Interview

„Wir leben in einer sehr unkomfortablen Welt“
Karim Rashid im Gespräch mit Petra Lasar



Karim Rashid lebt in New York, arbeitet mit Auftraggebern in 35 Ländern und hat bereits mehr als 3000 Produkte kreiert – viele davon mit festem Platz in etablierten Dauerausstellungen, wie etwa im MoMa oder dem Philadelphia Museum of Art.

Karim Rashid lebt in New York, arbeitet mit Auftraggebern in 35 Ländern und hat bereits mehr als 3 000 Produkte kreiert – viele davon mit festem Platz in etablierten Dauerausstellungen, wie etwa im MoMA oder dem Philadelphia Museum of Art.


In diesem Jahr war Karim Rashid die Desig­ner-Ikone der Mailänder Möbelmesse. Etwa 35 Aussteller in den Messehallen in Rho und bei den Veranstaltungen „Fuori Milano“ schmückten sich mit den farbprächtigen, organisch ge­schwungenen Produkten und Textilentwürfen von Karim (so signiert). Von Bettwäsche über Klein- und Outdoormöbel bis hin zu Sofas und Betten. In Pop-Manier machten die Hersteller den weltberühmten Designer voller Stolz zu ihrem Aushängeschild. Gewiss, Karim Rashid spielt mit. Er ist unbestritten ein Meister der Selbstinszenierung. Aber ist er deshalb oberflächlich, wie manche Kritiker den mit mehr als 300 Preisen überhäuften Designer abstempeln möchten?

Das Interview fand statt in der Via Tortona, bei dem italienischen Familienunternehmen Albed. Dort werden im Kerngeschäft Trennwände und Stauraumsysteme aus Glas und Aluminiumprofilen produziert.

„Karim ist so vielseitig und witzig, und technisch ist er äußerst versiert. Wer käme für eine neue Interpretation von Zimmertüren eher infrage?“, begeistert sich Andrea del Monte, der Inhaber von Albed. „Wir wollten unbedingt mit ihm zusammenarbeiten, und er hat Ja gesagt, obwohl wir ein kleines Unternehmen sind. Wir sind richtig stolz.“ Als Karim im gewohnt weißen Outfit, ergänzt durch ein pinkfarbenes Kapuzenshirt, eintrifft, stürzen sich alle Familienmitglieder auf ihn. Er ist offensichtlich aufgenommen, er ist einer von ihnen. Es ist eine ungezwungene, herzliche und sehr authentische Atmosphäre. Und Karim erweist sich als ernsthafter, nachdenklicher Gesprächspartner.

 

Karim, Sie haben die Türserie für Albed unter das Motto „Türen zu einer neuen Welt“ gestellt. Zu welcher Welt sollen die Türen denn Zugang bieten?

Zum 21. Jahrhundert.

 

Und wie sollte die Welt dieses Jahrhunderts aussehen?

Es sollte eine Art nahtlose Welt sein. Da gibt es Spracherkennung im gesamten Raum. Ein nachhaltiges Heizsystem, wo die Wärme direkt zu dir gelangt, dir auf Schritt und Tritt folgt. Der übrige Raum bleibt dann kühl. Das ist effizient. Eine digitale Welt, mit Tapeten aus Flüssigkristallen. Ich könnte immer weiter erzählen. Du gehst ins Badezimmer und stehst dort auf dem Fußboden. Durch die Aktivierung eines Spiegels misst du deinen BMI, dein Gewicht, den Blutdruck. Idealerweise könnten diese Türen Zugang zu einer Welt zukünftiger Technologie öffnen. Eine Welt, wie sie schon heute möglich ist, da es bereits alles gibt.

 

Haben Sie in dieser Richtung gearbeitet?

Seit zehn Jahren rede ich darüber, und vielleicht werde ich es eines Tages irgendwie realisieren.

 

Zurück zu Ihrem Design für Albed. Sie haben die Zimmertür neu erfunden?

Ich habe sie überdacht. Zum Beispiel muss eine Zimmertür nicht unbedingt eine Klinke haben; sie muss nichts haben, was behindernd oder gefährlich ist, nichts was hervorsteht. Viel besser ist etwas Strömendes, etwas Weiches. Auf eine Art ist die Tür auch eine Metapher für die Idee, dass wir, wie ich glaube, eines Tages nichts mehr anfassen müssen. Türen werden sich dann von alleine öffnen, wenn wir uns darauf zubewegen. Alles wird fließender. Diese Türen hier sind für mich eine Art Brücke, um in diese Art von Diskussion einzusteigen.

 

Berührungslosigkeit in der Einrichtung wäre perfekt für das Gesundheitswesen. Sind Sie in diesem Metier engagiert?

2012 wird es in Amerika 60 Millionen Rentner geben, so viele wie nie zuvor in der Geschichte. Ich glaube, gleiches trifft auch auf Westeuropa zu. Ich habe in den vergangenen Jahren richtig darum gekämpft, Unternehmen zu finden, für die ich Designprodukte für die ältere Generation entwickeln wollte. Niemand scheint daran Interesse zu haben. Es gibt nur ganz wenige Hersteller, die etwas tun. Das finde ich schockierend. Schon heute, mit gerade Mal 49, fange ich an zu denken, dass der größte Teil unserer Welt sehr ungemütlich ist und nicht gut funktioniert. Klar, ich bin kritischer, weil ich Designer bin. Aber ich denke, dass die Menschen sich sehr viel gefallen lassen müssen. Wir leben in einer sehr unkomfortablen Welt, die andere für uns erschaffen haben. Und diese anderen scheinen mehr Interesse an einer Designwelt zu haben, bei der das Styling im Vordergrund steht, und sie denken nicht im Geringsten daran, einen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten. Sie muss psychologisch, physiologisch und physikalisch funktionieren, mehr nicht.

 

Welchen Beitrag leisten Ihre Türen dazu konkret?

Was ist letztlich eine Tür? Sie stellt eine Art Barriere dar, eine Grenze zwischen Räumen.

Ich denke immer, ich würde lieber in einer Welt ohne Türen leben, ohne Barrieren und Grenzen. Deshalb haben wir diese Türen hier fließender gestaltet, weicher. So etwas kann man nur mit Unternehmen wie Albed machen. Etwas, womit die Italiener sich wirklich auszeichnen, ist Leidenschaft. Und nur kleinere Unternehmen sind dazu bereit, derartige Türen zu machen.

 

Sehen Sie kulturell bedingte Unterschiede im Design?

Im Gegensatz zu Westeuropa hat Amerika keine Designkultur. In Amerika habe ich daher sehr viele Produkte für 5 $, 10 $, 20 $
entworfen. Um Menschen für Design zu gewinnen, müssen sie es sich leisten können.


Sie arbeiten in unterschiedlichsten Bereichen, vom Entwurf einer Babyflasche bis zu Interior Design Konzepten für Luxus-Hotels und Modemarken. Was machen Sie am liebsten?

Ich entwerfe gerne Dinge, die das Leben der Menschen positiv beeinflussen und inspirieren, so dass sie sich wirklich lebendig fühlen. Dass sie eine Art sinnliche Erfahrung machen. Für mich gibt es keine Einschränkungen.


Haben Sie ein Lieblings-Design?

Das Problem mit dem Begriff Design ist, dass er so weit gefächert ist. Es fängt bei Weltraum-­Fähren an und hört bei keramischen Tellern auf. Ich habe deshalb ein Problem damit, von dem Design zu sprechen. Design ist so mannigfaltig. Nehmen Sie doch nur das Gerede über Mailand als die Hauptstadt des Designs. Vielleicht ist Mailand die Hauptstadt für Möbel, aber nicht die Hauptstadt für Design.
Design umfasst alles, jedwede Umgebung, Brücken, Wolkenkratzer. Mir fällt es schwer zu sagen, was ich wirklich mag. Wenn ich an Design im Zusammenhang mit Technologie denke, dann würde ich wohl i-pod sagen. Oder diese Mac Book Air, hier, weil es so angenehm leicht ist.

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