Wie bei einer griechischen Vase
Ein Gespräch mit Bruno Fioretti Marquez Architekten, Berlin

In diesen restaurierungswütigen Zeiten, in denen die gegenwärtige Architektur immer weniger wertgeschätzt wird, ist es um so über­raschender, wenn ein Architekturbüro sich an einer Aufgabe abarbeitet, die eher einer Neuerfindung dient, als einem imitierenden Knie­fall. Vor nämlich ganz großer deutscher Architekturgeschichte. Es ging um die Wiederherstellung der im Weltkrieg 1939–45 zerstörten zwei Meisterhäuser in Dessau.

DBZ: Wie heilig ist das Bauhaus heute noch?

José Gutiérrez Marquez: Hochheilig. Mit allen möglichen Distanzierungen ist das Bauhaus von der heutigen architektonischen Debatte nicht weg zu denken. Seinen Anspruch, die Architektur in der Gewerke-Ausbildung zu verankern, finde ich immer noch aktuell.

Donatella Fioretti: Man verknüpft mit dem Bauhaus viele unterschiedliche Vorstellungen. Seine Rezeption hat sich über die Jahrzehnte sehr verändert, von der Gründung der Schule in der Weimarer Republik über die Überschreibung nach 1933 zur seltsamen Ignoranz der DDR bis zum erneuten Interesse nach 1990. Eine andere Sache sind die Bauten. Hier gibt es natürlich Unterschiede. Die Schule ist etwas anderes als die Meisterhäuser.

Anders? Sind die Meisterhäuser weniger sakrosant als die Schule?

DF: Nein, aber rein architektonisch betrachtet gibt es innovativere Villen der Moderne. Innen sind die Meisterhäuser konventionell. Interessant ist, dass das Gropiushaus eine Art Schaufenster war, das uns vorführen sollte, was das moderne Wohnen sein könnte.

Wie schaut man aus Italien oder Argentinien aufs Bauhaus? Welche Klischees sind da die ersten?

Piero Bruno: Ich glaube, dass das Bauhaus für die deutsche architektonische Kultur eine unbelastete Vergangenheit ist, auf deren Bilder zumindest man gerne zurückgreift.

DF: Die Rezeption des Bauhauses in Italien war vorallem von dem Architekturkritiker Argan [Giulo Carlo Argan, 1909-1992; Be. K.] bestimmt, der hauptsächlich auf die kompositorische Sprache von Gropius zielte. Es ist sehr schwierig im Generellen über das Bauhaus zu sprechen. Es gibt die Bauten, die Meister. Und es gibt die Schule mit ihrer Utopie, die verschiedenen Gewerke in ein homogenes Gefäß zu bringen.

Muss man mit den Klischees vom Bauhaus brechen? Oder: Was unterscheidet die Meisterhäuser in Dessau vom Berliner Schloss?

PB: Wir glauben nicht, dass eine Rekonstruktion eine Operation ist, die seriöserweise zur Verfügung steht. Das ist ein Missverständnis des Begriffes selbst und seines Ergebnisses.

DF: Wir schätzen die kulturelle Praxis des Wiederaufbaus als sehr heikel ein. Die Annahme, man könnte beliebig die Uhr der Geschichte zurückstellen, ist fragwürdig. Und wir glauben, dass eine Rekonstruktion auch nicht wirklich interessant ist. Es gibt natürlich Wiederaufbauten, die direkt nach dem Trauma der Zerstörung erfolgt sind, das ist verständlich. Aber nach so vielen Jahren ein Gebäude so wiederaufzubauen, als hätte es etwas mit dem Original zu tun ist Unfug.

Kommen wir zu den Meisterhäusern zurück …

JGM: Bei den Meisterhäusern haben wir von Anfang an die Möglichkeit einer Rekonstruktion verweigert.

Was vom Bauherren aber auch gar nicht gewollt war?

DF: Der Bauherr wollte zu dem Zeitpunkt, als wir in den Prozess eingestiegen waren, keine reine Rekonstruktion mehr.

JGM: Was in der ersten Wettbewerbsrunde noch nicht klar war, hier wurde noch um Rekonstruktion ja oder nein oder was sonst gestritten. Als wir dazu kamen war der Gedanke an einen reinen Wiederaufbau nicht mehr vorhanden.

DF: Gegen eine Rekonstruktion sprachen zahlreiche objektive Schwierigkeiten, so gab es sehr wenig Pläne, die als Grundlage dienen könn­­ten. Zudem hätten wir bei einer Rekonstruktion keinen Bestandsschutz in Anspruch nehmen können, Geländerhöhen, Fensterbrüstungen und so weiter hätten heutigen Anforderungen entsprechend geplant werden müssen.

Was macht den Kern eures Entwurfs aus?

JGM: Schnell war uns klar, dass wir hier nicht im Einzelnen zu schauen hatten. Wir mussten Teile eines größeren Ganzen betrachten. Auf der einen Seite gabe es die Verpflichtung, das Ganze im Detail zu reparieren, auf der anderen, die reine Rekonstruktion zu verweigern. In diesem Spannungsfeld ist unser Entwurf entstanden.

DF: Es ging gar nicht um das Haus Gropius oder das Haus Moholy-Nagy, sondern um die ganze Anlage. Dabei haben wir versucht, die bestehenden Fragmente so zu reparieren, dass das gesamte Bild
lesbar wird und das Hinzugefügte erkennbar bleibt. Das ist vielleicht wie bei einer griechischen Vase, bei der die Fragmente zusammen­gesetzt werden und das Füllmaterial sichtbar bleibt.

Ein Spiel mit Volumina und weniger mit Gesichtern?

PB: Ja … Die Reparatur fordert nicht, wie die Rekonstruktion, die detaillierte Wiedergabe. Die wir ja auch nicht leisten können, die Erinnerungen an Details in aller Präzision haben wir verloren durch die Zeit. Der erinnernde Blick auf die Dinge ist ja generell unscharf.

War die Entwurfsaufgabe konkret an eine Nutzung gekoppelt?

DF: Das Gropius-Haus soll das Entreé für die ganze Siedlung sein, das Moholy-Nagy-Haus eine Erweiterung für die Kurt-Weill-Gesellschaft.

PB: Für den Wettbewerb hatten wir tatsächlich kein präzises Raumprogramm. Aber wir hatten die klare Vorgabe, dass wir öffentlichen Raum schaffen sollten. Was fernab von den ursprünglichen Wohnhäusern war und wir damit ganz andere Raumkonzepte brauchten.

Was bedeutet„Gebaute Unschärfe“ in eurer Strategie der Reparatur?

DF: Wir haben diese Aufgabe als eine vielschichtige und komplexe Auseinandersetzung mit dem Thema der Erinnerung verstanden. Wir betrachteten das Vergessen als zentralen Bestandteil des Erinnerns.Das Gedächtnis lebt von Ungenauigkeit, Unschärfe. Um diese Aufgabe zu bewältigen müssen wir mit Unschärfe arbeiten. Daher der Begriff. Uns ist klar, dass diese Bezeichnung ein Wiederspruch in sich ist. Wir haben nach einer Narrative, einer Erzählung gesucht, in der die unterschiedlichen Verständnisse dieses Problems zusammenfinden.

JGM: Es war wichtig herauszufinden, wie viele Informationen weggelassen werden können, ohne die Erkennbarkeit des Bildes zu verfehlen. Es ging um eine absichtlich unperfekte, abstrakte, fragmentarische Interpretation des Originals und um die aufwendige und starke Reduzierung der perzeptuellen Auswirkung der den heutigen Sicherheitsstandards und Baunormen entsprechenden Baudetails.

Wie haben sich die Fensterformate ergeben?

JGM: Die Fensterflächen sind exakt den Originalen entnommen. Wenn du ein L siehst, gab es dort eine Tür mit anschließendem Fenster, wenn du ein T siehst eine Tür mit zwei anliegenden Fenstern oben. Die Konstruktion wurde deutlich reduziert und abstrahiert.

Seid ihr mit allem zufrieden?

JGM: Ja, sehr. Vielleicht macht es etwas traurig, dass wir am Ende dann doch den deutschen Bauvorschriften einen Tribut haben zahlen müssen … Wir jedenfalls hätten gerne auf die Absturzsicherungen am Eingang zum Gropius-Haus verzichten können.

Mit Piero Bruno, Donatella Fioretti und José Gutiérrez Marquez sprach DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 7. Juli 2014 in deren Büroräumen in Berlin.

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