Die vertikale Kleinstadt
Aufzugsplanung im ICC Hong Kong

Wolkenkratzer arbeiten sich in immer luftigere Höhen vor. Doch immer höhere Türme stellen nicht nur Architekten und Statiker vor neue Herausforderungen, auch die Aufzugsplanung wird stetig komplexer. Einerseits dürfen die Transportmittel nicht zu viel der wertvollen Nutzfläche in Anspruch nehmen, andererseits müssen ausreichende Förderkapazitäten vorhanden sein, damit ein optimaler Verkehrsfluss gewährleistet ist. Staubildung und lange Wartezeiten würden das gesamte Gebäudekonzept in Frage stellen.

Das im Jahr 2011 fertig gestellte Interna­tional Commerce Center (ICC) ist das höchste Gebäude in Hong Kong und das vierthöchste weltweit. Mit 484 m ragt das Hochhaus auf der Landzunge von West-Kowloon empor. Zu­sammen mit dem International Finance Center auf der anderen Seite der Bucht bildet es das Tor zum Hafen der Stadt.

Der Entwurf der Architekten Kohn Pedersen Fox Associates basiert auf einer quadratischen Grundfläche und einem breiten Gebäudefuß. Die Fassade besteht aus Glas und Aluminium, die tragenden Elemente der Außenwände sind vorwiegend aus Stahl. Im
Inneren befindet sich ein massiver Kern aus Stahlbeton. Ein für Hochhäuser eher ungewöhnliches Flachdach ohne Antennenspitze bildet den Abschluss. Auf insgesamt 118 Stock­werken bietet das ICC eine Nutzfläche von über 260 000 m² – Raum für eine ganze Kleinstadt. Die unteren Etagen bestehen aus ei­nem Parkhaus mit 1 700 Stellplätzen. Da­rüber befinden sich zahlreiche Luxus-Apartments, eine Shoppingmall und ein Fitness-Club. Umfangreiche Büroflächen werden von multinationalen Konzernen wie Credit Suisse, der Deutschen Bank oder Morgan Stanley als repräsentative Adresse für ihr China-Geschäft genutzt. Zudem verfügt das ICC über zwei Sechs-Sterne-Hotels. Das Ritz Carlton in den obersten 15 Etagen ist das höchst gelegene City-Hotel der Welt.

Gegenwärtig gehen täglich rund 20 000 Menschen im ICC ein und aus. Wenn sämtliche Mietflächen belegt sind, werden es bis zu 30 000 sein. Entsprechend zählte die Gebäudeerschließung mittels Aufzügen zu den besonders anspruchsvollen Planungsaufgaben. Es galt nicht nur, die Besuchermassen ohne Staubildung möglichst schnell zum Ziel zu bringen. Gleichzeitig musste der Raumbedarf der Förderanlagen ­­– und damit deren Anzahl – begrenzt werden, um im Sinne der Wirtschaftlichkeit möglichst viel Mietfläche zur Verfügung stellen zu können. Daher wurde eigens für das ICC eine wegweisende Kombination aus modernen Hochleistungsaufzügen sowie einem ausgeklügelten Verkehrsmanagementsystem entwickelt.

Zwei Kabinen in einem Schacht

Alles in allem verkehren 83 Aufzüge im ICC. Der untere Gebäudeabschnitt wird vorwiegend von 24 Personen- und Lastenaufzügen bedient, die ohne Maschinenraum auskommen und somit besonders platzsparend sind. Insbesondere für die mittleren und oberen Etagen stehen 59 Hochgeschwindigkeitsanlagen zur Verfügung. Aufgrund des flachen Gebäudeabschlusses fahren die Aufzüge bis direkt unter das Dach. Der Anlagentyp wurde gezielt für Hochhäuser entwickelt und hat sich in diesem Bereich bereits vielfach bewährt. Für das ICC wurden erstmals 40 Exemplare als Doppeldeckeraufzüge ausgeführt. Bei dieser Bauart sind zwei Kabinen vertikal miteinander gekoppelt. Auf diese Weise können bei einem Stopp zwei Stockwerke gleichzeitig bedient werden. Das verdoppelt die Förderkapazität und verringert den Bedarf nach einem zusätzlichen Schacht. Die Kabinen besitzen eine Tragkraft von 1 600 bis 1 800 kg, so dass bei einer Fahrt über 40 Personen transportiert werden können.

Neben hohen Förderkapazitäten zeichnen sich gerade die Aufzüge für die oberen Gebäu­deabschnitte durch enorme Fahrtgeschwindigkeiten aus. Die schnellsten Doppeldeckeranlagen bewegen sich mit neun Metern pro Sekunde durch die Schächte. Eine Fahrt in die 118. Etage dauert infolgedessen nur 54 Sekunden. Aerodynamische Kabinenverkleidungen, gefederte Fahrwerke und laserjustierte Fahrschienen sorgen dafür, dass die Geräuschentwicklung dennoch gering bleibt.


Intelligentes Verkehrsmanagement

Trotz hoher Geschwindigkeiten und Transportkapazitäten würden die 83 Aufzugsanlagen für sich genommen nicht ausreichen, um das enorme Verkehrsvolumen des ICC zu bewältigen. Aus diesem Grund wurde das Beförderungskonzept zunächst durch 41 Fahrtreppen ergänzt. Einen noch entscheidenderen Beitrag zum flüssigen Besucherstrom leistet aber ein intelligentes Verkehrsmanagementsystem, dass die Auslastung der vorhandenen Aufzüge optimiert. Die Grundidee ist dabei, dass jede Aufzugsfahrt mit möglichst wenigen Zwischenstopps zum Ziel führt. Zu diesem Zweck gibt der Fahrgast bereits auf dem Weg zum Aufzug an einem Etagenterminal das gewünschte Stockwerk ein. Das System errechnet dann die schnellste Verbindung. Es gruppiert übereinstimmende Fahrtwünsche und weist dem Besucher den entsprechenden Aufzug zu. Im Verhältnis zu einer herkömmlichen Steuerung wird dadurch die Leistungsfähigkeit einer Aufzugsgruppe um bis zu 30 % gesteigert.

Darüber hinaus bietet das Verkehrsmanage­mentsystem regelmäßigen Gebäudenutzern die Möglichkeit, ihre persönliche Zieletage ganz ohne Zwischenstopp zu erreichen. Bei der sogenannten PORT-Technologie wird der Aufzug mit Hilfe eines Identifikationsmediums – das in eine Code-Karte, einen Schlüsselanhänger oder sogar in einer Armbanduhr integriert sein kann – und dem entsprechen­den Lesegerät am Terminal angefordert. Das gewünschte Stockwerk wird automatisch angewählt und im Shuttlebetrieb bedient. Beispielsweise erhält auch jeder Gast des Ritz Carlton eine eigene Identifikationskarte, mit der er direkt zur Hotellobby in der 103. Etage gelangt.

Zusätzlich können auf dem Identifikationsmedium besondere Wünsche des Nutzers gespeichert werden, so dass zum Beispiel Rollstuhlfahrern leere Kabinen zugeteilt werden und sich Türöffnungszeiten automatisch verlängern. Nicht zuletzt lassen sich über diese Funktion einzelne Stockwerke einrichten, die ausschließlich nach persönlicher Identifikation angefahren werden.

Herz und Hirn der intelligenten Steuerung ist ein kompliziertes Netzwerk aus 400 Windows- und Linux-Computern. Bei einem Strom­ausfall würden die Aufzüge dennoch nicht stillstehen. Das ICC ist mit einer Vielzahl von Hilfsgeneratoren ausgestattet, die das gesamte System innerhalb von 20 Sekunden wieder in Gang setzen. Sollte ein einzelner Computer den Dienst versagen, treten die betroffenen Aufzüge umgehend den Weg in das Erdgeschoss an. Darüber hinaus verfügt jede Anlage über ein Notrufsystem mit Zwei-Wege-Kommunikation, so dass für die Sicher­heit der Fahrgäste umfassend gesorgt ist.

Energieeffiziente Mobilität

Eine intelligente Aufzugssteuerung ist auch mit Blick auf die Verbrauchsdaten von Vorteil. So führt die Vermeidung von Leerfahrten und Zwischenstopps gerade bei einem hoch frequentierten Turmbau zu einer deutlichen Senkung des Energiebedarfs. Hinzu kommt die Rückspeisung überschüssiger Bremsenergie aus voll besetzten Abwärts- und leeren Aufwärtsfahrten zurück in das hausinterne Strom­netz, die vor allem bei großen Förderhöhen und intensiver Nutzung lohnenswert ist. Ein Standby-Modus für das Kabinenlicht sowie die getriebelose Antriebstechnologie runden das energieeffiziente Aufzugskonzept ab. Die Gesamtheit aller Maßnahmen führt zu Energieeinsparungen von rund 12 % im Vergleich zu Gebäuden ähnlicher Größenordnung.

Die Aufzugstechnologie fügt sich somit konsequent in das nachhaltige Gesamtkonzept ein. Selbstverständlich wurde auch das ICC nach den Maßstäben eines „Green Buildings“ errichtet. Dabei hat sich die Betreibergesellschaft Sun Hung Kai Properties zum Ziel gesetzt, möglichst viele zukunftsweisende Technologien miteinander zu vereinen. Neben den Mobilitätslösungen zählt hierzu eine intelligente Klimaanlage, die Daten zur Temperatur und Luftqualität für jede Etage gesondert erhebt und jeweils die ideale Einstellung berechnet. Indes wird das Kondenswasser aus der Klimatisierung beispielsweise für die Toilettenspülung wiederverwertet. Zudem sind alle wichtigen mechanischen und elektrischen Systeme mit modernen Leistungsmessern ausgestattet. Die doppelt verglaste Vorhangfassade bietet eine leistungsstarke Wärmedämmung und hält Strahlungen ab. Alles in allem verfügt das ICC über mehr als 100 grüne Ausstattungsmerkmale. Entsprechend wurde das Gebäude bereits nach der „Building Environmental Assessment Method“ (BEAM) mit dem Platin Standard ausgezeichnet.

Doppeldecker-Aufzüge und intelligente Steuerungen sind für sich genommen keine vollkommen neuen Errungenschaften. Die Art und Weise, wie diese Technologien im ICC kombiniert wurden, ist jedoch bislang einzigartig. Sie vereint hohe Transportkapazitäten und Geschwindigkeiten mit kurzen bzw. direk­ten Wegen sowie einer optimalen Nutzung der vorhandenen Ressourcen. So ist im ICC – trotz einer verhältnismäßig geringen Anzahl an Aufzügen – für einen flüssigen und zuverlässigen Besucherstrom gesorgt. Insofern kann dieses Vorgehen nicht nur bei den Rekordhochhäusern der Zukunft, sondern vielmehr bei allen größeren Gebäuden mit hohem Verkehrsaufkommen, als richtungsweisend betrachtet werden.

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