Interview mit Christian Heuchel, Ortner&Ortner

Interview mit Christian Heuchel, geschäftsführender Gesellschafter O&O Baukunst
„Wir sind grundsätzlich immer für Umnutzung!“
www.ortner-ortner.com

Angesichts der Skandale um den Bau des Landesarchivs hatten wir in der Redaktion die Erwartung, zum Gespräch einen abgekämpften, angespannten und nur zögerlich antwortenden Architekten zu treffen. Das Gegenteil war der Fall. Der projektverantwortliche Christian Heuchel scheint Planung und Bau des Landesarchivs gut überstanden zu haben und wirkte bei der Beantwortung unserer Fragen souverän, entspannt und offen.

DBZ: Herr Heuchel, zu Beginn eine Frage zum Heftthema: Wie ist ihre allgemeine Haltung zu „Umnutzung“ versus „Abriss und Neubau“?

Christian Heuchel: Das muss natürlich im Einzelfall entschieden werden. Allgemein gilt allerdings: Wir sind grundsätzlich immer für Umnutzung! Naturgemäß müssen dabei häufig Kompromisse eingegangen werden – rein funktional sähe ein Archivneubau z. B. anders aus als das Gebäude, vor dem wir hier stehen. Die Archivare und Fördertechniker hätten am liebsten einen 1-geschossigen, quadratischen Baukörper von 300 m Kantenlänge auf einer grünen Wiese gehabt. Aber die Stadt und ihre Architektur folgen nie rein funktionalen, ökonomischen oder ästhetischen Belangen und das ist auch gut so.


Hat sich ihre Haltung in diesem speziellen Fall also bewährt?

Ja! Auch nach diesem Projekt halten wir unseren Ansatz immer noch für richtig. Was natürlich nicht heißen soll, dass es keine Probleme gab.


Welche Schwierigkeiten traten denn im Detail auf?

Im Fundament des Getreidespeichers haben wir beispielsweise einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Das war nicht vorherzusehen. Auch stellte sich erst im Projektverlauf heraus, dass die Konstruktion des Bestandsgebäudes zwar die vertikalen Lasten abtragen kann, die Durchbiegung der Geschossdecken aber ohne Ertüchtigung zu groß für das verwendete Regalsystem wäre. Viel größere Probleme haben dem Projekt aber ganz andere Dinge bereitet: z. B. wurden im Prozess die Flächen des Raumprogramms verdoppelt und das Klimakonzept neu gefasst. Auch der Einsturz des Kölner Stadtarchivs und der mit politischen Veränderungen einhergehende personelle Wechsel auf Entscheidungsebene haben das Projekt nicht einfacher gemacht – und diese Dinge haben mit der Frage nach Umnutzung oder Abriss wenig zu tun.


Wie gestaltete sich, vor dem Hintergrund der Projektgröße, die Zusammenarbeit mit den vielen Beteiligten?

Projekte dieser Größenordnung sind immer auch ein wenig verrückt. In den Baubesprechungen treffen Welten aufeinander. Baukünstlerische Aspekte beispielsweise, für die wir unter anderem eben auch stehen, sind einigen Projektbeteiligten vollkommen fremd. Um erfolgreich zusammenzuarbeiten, was wir im Übrigen getan haben, muss man im Prozess aufeinander eingehen, sich austauschen und annähern – unser Bild von dem eigenen Entwurf hat sich dabei natürlich auch verändert, und zwar positiv. Dass sich dieses Bild im Projektverlauf allerdings nicht vollkommen verflüchtigt, dafür muss man auch kämpfen.


Und wie haben Sie sich im Einzelnen für ihre Projektziele eingesetzt?

Es genügt bei Großprojekten nicht, nur Pläne abzugeben. Wer nur zeichnet, ist in derartigen Unternehmungen ein Schaf unter Wölfen. Erinnern Sie sich z. B. an das Pressefoto von Herrn Rüttgers mit unserem Architekturmodell? Das ist natürlich kein Zufall. Darauf haben wir auch hingewirkt. Und zwar damit dieses Foto unsere Idee von dem Projekt propagiert. Wenn solche Dinge auch nicht helfen, droht man dann als letztes Mittel eben mit Selbstmord (lacht).


Das klingt nach einer Art Überlebensstrategie für den Entwurfsgedanken. Gibt es die „O&O-Methode“ für Großprojekte?

Wir vermeiden es, gegen Windmühlen zu kämpfen und sparen ­un­sere Kräfte. Also bestehen wir z. B. nicht auf den Fliesenspiegel der Personaltoiletten, sondern konzentrieren uns auf die wichtigen Dinge. Und das Allerwichtigste ist, dass der Kern des Konzeptes den Planungs- und Bauprozess übersteht. Dafür ist es entscheidend, zu Anfang eben möglichst präzise eine robuste Grundaussage zu formulieren. Welche Tonalität die Aussage am fertigen Objekt bekommt, ist dann flexibel. Diese Flexibilität muss es geben, denn im Realisierungsprozess bestürmt eine Vielzahl neuer Anforderungen den Entwurf. Auf diese nicht eingehen zu können oder zu wollen, würde einen erfolgreichen Projektverlauf in jeder Hinsicht gefährden.


Wie lautet denn die Grundaussage ihres Entwurfes?

Wir haben gesagt, dass als Zeichen ein Turm gebaut und die Öffnugen des Bestandsgebäudes mit gleichem Ziegel zugemauert werden sollen. Dazu haben wir eine Kontinuität zwischen Archivturm und angrenzendem Bürogebäude vorgegeben. An diesen Dingen wollten wir unbedingt festhalten. Die Proportion des Turms z. B. aber haben wir immer flexibel gesehen. Bei einer erneuten Programmerweiterung wäre der einfach höher geworden, wie bei einem Diagramm.


Sie haben beim Landesarchiv „Künstlerische Oberleitung“ geleistet, während Hochtief ab LP 5 als Generalunternehmer tätig war. Wie lautet ihre Meinung zu dieser Art Arbeitsgefüge?

Wir denken, dass die Rollenverteilung in diesem Fall grundsätzlich richtig war. Hochtief verfügt über die richtigen Mittel für Großprojekte und hat sie als Generalunternehmer auch hochprofessionell eingesetzt. Wir glauben aber eben auch an die absolute Notwendigkeit unserer künstlerischen Leitung. Nur so ließ sich wirklich gewährleisten, dass das ursprüngliche Ziel nicht aus dem Blick geriet. Oder beispiels­weise zu verhindern, dass in den öffentlichen Bereichen des Hauses zehn verschiedene Weißtöne realisiert werden.


Hätten Sie sich manchesmal mehr Einfluss gewünscht?

Ja, natürlich. Ursprünglich war die Fassade des Erweiterungsgebäudes wie gesagt in Ziegel geplant, aufgrund der hitzigen Debatte um die Kosten haben wir einer Ausführung in Putz aber zugestimmt. Das war notwendig, um das Projekt nicht scheitern zu lassen. Die Putzfassade ist also vor allen Dingen politisch motiviert. Sie sollte die Gemüter abkühlen, unsere erhitzt sie jedoch eher. Denn die Ausführungsqualität ist leider überhaupt nicht in unserem Sinn.


Würden Sie aus heutiger Sicht etwas anders machen?

Wir würden versuchen, mehr Einfluss auf die Bauverträge zu nehmen. Die Schriftform eines Entwurfes gewinnt gegenüber der Planzeichnung immer mehr an Gewicht und wird auch für die Ziele der Architektur immer wichtiger. Unserer Beobachtung nach werden Entwurfsentscheidungen zunehmend auf DIN A4 getroffen.


Unsere letzte Frage: Sind Sie zufrieden mit dem Projekt?

Ja, ausdrücklich! Wir denken, dass die Versprechungen aus dem Wett­bewerb absolut erfüllt worden sind. Das Konzept hat sich als robust genug erwiesen und alle Stürme überstanden!

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