Geht Prora verloren?

Historiker und Architekten warnen vor dem Verschwinden von gebauten Zeitzeugen für die NS-Zeit

Auf der Historikertagung in Prora und Berlin unter dem Titel „NS-Großbauten als Hinterlassenschaft“ warnten die Referenten, Historiker wie Architekten, vor einem allzu nachlässigen Umgang mit dem schweren Erbe der NS-Bauten. Insbesondere zur Zukunft des „Seebad der 20000“, der KdF-Freizeitanlage Prora auf Rügen, äußerten sich einzelne besorgt. Und forderten das Land Mecklenburg-Vorpommern zu einem deutlich stärkeren Engagement für den Erhalt und Ausbau des Dokumentationszentrums über die Geschichte des früheren „Kraft-durch-Freude-Bades“ auf. Bislang sei der politische Wille der Schweriner Landesregierung zur Überführung der provisorischen, aber anerkannten Ausstellung in eine zeitgemäße Darstellung der nationalsozialistischen Sozialpolitik nicht erkennbar, kritisierte Historiker Eckart Dietzfelbinger am Donnerstag in Prora.

Nachdem der Bund Teile der „KdF“-Liegenschaft in Prora privatisiert hat, droht dort dem vor zehn Jahren gegründeten Dokumentationszentrum mittelfristig die Schließung. Nach Angaben von Michael Bräuer von der Akademie der Künste besteht der Mietvertrag nur noch bis Ende 2011. Das Land widme den drei großen NS-Gedenkstätten in Prora, Peenemünde und Alt Rehse nicht die gebührende Aufmerksamkeit, bemängelte er.

Das Ausstellungszentrum Prora wird von der Stiftung Neue Kultur betrieben. Jährlich besuchen etwa 80.000 Menschen die Einrichtung, die sich fast ausschließlich von Eintrittpreisen und geringfügigen Landeszuschüssen für Sonderausstellungen finanziert. Im vergangenen Jahr 2009 noch hatte in der Auseinandersetzung um den Erhalt des 2001 gegründeten Dokumentationszentrums das Land Mecklenburg-Vorpommern selbst eine Kooperation der in der Region isoliert voneinander agierenden Fördervereine angemahnt. Die Stiftung Neue Kultur sollte mit dem Verein Prora Zentrum bisherige Meinungsunterschiede beiseitelegen und gemeinsame Kompetenzen für eine langfristige Sicherung der Ausstellung über die Geschichte des früheren „KdF“-Seebades bündeln. Darüber hinaus sollte enger mit dem Regionalzentrum für demokratische Kultur in Stralsund kooperiert werden.

2006 hatte Ulrich Busch, Sohn des Schauspielers und Arbeiterlied-Sängers Ernst Busch (1900-1980) zwei Blöcke der Nazi-Anlage vom Bund gekauft; 36 Hektar beste Strandlage für 455000 €. Ab Frühjahr 2011, so Busch, soll dieser fast zwei Kilometer lange Abschnitt für rund 100 Millionen Euro saniert werden. Die Gemeindevertretung Binz, für Prora zuständig, hat nach langem Hickhack im September den Bebauungsplan für die denkmalgeschützte Anlage beschlossen. Nun wartet Busch auf die Baugenehmigung vom Landkreis. „Wir streben für Prora den Status eines eigenen Seebades an. Nicht in Konkurrenz zu Binz, sondern in Ergänzung“, so Busch zu seinen Visionen. Nicht 20000 Betten, sondern rund 3000 Betten sollen hier entstehen - allein in Block I und II sind zwei Hotels mit je 300 Betten sowie je 200 Eigentumswohnungen vorgesehen.

So weit wie Busch ist bisher keiner gekommen. Der Koloss von Rügen war einst gedacht für 1000 Jahre - Beton, Konstruktion und Stahlbewehrung sind in Abschnitten in einem überraschend gutem Zustand, andere Teilabschnitte bedürfen dringender Bestandssicherung; oder müssen aus Sicherheitsgründen abgerissen werden.

Rügen ist ein sehr beliebtes Ausflugsziel, auf für Westdeutsche, die gigantische Anlage ein Besuchermagnet für alle die, die gerne Gänsehaut bekommen angesichts von Architekturmasse. Dass Prora demnächst verschwinden wird – hinter sanierten Fassaden mit vorgehängten Balkonen oder im Zugriff der Abrissbagger – wäre ein Verlust, ein Verlust von Zeitzeuge für einen wesentlichen Teil der deutschen Geschichte; was der Bund eigntlich nicht hinnehmen dürfte. Was würde helfen? Bürgerprotest! Be. K.

Geschichte Prora

Am 2. Mai 1936 fand die Grundsteinlegung des 1. von insgesamt 5 an der Nord und Ostseeküste geplanten Seebäder der 20000 in Pora auf Rügen statt. Anfang 1936 wurden 11 Architekten vom Chef der 2. Deutschen Arbeitsfront, Dr Robert Ley, zur Beteiligung an einem Wettbewerb „KdF-Seebad Rügen" eingeladen.

Ziel der Nationalsozialisten war es, für 20.000 „Volksgenossen“ Unterbringungsmöglichkeiten für einen organisierten 10-Tage-Pauschalurlaub mit Betreuung zu schaffen. Weiterhin sollten Zimmer mit Meeresausblick sowie eine Festhalle für 20000 Menschen entstehen.

Die Versorgung hatte einschließlich der 500 Angestellten von der Insel Rügen zu erfolgen.

Der Entwurf des Kölner Architekten Clemens Klotz ( 1886 - 1969 ) wurde, ausgehend von einem zentralen Festplatz mit Festhalle und nach beiden Seiten parallel zum Strand liegenden 4 km langen Gebäudereihen, favorisiert.

Die kammerartige Anlage der 6 geschossigen Unterkunftshäuser werden in regelmäßigen Abstanden durch landseitige Treppenhäuser und seeseitige Liegehallen geliedert. Der Bau der ersten Wellenschwimmbäder Europas , ein Aussichtsturm sowie Seebrücken zum Anlegen von „KdF“-Urlauberschiffen sollten den „Kraft durch Freude – Totalurlaub“ vervollkommnen. Die Gebäude des „KdF“-Seebades Prora sollten mit einem weißen Anstrich versehen werden.

Auf der Pariser Weltausstellung 1937 erhielt der Entwurf von Klotz einen Grand Prix. Im November 1936 begannen neun Baukonzerne und 48 Baufirmen mit ca. 5000 (Zwangs)Arbeitern die Bauausführung, im Oktober 1938 konnte bereits Richtfest für das erste 500 m lange Unterkunftshaus gefeiert werden.

Mit Kriegsbeginn 1939 wurden die Arbeiten auf der riesigen Großbaustelle stillgelegt. Nach 1945 wurden Teile des rohbauferigen „KdF“-Seebades demontiert und Abschnitte des Nordflügels von sowjetischen Truppen gesprengt.

In den 50er Jahren übernahm die NVA der DDR das riesige Areal und baute es zu einem Militärstandort aus, etwa 10000 Soldaten und Offiziere waren ständig bis zur Auflösung 1990 in Prora kaserniert. Teile des Südabschnittes dienten als nicht öffentlich zugängliches NVA -Erholungsheim für Offiziere.

Heute sind in dem historischen Gebäudekomplex u.a. folgende Einrichtungen untergebracht: Dokumentationszentrum der Stiftung Neue Kultur, das Museum zum Anfassen, KulturKunststatt Prora und die Grafik-Galerie.

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