Viel Raum für
Experimente
DRK-Kindertagesstätte Lichtenbergweg, Leipzig

Eine eigene Lebenswelt überraschender, sehr sinnlicher Qualitäten gelang der Berliner Architektin Susanne Hofmann in Leipzigs Osten, die aus einem offenen diskursiven Prozess mit den Nutzern, dem Deutschen Roten Kreuz, und dem Bauherr, der Stadt Leipzig, hervorging.

Über kein Thema können Architekten wohl heftiger streiten als über die Frage, welche Architektur für Kinder
ge­eignet sei. Die einen vertreten die Position eines spezifischen kindgerechten Bauens, eine Architektur vielgliedriger Raumkörper, die sich deutlich mit ihren Farben voneinander absetzen, die spielerisch bis verspielt die Welt der Kinder aufnehmen. Was oft für die anderen ein Grauen ist, die vor allem eine Kita oder Schule klar strukturiert wünschen und auf starke Farbakzente verzichten möchten, da die Kinder selbst genug Farben in die Schule bringen. Ordnung und leichte Orientierung soll Architektur leisten, so meinen sie, weshalb Architekten nur die anderen Größenmaßstäbe von Kindern, niedrigere Sitzhöhen und Fensterbrüstungen stärker beachten müssten. Weniger eine eigene architektonische Welt für Kinder sei dafür nötig als mehr haptische Angebote, mehr Räume zur Förderung der Kommunikation von Kindern.

Solchen Kontroversen möchte sich die Berliner Architektin Susanne Hofmann nicht anschließen. Mehr über Stil als über die Aufgaben werde hier oft gestritten. Die Nutzer, vor allem die Kinder und Jugend­lichen, müssten stärker ihre Wünsche und Vorstellungen in den Entwurfsprozess einbringen können, weshalb sie vor Jahren das Projektstudio „Die Baupiloten“ an der TU Berlin ins Leben rief. Mit ihm erhielten Studenten die Möglichkeit an konkreten Bauprojekten ihre Profession zu erlernen und zugleich neue Wege der Partizipation mit den Nutzern zu entwickeln. Eine Vorgehensweise, die sich beim Umbau mehrerer Schulen und Kindergärten zumeist in Berliner Problemquartieren als sehr erfolgreich erwies, da sich die Nutzer, Kinder und Pädagogen, mit dem Gebautem stärker identifizieren konnten. Was 2009 die Stadt Leipzig dazu bewog Susanne Hofmann zu einem Modellvorhaben einzuladen. In Leipzigs Osten sollte ein alter DDR-
Behelfsbarackenbau durch einen Neubau ersetzt werden, an dem man die Möglichkeiten eines partizipativen Planungsprozesses ausloten wollte.

Partizipativer Prozess

Auf der Grundlage intensiver Beobachtungen des Kita-Alltags, die auch fotografisch festgehalten wurden,
erstellten Susanne Hofmann und ihr Team ein erstes Grundriss- und Schnittschema für den Neubau. Anhand dieses Materials erfolgte in einem Diskussionspanel mit den Erzieherinnen sowie Vertretern des Hochbauamts eine Präzisierung des Raumprogramms und der päda­gogischen Leitideen. Durch die Zuordnung der Fotos
zu den jeweiligen Raumteilen wurde den Nutzern und Bauherren­vertreter die Bedeutung und Gewichtung der Räume bewusster, denen sie im Weiteren atmosphärische Qualitäten wie „geborgen, veränderbar, bequem oder ruhig“ zuzuordnen hatten. Die intensive Auseinandersetzung mit der Aufgabe stellte Vertrauen her und
minimierte spätere Änderungswünsche und mögliche Konflikte zwischen Nutzern und Bauherr.

Workshops mit Erzieherinnen und Kindern

Eine gemeinsam mit den Erzieherinnen konzipierte Projektwoche zu Naturphänomenen diente danach dazu die Wunschwelten der Kinder zu ermitteln und diese in den Entwurfsprozess einzubeziehen. Dazu stellten die Architekten den Kindern assoziative Fotoserien zu Naturphänomenen bereit, die in zwei nach Kindesalter getrennten Workshops zu Zeichnungen und Raumobjekten anregten. In simplen Schuhkartons entstanden eigene kleine Wel­ten, die bestimmte Themen wie Regenbogen, Vulkan oder Fels- und Lichtspalten häufiger als andere behandelten, was die Architekten bewog einzelne räumliche
Situationen aufzunehmen und in den Entwurf zu integrieren. Aus diesem partizipativen Prozess ging letztlich erst das neue 972 m2 große Kita-Gebäude für 100 Kinder hervor, wenngleich seine Position auf dem weiten Kita-Gelände schon früh von Susanne Hofmann festgelegt worden war. Um möglichst wenige Bäume auf dem relativ großen Gelände zwischen einem Park und einem Einfamilienhausgebiet fällen zu müssen, wurde das Gebäude um den vorhandenen Baumbestand entwickelt und neben dem Bestandsbau einer Kinderkrippe an die Grenze zum Park gerückt. Dem großen gemeinsamen Spielhof gesellt sich so mit der neuen abgeknickten Zweiflügelanlage ein weiterer, nun intimerer Hof hinzu, der u. a. für Geburtstagsfeste intensiv genutzt wird.

Durch den partizipativen Prozess änderte sich die Gewichtung der einzelnen Raumteile. Das Foyer in der Mitte, der Multifunktionsraum und die weiteren Erschließungsflächen veränderten teilweise erheblich ihre Lage, Orientierung und räumliche Gestalt zugunsten eines stärkeren Eigenlebens der beiden Bereiche am Ende der Flügel, die jeweils von den jüngeren oder älteren Kindern genutzt werden. Mehr wie ein Ensemble mehrerer Häuser als wie ein Haus wirkt der Neubau, der sich von Norden nach Süden allmählich von einem zu zwei Geschossen aufstaffelt, vor- und zurückspringt und sich auch materiell wandelt. Bauteile in Holzbauweise und Massivbau wechseln sich ab, die mit einer Lärchenholzschalung oder Putz verkleidet und wiederkehrend farblich kontrastreich akzentuiert wurden – in warmem Orange gen Norden und kühlerem Grün gen Süden. Sehr unterschiedliche Fensteröffnungen, akzentuiert mit breiten weißen Rahmen und frei über die Flächen platziert, gingen aus den Workshops hervor, die den Kindern eine Vielzahl von Ein- und Ausblicken anbieten, sie im Innern zu unterschiedlichen Nischen und Perspektivwechseln verführen. Entlang der langen, aber immer wieder abgeknickten Verbindungswege wechseln sich Fenster von Raum zu Raum mit solchen nach Außen ab, deren tiefe Fensterbänke ihnen ein längeres Verweilen in den Korridoren erlaubt. Kurzweilig perforiert wirkt jeder Raum, wo angekommene Kinder von ihren Garderoben schon das Geschehen in ihrem Gruppenraum verfolgen können oder sich ihnen in den Knicken überraschende Nischen des Rückzugs bieten.

Unterschiedliche Deckenhöhen, Lichtkörperinstallationen sowie verschieden farbige Raumfassungen lassen sehr unterschiedliche Raumatmosphären entstehen, die sich dank verschieden positionierter Oberlichter während eines Tages verwandeln können. Ein Effekt, der von prismatischen Lichtschwertern unter den Oberlicht-Einschnitten verstärkt wird, die farbig gebrochene Lichtreflexionen in die Räume werfen – wenngleich dies nur bei Sonnenzenith zufriedenstellend funktioniert. Das sehr begrenzte Baubudget erlaubte am Ende nur einfachere Ausführungen, worunter besonders der Multifunktionsraum leidet, der zugunsten der Haustechnik eine brachiale Senkung der Decke hinnehmen musste. Dennoch konnten viele der räumlichen Wunschsituationen der Kinder wie die Felsspalten, die Aussichtswolke oder der Auslug zu den Bäumen verwirklicht werden. Und im Vergleich zu vielen anderen Bauten für Kinder entwickelten Betreiber und Architektin gemeinsam ein kluges Möbellierungs­sys­tem, das nicht mit dem räumlichen Konzept kollidiert.

Eine sehr faszinierende Lebenswelt bietet Susanne Hofmanns Kita, die von ihren Nutzern und der Stadt Leipzig ungewöhnlich positiv angenommen wurde. Nicht jede Idee oder jedes Experiment wie z. B. die drehbaren Lichtreflektoren vor dem Südhaus gelang wirklich perfekt, aber das Ergebnis einer partizipativen Planungsweise schuf ein Gebäude mit einem unverwechselbaren Eigenleben. Wo viele Archi­tekten der Gegenwart sich auf die vermeintliche Sicherheiten eines Stils oder des schon Bewährten zurückziehen, nimmt sich Susanne Hoffmann der individuellen Wünsche der Nutzer an, der beiden Seiten vielfältige Lernprozesse und nicht zuletzt der Architektur wieder die Freiheit zu Experimenten eröffnet.
Claus Käpplinger, Berlin

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