Auf großartige Weise

Mitten in der Schweiz liegt das Gotthardzentralmassiv, das irgendwie der Schwerpunkt dieses kleinen, europazentralen Landes ist. Der Gotthard, synonym gebraucht für Berg und Tunnel, ist mythenumwoben und zivilisationsgetrieben einem permanenten landschaftlichen Transformationsprozess ausgesetzt. Die aktuelle Untertunnelung dieses Massivs nahmen Marianne Burkhalter und Christian Sumi zum Anlass, Mythen und Tatsachen einmal von Grund auf zu analysieren.

Das Ergebnis ist dem Untersuchungsgegenstand angemessen schwergewichtig: Auf knapp 1 000 Seiten reihen sich Texte, Nachdrucke, Fotos, Skizzen und Diagramme sowie über 30 Essays zum sozialen, architektonischen und kulturellen Wandel des Gotthards an-einander und bilden so eine Art Enzyklopädie. In denen es sich üblicherweise wunderbar querlesen, vor- und zurückspringen und wiederholen lässt. Zwar war hier durchaus die Möglichkeit von Reduktion vorhanden, aber warum, wenn der Gegenstand der Untersuchung so viel hergibt. Vegetation, Bergbau, Ingenieurbau, Fauna, Architektur und natürlich Bahntechnologie bilden die großen Themenkreise, daneben Seitenblicke in die Geschichte, in die Literatur oder die zeitgenössische Fotografie der fantastischen Bergwelt. Allerdings: Wer alles mitnehmen möchte, muss neben Deutsch auch Englisch oder Italienisch lesen können, die Beiträge sind weder übersetzt noch zusammengefasst. Und um die Sache noch spannender zu machen, enthält das Buchmassiv eine Pointcloud-Darstellung der Gotthardregion auf DVD. Der damit ermöglichte virtuelle Flug über das alpine Gebiet setzt Schwindelfreiheit und eine schnelle Grafikkarte voraus. Konzeptionell aber auch emotional erinnert das Buch an ein anderes, ebenfalls aus der Schweiz. Das „The Dolder Grand“ (bei Lars Müller) vereinnahmt seine LeserInnen in gleichermaßen großartiger Weise. Be. K.

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