Alvar-Aalto-Week, ein Stadtmarketingversuch

Hat viertelbelebendes Potenzial: Stephanus ­Gemeindezentrum am Detmeroder Markt
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Hat viertelbelebendes Potenzial: Stephanus ­Gemeindezentrum am Detmeroder Markt
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Wie geht Stadtmarketing? Und: Braucht das eine Stadt überhaupt? Wolfsburg ist seit immer ein Name, den man mit Auto und Fußball verbindet. Der Konzern aber schaut eher rückwärts, die Fußballer … mal so, mal so. Nun feiert die Stadt eine Alvar-Aalto-Woche und damit endlich mal ein anderes Stück von sich selbst. Wohin das geht?

Wolfsburg, die Stadt von VW. Jedenfalls ist die jüngste Planstadt Deutschlands von Anfang an mit dem Autobau verbunden. 1938 wurde die „Stadt des KdF-Wagens“ als Sitz des Volkswagenwerks gegründet, eine Produktions- und Arbeiterstadt sollte sie werden, nahe dran am Ideal gesellschaftsreformerisch motivierter Gartenstädte. Theoretisch, immerhin waren einige tausend Zwangsarbeiter:innen vom normalen Stadtleben ausgeschlossen. Dann kamen der Krieg und die Boomzeit in Nachkriegsdeutschland, was auch städtebaulich andere Dynamiken erzeugte, vom Reformerischen ganz zu schweigen.

Seit 1949 ist Wolfsburg stetig gewachsen, hat sich die Werksstadt in eine Wohn- und Arbei­ter:innenstadt verwandelt und bis heute gibt es kaum eine Familie, aus der nicht wenigstens ein Mitglied auf der Lohnliste des Auto-Konzerns steht. Und weil die Stadt sich einer Normalität annähern wollte, kam wenige Jahre nach der ers-ten Startzeit die Bürger:innen-Kultur. Mit Bauten von Hans Scharoun und Alvar Aalto beispielsweise. Die finden sich alle weit südlich der Mittel­kanalachse, über der nördlich der Konzern sein Werk hat und mittlerweile auch eine eigene Stadt. Die „Autostadt“ genannte Imagemeile ist ein Konglomerat zeitgenössischer Architekturen, die Ausblicke in die Autozukunft und Rückblicke in die schönere Autovergangenheit beherbergen.

Als Gelenkpunkt zwischen Konzern und Stadt gibt es seit 2005 das „Phäno“, ein Science Center der anderen (baulichen) Art, entworfen von Zaha Hadid. Das städtische Projekt profitiert bis heute vom Besucher:innenstrom in die Autostadt, anders als das ebenso ambitionierte und gut zehn Jahre ältere Kunstmuseum (Schweger & Partner), das direkt am Alvar-Aalto-Kulturhaus angedockt wurde. Anders als das „Phäno“ wird das Kunstmuseum – wie viele andere große Sammlungspräsentationen Deutschlands – durch eine Stiftung finanziert, hier durch die „Kunststiftung Volkswagen“.

Eine Ikone: das Kulturhaus an der Porsche Straße
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Eine Ikone: das Kulturhaus an der Porsche Straße
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Jahrzehntelang geschlafen: VW

Dass der Auto-Konzern jahrzehntelang geschlafen hat, verleiht ihm kein Alleinstellungsmerkmal. Allerdings könnte man vermuten, dass das Kräfteverhältnis zwischen Stadt und größtem Steuerzahler sich möglichweise langsam verändert. Nicht auf dem wirtschaftlichen Feld, eher auf dem der Imagekampagnen, dem Markenmarketing. Und wenn der Konzern noch lange nicht so weit ist, die Sackgassenfahrt als solche zu erkennen – egal mit welchem Treibstoff – hat die Stadt im ehemaligen „Zonenrandgebiet“ bereits realisiert, dass man mehr tun muss, als Autostadt zu sein, um im Land wahrgenommen zu werden.

Das „Phäno“ war ein Griff nach Stararchitektenlabel und Stararchitektenarchitektur, das hat so einigermaßen funktioniert. Aber VW hat mit der Autostadt nachgezogen. Und ist erfolgreicher insofern, als die Besucherzahlen rund das Zehnfache im Vergleich zur städtischen Einrichtung ausmachen. Nun besinnt man sich auf das, was Kult sein könnte, was einstige Ar­chitektenstars hier vor langer Zeit schon abgestellt haben.

Und weil Wolfsburg seit einigen Jahren im internationalen Netzwerk der Aalto-Städte aktiv ist, haben die Wolfsburger die in Finnland ansässige Aalto-Stiftung gebeten, anlässlich des 60. Jahrestages der Eröffnung des Alvar-Aalto-Kulturhauses die Aalto-Woche erstmals in Wolfsburg stattfinden zu lassen. Die Finnen, selbst gerade unterwegs, die Arbeit eines ihrer international bekanntesten Söhne unter Weltkulturerbeschutz zu stellen, sagten ja.

Als Ensemble in Nutzungsschieflage: Heilig-Geist Kirche mit Gemeindebauten
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Als Ensemble in Nutzungsschieflage: Heilig-Geist Kirche mit Gemeindebauten
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Starachitektur, aber was damit machen?!

Es gibt in Deutschland noch andere Städte, in denen der Architekt Aalto Bauten realisiert hat, so ein Wohnhaus für die Interbau in Berlin 1957, ein Wohnhochhaus in Bremen 1959, die Oper in Essen (posthum durch Harald Deilmann fertiggestellt als „Aalto-Theater“ 1988). Es gab Entwürfe für neue Stadtzentren wie einen Wettbewerbsbeitrag für das Theater in Wolfsburg, für das am Ende Hans Scharoun den Zuschlag erhielt. In Wolfsburg allerdings gibt es drei Bauten, sämtlich von hohem Rang und herausragender Position im Gesamtwerk: das schon genannte Kulturhaus sowie die Heilig-Geist Kirche und das Stephanus Gemeindezentrum – „so viele Aalto-Bauten“, so die Stadt-PR, „gibt es sonst in keiner Stadt außerhalb Finnlands“. Ja. Und?

Drei Perlen der Architekturgeschichte zu besitzen ist das eine, das andere die Frage: Was damit machen? Und: Wie und mit welchem Aufwand sie erhalten, pflegen und möglicherweise heutigen Ansprüchen anpassen? Das Kulturhaus kämpft seit vielen Jahren um adäquate Weiternutzungskonzepte, die Möglichkeit, die Stadtbibliothek und die VHS in das damals schon überschwänglich gefeierte „Bildungshaus“ nahe dem Stadttheater zu transferieren, wäre ein schwerer Schlag für das Haus gewesen und war schon damals völlig unverständlich. Dass in dem „Bildungshaus“ auch die Oberstufe der von VW finanzierten „Neuen Schule“ untergebracht worden wäre, um hier einen „innovativen, vernetzten Lernort“ (VW) zu begründen, war sicher keiner taktischen Haltung geschuldet, eher einem „Wir brauchen ein neues Vorzeigeprojekt“. Gewonnen hatte den Wettbewerb 2015 ein Büro aus Finnland, die in Helsinki ansässigen Esa Ruskeepää Architects mit den Berliner Landschaftsarchitekten Fugmann Janotta Landscape Architecture.

Alvar Aalto könnte mehr

Schwierig steht es aktuell um die Anlage der Heilig-Geist-Kirche. Hier steht der Kindergarten schon länger leer, der Außenbereich verwildert, einige der Ensemblebauten sehen sanierungsbedürftig aus, einen umfassenden Nutzungsplan gibt es nicht.

Das Stephanus Gemeindezentrum in Detmerode am Detmeroder Markt ist als Ensemble unfertig geblieben, städtebaulich allerdings mit Potenzial, das einfach zu heben wäre. Die breite Zuwendung (Vordach) zum Platz sollte – wie es auch Aalto vorgesehen hatte – so oft es nur geht geöffnet sein. Musik, auch Gottesdienste, Lesungen und Theater könnten hier ihre Bühne finden hin zum Platz, der von Bauten gefasst ist, die sämtlich aus der Bauzeit des Gemeindezentrums stammen. Hier wurde denn auch die erste Alvar-Aalto-Week außerhalb Finnlands eröffnet, u. a. mit der finnischen Botschafterin und dem Wolfsburger OB Dennis Weilmann. Der führte aus: „Aaltos Bauten sind eng verknüpft mit der Entwicklung Wolfsburgs zur modernen Stadt. Sie haben wesentlich Wolfsburgs internationalen Ruf als Architekturstadt mitbegründet.“ Und nach allen Reden gab es tatsächlich Theater und Performances auf dem Platz, finnischen Tango und klassische Musik und einen Umtrunk zum Ende.

Stadtmarketing muss für Wolfsburg ein zentrales Zukunftsthema sein, möchte die kulturell und stadtgesellschaftlich lebendige Stadt nicht immer bloß Annex einer Autostadt bleiben. Denn deren Zukunft ist nicht rosig, ihr Image als skrupellose Umweltsünderin eher behindernd. Die „Entwicklung Wolfsburgs zur modernen Stadt“ (OB Weilmann) hat wohl gerade erst begonnen. Wir drücken die Daumen, dass das Vermächtnis Aaltos und anderer hier als Leitlinie und mögliches Korrektiv wirksam wird. Womit die „Alvar-Aalto-Week“ gerne auch ein „Alvar-Aalto-Jahrzehnt“ werden kann! Be. K.

www.wolfsburg.de/alvar-aalto
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