Hybridsystem für den
mehrgeschossigen Holzbau
Der LifeCycle Tower in
Dornbirn/AT

Der Holzbau hat noch Luft nach oben – doch die wird dünner, denn es werden schon richtig Höhenmeter gemacht. Die Hybridbauweise (Holz und Beton) und ein ausgeklügeltes Baukastensystem machten den Achtgeschosser im österreichischen Dornbirn erst möglich. 2009 gründete ein Projektkonsortium das Forschungsprojekt zum Bau des LifeCycle Towers. Zum Expertenteam gehören die Rhom­berg Bau GmbH, das Architekturbüro Hermann Kaufmann ZT GmbH, das Ingenieurbüro Arup GmbH, das Wiehag Holzbauunternehmen und die TU Graz. Gemeinsam entwickelten sie ein Konzept, um den System-Holzbau zu etablieren.

Er sieht aus wie ein gewöhnlicher Bürokomplex in einem Industriegebiet Nahe Dorn­birn. Und von außen sucht der Betrachter das Holz vergeblich. Wo ist sie hin, die viel gewür­digte Vorarlberger Holzbaukunst mit ihren Stabfassaden aus feinmaserigem Lärchenholz? Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheint, beim Bau des LifeCycle Tower ONE (LCT ONE) – so der offizielle Name des Bauwerks – wurde vieles anders und vieles aus Holz gemacht, innen ist es dann auch sichtbar.

Von außen wird das Hochhaus mit seinen metallischen Fassadentafeln aber nicht als Holzhaus identifiziert werden – aus unserem ureigenen Erfahrungsschatz werden wir beim Anblick an Beton denken – noch. Aber mit dem LCT ONE ist es wie mit der modernen Holz-bau­weise in seiner Gesamtheit. Er wird das Bewusstsein der Allgemeinheit und der Experten verändern. Holzbau kann hoch hinaus und das Ressourcen schonend.

Das hat sich ein Vorarlberger Bauunterneh­men zu Eigen gemacht. Für die Rhomberg-
Gruppe war Holz lange kein Thema, die lang­jährigen Erfahrungen liegen im Bauen mit Stein, die Herkunft liegt gar im Eisenbahn-, Straßen- und Tunnelbau.

Warum dann ein Holzbau?

Geschäftsführer Hubert Rhomberg erzählt im Interview mit der Bauwelt, dass Friedrich Schmidt-Bleek, einst Wissenschaftler am Wuppertaler Klima-Institut, ihm in puncto Gesamtenergiebilanz die Augen geöffnet habe („ihm verdanke ich, die Stoffe ganzheitlich zu bewerten, ihren ökologischen Rucksack ins Kalkül zu ziehen …“). Holz sei schließlich unschlagbar in puncto ökologischer Fußabdruck im Vergleich mit anderen Stoffen, sagt Rhomberg. Mit dem LCT ONE hat das Unternehmen nun eine neue Herausforderung für sich gefunden, und zwar den industriellen Holzbau weiterzuentwickeln.


Holz ist der überwiegende Rohstoff

Die eigens für das Bauvorhaben gegründete Tochterfirma CREE GmbH ist Bauherrin, ausführende Baufirma und für die Projektabwicklung verantwortlich. CREE steht nicht nur für ein Indianervolk in Nordamerika (was für das Leben mit der Natur spricht), son­dern auch als Abkürzung für Creative Ressource & Energy Efficiency (was wiederum für den modernen Bau im Passivhausstandard spricht).

Ganz aus Holz ist der Bau nicht, sonst hätte er kaum die baurechtliche Zulassung bekommen. „Hybridsysteme eröffnen dem Holzbau eine ökonomische Möglichkeit, den Brandschutzanforderungen von höheren und größeren Gebäuden gerecht zu werden,“ so Hermann Kaufmann, Architekt des LCT ONE. Die Verantwortlichen sprechen von einem bis ins Detail durchdachten Holz-Hybrid­Bau-System für mehrgeschossige Gebäude, das individuell gestaltet und in kurzer Zeit errichtet werden kann. Und wenn das System funktioniert, wollen die Entwickler noch höher hinaus, zeigen sie sich jedenfalls optimistisch. Nicht 20 m, nicht rund 27 m und acht Stockwerke wie beim LCT ONE, sondern fast 70 m mit bis zu 20 Stockwerken – das ist zumindest statisch so nachgewiesen. 30 Stockwerke werden angestrebt. „In erster Linie geht und ging es weniger um die Höhe als darum, den Holzbau in einen industriellen Prozess zu verwandeln und dafür ein System zu entwickeln. Um aber für die Vermarktung eine maximale Öffentlichkeitswirkung für die Markt-einführung eines neuen Hybridsystems zu erzielen, war ein Superlativ notwendig. Es ist sicher richtig, dass das LCT-System, so es erfolgreich ist, eher im Bereich von bis zu sechs Geschossen eingesetzt werden wird. Dennoch zeigt gerade das Forschungsprojekt LCT ONE, was technisch möglich ist.“ Mit diesen Worten erläutert Kaufmann, warum ein Superlativ wie der LCT ONE notwendig ist.


Das Treppenhaus dient als Erschließungs­ebene

Der Treppenhauskern, die Lichtschächte, Versorgungsschächte und das Erdgeschoss mussten nach Verhandlungen mit den Bau­-
be­hörden in Stahlbeton errichtet werden. In der mehrjährigen Forschungszeit – die dem Bau vorausging und für die eigens das Projektkonsortium gegründet wurde – wurde von den Entwicklern auch eine komplette Holzbauweise angestrebt. Diese ist nach Aussagen der Planer auch möglich, allerdings waren hier die Behörden kritisch. Zum Erreichen des Ziels, Bürokomplexe als reine Holzbauten zu realisieren, sind also noch Schritte zu tun, möglicherweise auch konstruktiv.

Trotz dieses Kompromisses übernimmt der LCT ONE eine Vorreiterfunktion: Die tragenden Elemente, die massiven Holz-Doppel-Stützen aus Brettschichtholz mit 2 x 24 x 24 cm, sind nicht eingekapselt. Diese Errungenschaft freut den Architekten und Holzbau-Experten Hermann Kaufmann besonders. „Der Betrachter verbindet sich sofort mit der sichtbaren Holzstruktur, das Holz verleiht dem Innenraum Charakter und Ausstrahlung“, sagt er. Zudem, so Kaufmann, spare die fehlende Beplankung Ressourcen und verhindere versteckte Brände in den Hohl-räumen hinter den Kapselungen.

Rein bauordnungstechnisch gesehen ist der LCT ONE übrigens kein Hochhaus. Die Hochhausgrenze beginnt bei 22 m Oberkante Fußboden über Geländeoberkante. Diese Höhe ist für die Feuerwehr noch technisch erreichbar. Geht es höher hinaus, müssen zusätzlich Fluchttreppenhäuser gebaut und weitere Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Das Haus misst bis zur obersten Fußbodenkante exakt 21,97 m. Diese Tatsache hat das Genehmigungsverfahren für den Prototyp erleichtert, „denn für Hochhäuser sind noch viel schärfere Auflagen zu erfüllen“, sagt Michael Zangerl von CREE. Der nächste Schritt wäre dann der Vorstoß über die Hochhausgrenze.

Mit einem Novum unterscheidet sich der LCT ONE von anderen mehrgeschossigen Holz­bauten, die an die Hochhausgrenze gehen. Denn die tragenden Elemente des Hauses sind nicht beplankt. Das gab es bis dato noch nie in der Geschichte des Holzbaus, der in die Höhe ging.


Die Konstruktion: ausgeklügelt und mit interessanten Details

Über die 112 sichtbaren Holz-Doppelstützen aus Brettschichtholz und 21 Brettschichtholz-Drillingsstützen, die im Abstand von 2,70 m stehen, werden die Kräfte direkt in die Decke ein- und von dort in das darunter liegende Stützenpaar wieder abgeleitet. Die Stützenpaare sind über Rahmenhölzer mit der Fassade verbunden. Die bis zu 12 m langen Fassadenelemente sind aber nicht lastabtragend konstruiert, son­dern hängen förmlich an den Stützen.

Diese Elemente wurden komplett vorgefertigt. Mit einer Wanddicke von 48 cm verzeichnen sie einen U-Wert von 0,12 W/m2K. Innen sind die Fassadenelemente mit OSB-Platten beplankt, außen mit einer zementgebundenen Holzfaserplatte, die als Trägerplatte dient. Die Fassadenelemente wurden mit Holz-Aluminium-Verbundfens­tern geliefert. Diese sind 3-fach verglast und las­sen sich öffnen. Der Fensteranteil ist mit über 50 % sehr hoch. Im Bauablauf folgen Decken­element auf Fassade, Fassade auf Deckenelement und so weiter.

Bei den Deckenelementen haben die Planer das Optimum zwischen Masseträgheit (Schallschutz), Gewicht und Beton-Verbundkonstruktion gewählt. Herausgekommen sind rund 2,7 m breite und 8,10 m lange Holz-Beton-Verbunddecken mit Brettschichtholzträgern. Das Aufbringen der rund 8 cm dicken Betonschicht erfolgte in der Vorfertigung direkt im Betonwerk. Die Decken sind so konstruiert, dass zwischen den Holzbalken der Verbunddecke die Versorgungsleitungen der Haustechnik verlaufen. Die Verbindung zwischen Holz und Beton erfolgt durch Schubtaschen und Schrauben, welche vor dem Betonieren zur Hälfte in den BSH Träger geschraubt wurden. Der Verbindungsdorn an der Oberseite der Stützen und die Metallplatte mit zwei Stiften an der Unterseite bilden dabei sowohl die Verbindung zwischen Stützen und Decken als auch die eigentlichen Abstandshalter, um jeweils ein gesamtes Geschoss zu nivellieren. Sind die Deckenelemente eingehängt und ein neues Stockwerk fertig gestellt, wird die Dornverbindung mit Beton vergossen und damit kraftschlüssig verbunden. An den Stößen werden die Deckenelemente ebenfalls mit Beton vergossen. So entstehen schubfest miteinander verbundene Scheiben. Teilweise wurde in der Entwicklungszeit sogar mit 1:1-Modellen gearbeitet, um die Details genau betrachten zu können. „Das bewahrte uns auf der Baustelle vor unvorhergesehenen Überraschungen“, so Kaufmann.


Konstruktive Gliederung in Brandabschnitte

Das Hauptaugenmerk der Behörden bei Holzbauprojekten liegt bekanntermaßen auf dem Brandschutz. Holz brennt, das weiß jeder, und deshalb hat es der Holzbau in den Köpfen erst einmal schwerer als Betonbauten. Die Behörden in Vorarlberg haben das Projekt allerdings über die Jahre konstruktiv begleitet und mit dem Entwicklungskonsortium auch Brandtests durchgeführt. Die Konstruktionsart konnte schließlich überzeugen, denn das Haus ist durch die Holz-Beton-Verbunddecken automatisch in Brandabschnitte ge­gliedert. Es folgt nie Holz auf Holz, sondern immer Holz auf Beton. Als zusätzliche Sicherheit sind Sprinkleranlagen installiert. Die Fassade trägt mit ihren recycelten Metallplatten nicht nur dazu bei, dass der ökologische Fußabdruck gering ausfällt (laut CREE konnte 75 % Metall eingespart werden und das in den Elementplatten enthaltene Aluminium hat einen Recyclinganteil von rund 60 %), sondern ist auch ein Beitrag zum Brandschutz.

In 8 Tagen von 0 auf 27 m

Man konnte als Außenstehender zuschauen, wie täglich der Turm um eine Etage wuchs. In acht Tagen stand der LCT ONE. „Die System-Montage verlief exakt wie geplant – der entscheidende Zeitvorteil gegenüber dem konventionellen Bauen ist damit nachgewiesen“, sagt Projektleiter Rainer Strauch.

Nach den Innenausbauarbeiten konnten im August die ersten Mieter ihre Büroräume beziehen. Die Möglichkeiten der Gestaltung, die sich bei den großen Räumen für die Mieter ergeben, sind dabei nahezu unbegrenzt. Auch das ist ein Vorteil des Komplexes, der sich im Baukastensystem aufbaut und so zukünftig auf andere Bauten übertragbar sein wird. Um die angewandte Bautechnik bei Bau des LCT ONE in die Öffentlichkeit zu tragen, wird der LifeCycle Tower in einem eigens dafür eingerichteten Ausstellungsbereich, dem sogenannten „Zukunftsmuseum“ den Besuchern Technologielösungen im Bereich urbanes Bauen, Leben und Wohnen präsentieren. Ziel ist es, die gebündelten Kompetenzen Vorarlbergs in der internationalen Fachwelt zu positionieren.


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