Einseitige Empfehlung

Das von Chipperfield Architects, in Zusammenarbeit mit Julian Harrap wiederbelebte Neue Museum in Berlin ist das mit Buchpublikationen in diesem Jahr wohl meistbedachte Gebäude. Die Komplexität des Neubaus, der sich dezidiert auf die Ruinenreste des Originals bezieht, erlaubt es einerseits, das Projekt von den unterschiedlichsten Seiten aus zu beleuchten. Andererseits liefert er Stichworte für die gerade in Deutschland heftig geführte Debatte um Rekonstruktion, Denkmalschutz und das Recht auf gefälschte Originale. Letzteres schafft nicht jedes Buch, nicht jeder möchte das aber auch.

Die hier vorliegende Publikation geht verschiedene Wege. Einmal wird über die hervorragenden Fotografien von Candida Höfer der Bau nach der Fertigstellung und vor seiner Einrichtung gezeigt. Die bei Tageslicht fotografierten Innenräume wirken in ihrer Struktur und kalten Farbigkeit abstrakt, ihr Detailreichtum allerdings verlockt zu ihrem längeren Studium. Dazu kommen immer wieder Aufnahmen des Originalzustandes, meist aus der Zeit kurz vor dem auch das Museum zerstörenden Weltkrieg 1939-45. Pläne am Ende des Bandes komplettieren das Abbildungsmaterial, anhand dessen sich ein erster und – mit eigenen Bildern aus eigener Anschauung im Kopf – durchaus authentischen Eindruck von der Vielgestaltigkeit und dem Geschichtenreichtum einstellt.

Neben die Bilder wurden seitenlange Texte von Autoren gestellt, die alle zum Thema Architektur, Denkmalpflege oder Zeitgeschichte etwas zu sagen haben. Die durch
die verwandte Themenlage erwartbare Re-dundanz hält sich in Grenzen, vielleicht hätte man den einen oder anderen Text deutlich redigieren können. Immerhin wird so auch ein Quereinstieg ins Themenfeld Wieder- und Neuaufbau etc. möglich. Das abschließende Interview mit dem Architekten Chipperfield gibt noch einmal einen tieferen Einblick in die Komplexität des Projektes wie in die des Bauens insgesamt; dass in dem Interview auch der Architekt lebendiger wird, als über jede Fotografie oder Kurzbiografie, ist nicht selbstverständlich, hier ist es gelungen. Zum Textteil kommt am Schluss noch eine Gebäudebiografie, die das vorher Beschriebene und im Detail Ausgeführte noch einmal strukturiert. So empfiehlt es sich tatsächlich, die pure Geschichte vor den anderen Geschichten zu lesen und vielleicht im Kopf zu haben.

Aus der Fülle der Publikationen diese hier zur ersten Lektüren zu empfehlen erreicht nur dessen Ohr, der über alles fein Gemachte, gut Gedruckte und umfassend Konzipierte hinaus die Einseitigkeit Chipperfields in seinem Ansatz des Wiederbelebens verträgt; wer sich hier kompetente Stimmen aus dem Kritikerlager gewünscht hat, wird enttäuscht. Doch wer genau hinsieht wird verstehen, dass es anders als in dieser Weise britischen Understatements kaum gegangen wäre!


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