Was nach einer Tautologie klingt, löst er so auf: „Egal ob beim Schallschutz, Brandschutz oder der Statik – Holz erfordert andere Lösungen als Stahl oder Beton.“ An der Schnittstelle zwischen Architektur- und Werkplanung müssten daher alle grundlegenden Entscheidungen bereits getroffen sein. Entweder von den ArchitektInnen selbst wie beim Projekt Walden 48, von einem hinzugezogenen Ingenieurbüro oder von den Holzbauunternehmen, die solche Leistungen vermehrt mit anbieten. Dabei gehe es nicht primär um besonders ausgefeilte BIM-Modelle allein. „Wichtig ist, dass die Generalplanung abgeschlossen ist, bevor die Pläne ins Werk gehen und dort synchronisiert werden“, erklärt Roman Fritz. „Wenn auf der Baustelle die Kettensäge ertönt, dann ist etwas schiefgelaufen zwischen den Planern und den Holzbauern.“ Das Problemlösen auf der Baustelle gelte es unbedingt zu vermeiden, will man die Effizienzvorteile elementierten Bauens voll ausspielen.

Lieferung der Bauteile just-in-time

Lohnt sich der erhöhte Planungsaufwand eigentlich für die Architekten? „Je gründlicher man plant, desto schneller geht es auf der Baustelle. Das spart Zeit und Geld, macht also wirtschaftlich Sinn. Die Kosten für den Quadratmeter BGF belaufen sich bei dem Projekt auf 1 500 €. Und das bei einer um drei Monate verringerten Bauzeit gegenüber einem konventionellen Projekt. Außerdem ermöglichte es der Baustoff Holz, den KfW-Standard 55 mit relativ einfachen Mitteln zu erreichen. Die Holzbauteile wurden ab Werk mit einer ökologisch und energetisch sinnvollen Holzfaserdämmung geliefert. Insgesamt 1 500 t CO₂, so rechnen die ArchitektInnen vor, binde das verbaute Lärchenholz im Gebäude. „Ab Werk können wir die fertigen Bauteile abgestimmt auf den Baufortschritt innerhalb von 48 Stunden liefern“, sagt Roman Fritz von Rubner Holzbau. Ein eigenes Auslieferungslager erhöhe dabei die Flexibilität, um auf Verzögerungen auf der Baustelle zu reagieren. Die just-in-time-Produktion sei möglich, weil auch große Holzbauteile leicht und damit einfach zu transportieren und zu montieren seien. Außerdem senke sie den Flächenbedarf auf der Baustelle.

Doch es sind nicht nur die harten Fakten, die über den Erfolg eines solchen Projekts entscheiden. Wohnkomfort, eine ansprechende Architektur sowie Grundrisse, die sich flexibel den jeweiligen Bedürfnissen der Bewohner anpassen, waren der Baugruppe min-destens ebenso wichtig. Und auf diesem Feld punkten die Archi-tektInnen, indem sie Vorteile des elementierten Bauens clever nutzten: Die vorgefertigten Schotten in Holztafelbauweise tragen die Last des Gebäudes. Alle 7,20 m gliedern sie den 60 m langen Baukörper und schaffen so große, 13 m tiefe Parzellen, welche die BewohnerInnen ganz einfach mit Trockenbauwänden ihrer jeweiligen Lebenssituation anpassen durften. „So konnten wir trotz der strengen Rasterung hoch individuelle Grundrisse für die Bewohner umsetzen“, sagt Susanne Scharabi. Selbst bei der Gestaltung der hofseitigen Fensterfronten ließen sich persönliche Wünsche berücksichtigen. Bei einem Eigentumsprojekt wie diesem sei es notwendig, den BewohnerInnen genügend Freiraum für Entscheidungen zu lassen. Scharabi Architekten wollen künftig jedoch auch ausloten, ob und wie sich der elementierte Holzbau durch strengere Vorgaben bei den Grundrissen auch für den Miet- und Sozialwohnungsbau erschließen lässt.

Fortschritte bei der Standardisierung

„Wir profitieren momentan noch davon, dass der Holzbau endlich politisch gewollt ist und dass die am Bau Beteiligten, von den Industriepartnern über die Zimmerleute bis zur Baugruppe hoch motiviert sind, ein solches Projekt zu einem glücklichen Ende zu bringen“, sagt Susanne Scharabi. Künftig werde es aber auch darum gehen müssen, mit standardisierten Verfahren und zertifizierten Baustoffen und Konstruktionen die Kosteneffizienz zu steigern. So verliefen etwa die Kabelschächte in früheren Projekten aus Gründen des Brandschutzes in einem eigens gefertigten Rahmen aus Beton. Die Holzbetonverbunddecken im Walden 48 machten diesen konstruktiven Trick überflüssig. Und bei einem aktuellen Projekt sei man bereits noch einen Schritt weiter und verwende Brandschottungen, die für den direkten Anschluss an Holzbauteile zertifiziert sind.

Ohnehin seien viele Kompromisse derzeit noch dem Brand- oder Schallschutz geschuldet. So auch bei den hybriden Decken, die in reiner Holzbauweise deutlich höher hätten ausfallen müssen, um das „Gestöckel“ und Möbelgerücke im Stockwerk darüber zu dämmen. Andererseits gibt es auch Schlupflöcher, die man nur zu nutzen wissen muss: So sind etwa die Fassaden nicht tragend ausgeführt und müssen daher nur dem niedrigen Brandschutzstandard F30 entsprechen. Auf der Südseite ist die Fassadenbekleidung aus Lärchenholz durch die Balkondecken unterbrochen und damit der Brandschutz gewährleistet. So konnten die ArchitektInnen den Baustoff erlebbar machen und gleichzeitig auf mineralischen Putz verzichten, was ästhetisch und wirtschaftlich ein Gewinn ist. Zur Straße wurde das Ständerwerk aus Schallschutzgründen zweischichtig ausgeführt. „Die graugrünen Schieferplatten ab dem 2. Obergeschoss der Straßen- und Westfassade haben als Unterkonstruktion eine Rauspundschalung“, erklärt Susanne Scharabi. Die Holzunterkonstruktion bilde eine Hinterlüftungs­ebene, bei der Brandriegel einen möglichen Kamineffekt im Falle eines Feuers unterbinden. Insgesamt sei die so erreichte geringe Tiefe der Fassaden ein Pluspunkt, da sie die nutzbare Netto-Grundfläche erhöhe.

Im vergangenen Jahr konnte die Baugruppe ihre 43, zwischen 55 und 165 m² großen Wohneinheiten beziehen. Über Erdgeschoss und erstem Stock erstrecken sich Maisonette-Wohnungen, die darüber liegenden sind mit Loggiabalkonen, die auf der Dachebene mit Terrassen ausgestattet. Einen Veranstaltungsraum, die Fahrradgarage im Keller, eine Dachterrasse und den Garten nutzen die BewohnerInnen gemeinsam – und schaffen sich so ihre eigene Toplage inmitten der umtriebigen Stadt. JA

Konsequenter Holzelementbau, fein gestaltet und stadträumlich wunderbar eingefügt, zwischen lauter Straße und leisem Friedhof. Differenzierter Umgang am Baukörper und konsequenter Einsatz der Schottenbauweise, ein Vorreiterprojekt im normengerechten gemeinschaftlichen Bauen.« ⇥DBZ Heftpartner ⇥Christian Olaf Schmidt und Markus Plöcker,

⇥Schmidtploecker Architekten

Baudaten

Objekt: Walden 48 – Neubau eines Mehrfamilienhauses in Holzbauweise
Standort: Landsberger Allee 48, 10249 Berlin-Friedrichshain
Typologie: Wohnungsbau (Mehrfamilienhaus)
Bauherr: Baugemeinschaft Walden 48 GbR
Nutzer: Baugemeinschaft Walden Architekt: Scharabi Architekten www.scharabi.de in Arbeitsgemeinschaft mit Anne Raupach,

www.anneraupach.com,
Mitarbeiter (Team): Susanne Scharabi, Farid Scharabi, Anne Raupach, Friederike Maurer, Frank Schönfeld, Francisco Torres Rojas, Alon Axelrod, Liron Master
Bauleitung: Frank Schönfeld, Susanne Scharabi, Friederike Maurer
Generalunternehmer Holzbau: Rubner Holzbau GmbH, Ober-Grafendorf, Österreich
Bauzeit: Januar 2018–Mai 2020

Fachplaner

Tragwerksplaner: ifb frohloff staffa kühl ecker PartG mbB, www.ifb-berlin.de
TGA-Planer: Syrius Ingenieur/-innengemeinschaft GmbH, www.syrius-planung.de
Akustikplaner: ALB Akustiklabor Berlin,

www.akustiklabor-berlin.de
Landschaftsarchitekt: Mania Lohrengel Landschaftsarchitektur
Energieberater: Ingo Andernach

Brandschutzplaner: Eberl-Pacan Gesellschaft von Architekten mbH, www.brandschutzplus.de
Thermische Bauphysik: Dipl.-Ing. Architekt Ingo Andernach
Projektsteuerung: Mauer Bauprojektmanagement, www.mauer-bauprojektmanagement.de

Projektdaten

Grundstücksgröße: 2 100 m²
Nutzfläche gesamt: 4 800 m²
Brutto-Grundfläche: 7 350 m²
Brutto-Rauminhalt: 23 800 m³

Baukosten (nach DIN 276)
KG 300 (brutto): 8 760 000 €
KG 400 (brutto): 2 647 000 €
Brutto-Rauminhalt €/m³ 480 €

Energiebedarf

Primärenergiebedarf: 33,64 kWh/m²a nach EnEV 2016
Endenergiebedarf: 25,19 kWh/m²a nach EnEV 2016
Jahresheizwärmebedarf: 13,77 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2016

Raummodule

Konstruktion: vorgefertigte Holzschotten und Brettsperrholzdecken, Außenwände als Holztafelbauelemente
Hersteller: Decken und Außenwände: Rubner Holzbau GmbH, www.rubner.com, Innenschotten: Stora Enso, www.storaenso.com
Vorfertigungsgrad: Vorfertigung Holzschotten und Holzteile der HBV Decken, Vorfertigung Außenwände mit Dämmung und UK für Fassadenbekleidung


Haustechnik

Die Themen der thermischen Bauphysik wurden in enger Abstimmung mit den an dem Projekt beteiligten FachplanerInnen bearbeitet. Beispielsweise weisen die Außenwände in Holztafelbauweise mit Doppelstielen nicht nur sehr gute dämmtechnische Eigenschaften auf, sie werden auch den dem Ort geschuldeten schallschutztechnischen Anforderungen gerecht. Ebenso wurden anlagentechnische Komponenten mit Blick auf Synergieeffekte zu anderen Disziplinen abgestimmt: Die Zuluft-Abluftanlage ist aus schallschutztechnischen Gründen notwendig, minimiert in Verbindung mit dem sehr guten Standard der thermischen Hülle aber auch den Heizwärmebedarf, so dass die übersichtlich bemessene, bivalent betriebene Sole-Wärmepumpe hohe Deckungsanteile liefern kann. Das Solefeld der Wärmepumpe ermöglicht es wiederum, eine passive Kühlung zu betreiben, die dem auf Grund der Außenschallsituation schwierigen sommerlichen Wärmeschutz (keine erhöhte Nachtlüftung über Fenster möglich) zu Gute kommt.

Hersteller

Dachdämmung: Foamglas, www.foamglas.com, Rockwool, www.rockwool.com

Abdichtung: Sarnafil, www.deu.sika.com

Innenschotten Holz: Stora Enso, www.storaenso.com

Wanddämmung: Steico, www.steico.com

Sonnenschutz: Hella Sonnenschutztechnik GmbH, www.hella.info/de

Türen/ Tore: Prüm, www.tuer.de, Reinaerdt,

www.reinaerdt.de

Bodenbeläge:

Linoeleum: Forbo, www.forbo.com

Holzdielen/ Parkett: Hinterseer, www.hinterseer.com

Fliesen: Mosa, www.mosa.com, Rehburger Betonwerkstein, www.rbm-rehburg.de

Sanitär: Hans Grohe, www.hansgrohe.de

Trockenbau: Knauf, www.knauf.de

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