Neue Bescheidenheit

Bielefelder Kunstverein eröffnet Ausstellung in der Reihe "Baukunst", bis zum 21. Juli 2013

Seit 10 Jahren werden biennal im Kunstverein Bielefeld in der Reihe „Baukunst“ relevante Architekturthemen ausgestellt, die zum aktuellen Diskurs beitragen sollen. Dieses Jahr ist bis zum 21. Juli 2013 die Ausstellung „Neue Bescheidenheit – Architektur in Zeiten der Verknappung“ zu sehen.

Es ist eine Ausstellung zu sehen, die sich den sozialen Aspekten von Architektur widmet. Fünf internationale Architekten und Architekturbüros zeigen in den Räumen des BKV ihre Arbeiten, die von einer neuen Strömung innerhalb des Architekturdiskurses erzählen. Sie zeigen behutsame Eingriffe in das alltägliche Leben und den Versuch Lebensumstände durch Architekturen zu verbessern mit minimalen Ressourcen – was dem Titel der Ausstellung Rechnung trägt – die neue Bescheidenheit. Dass die meisten Bauwerke, die in der Ausstellung gezeigt werden, in Entwicklungsländern gebaut wurden oder dort ihre Wurzeln haben, verwundert nicht, ist dort der Mangel an stabilen, permanenten Gebäuden am größten.

So werden unter anderem eine Bibliothek von TYIN tegnestue Architects und temporäre Schlafsäle von a.gor.a architects gezeigt, beides Projekte in Südostasien, Materialstudien von der indischen Architektin Anupama Kundoo, sozialer Wohnungsbau in Chile vom chilenischen Do-Tank Elemental und ein Film über das Architekturbüro Brandlhuber+. Allen Projekten ist gemein, dass sie sich mit der Situation vor Ort befassen, wie einzelnen Projekten beigefügte Grafiken erläutern. Und einen Versuch unternehmen nicht nur funktionale Bedürfnisse zu befriedigen, sondern gemeinsam mit den „Locals“, den Menschen vor Ort, einen partizipatorischen Prozess anzustoßen, der sich gleichsam in einem Verständnis von beidseitigem Lernen manifestiert. Dessen Ziel die Selbstständigkeit der Menschen vor Augen hat und deren eigenverantwortlichen Umgang mit den Bauten, wie Instandsetzung, Selbstbau etc. Mit lokalen Materialien errichtet, spiegeln die Bauten die landestypische Bauweise wider. Dennoch zeichnen gerade die Arbeiten des norwegischen Architekturbüros TYIN einen romantisierenden Blick auf die elenden Umstände in denen diese Bauten entstehen, roh sind die Bilder und doch von hoher Anziehungskraft aufgrund der perfekten Belichtung – vom europäischen Blickpunkt aus gesehen.

Anders versucht die Arbeit von Anupama Kundoo mit Materialforschung dem Thema der sozialen Verantwortung beizukommen. Mit Ferrocement, einem Baustoff, der in den 1940er-Jahren vom italienischen Ingenieur Paulo Nervi entwickelt wurde, forscht Kundoo an preisgünstigen, temporären Wohnbehausungen. Aufgrund einer Falttechnik, inspiriert von der japanischen Papierfaltkunst Origami, lässt sich bis zu 90 Prozent Material sparen ohne Stabilität einzubüssen zur herkömmlichen Stahlbetonbauweise. Was wiederum das Gewicht verringert und den Transport vereinfacht. Architektin Kundoo fordert erschwingliche Häuser für jedermann. Dabei schaut sie nicht nur auf die Entwicklungsländer: Auch hier in Europa fordert sie ein überdenken der Green-Building-Standards und der Materialverwendung, gerade in Zeiten der ökonomischen Instabilität.

Mit Brandlhuber+ präsentiert der BKV einen deutschen Architekten, was der Ausstellung gut tut und sie zurück nach Deutschland holt. Dass die Kuratoren Arno Brandlhuber angefragt haben, lässt sich mit der vorangegangen Debatte auf der Architekturbiennale in Venedig erklären: Wie gehen wir mit dem Bestand in unseren Städten um? Das Berliner Architekturbüro arbeitet häufig mit vorhandenen Strukturen und prägte damit den Begriff der „option lots“ – die Möglichkeiten der urbanen Leerräume anzuerkennen. In einem Film porträtiert Christopher Roth Brandlhuber.

Es sind kluge Projekte von den Kuratoren Anna Jehle, Thomas Thiel und Andreas Wannenamcher ausgewählt worden. Projekte, die eine Aussage treffen, wie Architektur in Zeiten instabiler Wirtschaftslagen, vermehrtem Anspruch nach sozialer Gerechtigkeit, im Ausland sowie in Europa, ihren Beitrag leisten kann – leider sind sie (bis jetzt) nur außerhalb von Bauvorschriften, -rechten und -ordnungen möglich. Und genau dort hört die Ausstellung auch auf, wo es anfängt zu knirschen. Wie nehmen die Menschen die Architektur an? Können sie die Bauten tatsächlich selbstständig Instand halten? Es bleiben Fragen offen, für einen ersten Impuls ist die Ausstellung jedoch sehenswert!

Vorab ein Ausschnitt aus dem 13-minütigen Film über das Forschungsprojekt "Light Matters: the process" von Anupama Kundoo (University of Queensland, Australien), der ebenfalls im Bielefelder Kunstverein zu sehen ist.

Regie und Postproduktion: Marta San Vicente.
Indien, Februar 2013.

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