Chancen im Wohnungsbau

Carsten Venus, blauraum architekten, Hamburg zum Thema „Wohnungsbau“

Wohnungsbau ist so individuell wie das Wohnen selbst.

Um hier eine Ordnung reinzubringen, wird in Wohnungsklassen unterschieden, die vom geförderten Wohnen bis zum Luxusapartment und von der Flüchtlingsunterkunft bis zum Boardinghouse reichen. Unabhängig von dieser Klassifizierung haben wir durch unsere hohen Anforderungen aus dem Baurecht einen Wohnungsbaustandard erreicht, der – abgesehen von Fliesenfarbe und Bodenbelag – die Wohnungen aller Vermarktungsklassen ziemlich einheitlich werden lässt. Das ist die gute Nachricht für unseren lange gehegten Anspruch an einen sozial ausgeglichenen, „guten“ Wohnungsbau für alle. Die weniger schöne Konsequenz ist, dass diese Gleichförmigkeit öde für unsere Städte ist und das Wohnen immer teurer macht.

Wir brauchen mehr Neubau und mehr Innovation im Wohnungsbau!

Diese Aussage ist mittlerweile Konsens sowohl bei Fachleuten wie in der Tagespresse. Grundlage für diese Feststellung ist der derzeitige quantitative Bedarf bei zwar schrumpfender Gesamtbevölkerung (ohne verstärkte Zuwanderung), jedoch höherer Nachfrage durch Einpersonenhaushalte und der generell wachsenden Wohnfläche pro Kopf (Tendenz zu 50 m²/Person).

Neben dieser Erfüllung des aktuellen Nachfragebedarfes ist ein weiterer – langfristig bedeutenderer – Grund dieser: Nur durch den Wohnungsneubau können wir unsere historisch gewachsenen europäischen Städte an den rasanten Wandel unsere Gesellschaft anpassen und fit für die Zukunft machen.

Auch in Deutschland wird die Urbanisierung weiter voranschreiten und insbesondere wirtschaftsstarke Ballungsräume vor Herausforderungen stellen. Zudem werden mit schrumpfender Bevölkerung die Städte sehr unterschiedlich wachsen oder schwinden. Sie werden noch stärker in Konkurrenz zueinander stehen, um ihren Bürgern das Versprechen von Wachstum und Wohlstand, Sicherheit und individueller Lebensperspektive bieten zu können.

Was muss heutiger Wohnungsbau leisten?

Über 80 % des Wohnungsbestandes in Deutschland ist älter als 25 Jahre, etwa die Hälfte ist älter als 50 Jahre. Im Zuge des Abgangs und Rückbaus müssen wir zeitgemäßen Wohnraum errichten, um überhaupt den dringendsten Anforderungen unserer heutigen Gesellschaft zu entsprechen. Hierzu gehören kostengünstiger Wohnraum, die Reduzierung des CO2-Ausstoßes, die barrierearme Zugänglichkeit zur Wohnung und die Größe der Wohnungen. Hinzukommen die veränderten Komfortstandards hinsichtlich Schallschutz, Sicherheit, Brandschutz, Gesundheit (Hygiene), Außenraum (Balkon etc.), Sanitäran­lagen, natürlicher Belichtung etc.

Die öffentliche Hand wird in der Wohnungserstellung eine immer geringere Rolle spielen. Auch die aktuellen, ambitionierten Wohnungsbauprogramme der Länder und Kommunen können noch nicht einmal den aus der Preisbindung auslaufenden Wohnungsbestand ersetzen, geschweige denn den erforderlichen Neubau in diesem Preissegment erstellen. Es ist also zwingend erforderlich, den Mietwohnungsbau im mittleren und unteren Preissegment für den so genannten freifinanzierten Wohnungsbau attraktiver zu gestalten.

Die einfachste – kostenfreie – Maßnahme könnte die „Optimierung“ der rechtlichen Rahmenbedingungen sein. Hier sind Vorschläge aus den Wohnungsverbänden erarbeitet worden, die die Landesbauordnungen, die BauNVO oder diverse Richtlinien betreffen. Der Entfall der Stellplatzverordnung (z. B. in Hamburg) ist ein Beispiel; eine Reform der TA-Lärm mit Erleichterungen für den Wohnungsbau in Mischgebieten wäre ein weiterer Schritt.

Darüber hinaus sammelt die Bundesregierung über die Initiative „Architekturqualität im kostengünstigen Wohnungsbau“ weiteres Know-how zur Eindämmung der stetigen Kostensteigerung bei Erstellung und Unterhalt von Wohngebäuden. Man kann gespannt sein, welche Stellschrauben identifiziert werden.

Um unsere hohen Ansprüche mit dem Ziel eines kostengünstigen Wohnungsbaus zu kombinieren, brauchen wir Innovationen auf allen Ebenen: Verwaltung, Planung, Konstruktion und Bauwirtschaft!

Der Architekt

1967 geboren in Stuttgart, Studium der Architektur an der RWTH in Aachen, dort 1996 Diplom. 1997 Gründung Büro bilder.bau_Architektur + Neue Medien in Aachen. 1998 – 2002 Mitarbeit bei BRT Architekten in Hamburg. 2002 Gründungsmitglied blauraum architekten in Hamburg. Forschungsprojekte, Lehraufträge mit den Schwerpunkten Stadterneuerung und Redevelopment. 2012 Vorstand der Architektenkammer Hamburg, seit 2012 Geschäftsführender Gesellschafter blauraum architekten Planungsgesellschaft mbH in Hamburg

www.blauraum.eu

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