Teil eines Ensembles
Hotel am Domplatz, Linz/A

Kontextualismus ist einer der beliebtesten Ismen, mit denen Architekten und Kritiker die gebaute Umwelt zu beschreiben und zu begründen versuchen. So ist ein konservativer, unkritisch angepasster Baukörper ebenso dem Umfeld verpflichtet wie der bizzare Fremdkörper, der sich als zeitgenössischer Kontrapunkt der Baugemengelage stellt. Abgesehen davon, dass bezugsloses Bauen gar nicht möglich ist, reicht das Spektrum von Rekonstruktionen von „kritischen“ Rekonstruktionen bis hin zu „Friendly Aliens“ (Kunsthaus Graz), die selbstverliebt ihrem Gegenüber die kalte Schulter zeigen

Das neue Hotel am Domplatz in Linz von Josef Hohensinn erscheint auf den ersten Blick alles andere als kontextuell zu sein, offenbart aber bei genauerer Betrachtung viele Bezüge, die direkt aus dem unmittelbaren Umfeld abgeleitet wurden. Und in direkter Nachbarschaft des Doms gelegen, gebietet sich die erste Referenz zu eben jenem neugotischen Bauwerk, das den Baugrund dominiert. Nun schwebt das neue Hotel zwar als heller Sichtbetonkörper dank einer rundumlaufenden Schattenfuge über dem großflächig gepflasterten Dom-platz, was dem dunkel aus dem Boden wachsenden Gotteshaus diametral entgegensteht, spricht aber dennoch die gleiche Sprache.

Diese Sprache heißt Gotik und steht für das Auflösen des Baukörpers in seine Tragstruktur. Wo der Dom mit Naturstein und bleiverglasten Öffnungen arbeitet, setzt das Domhotel zeitgemäß auf beigen Sichtbeton und Vollverglasungen in filigranen, geölten Lärchenholzrahmen. Der fünfgeschossige Skelettrahmenbau ist deutlich durch Fugen gegliedert, die die vertikalen Elemente von den horizontalen absetzen. Die vertikale Struktur, eigentlich das zentrale Thema der Gotik, wird in dem Neubau nochmals durch die Verjüngung nach oben hin aufgegriffen. Leichte Knicke in der Fassade nehmen vorhandene Richtungen und Bezüge auf und resultieren in einer mehrfach gebrochenen Spiegelung der Domfassade. Der Eindruck eines Solitärs auf einem Tablett wird durch die besagte Schattenfuge, die – wenn auch leicht gestörte – Gleichmäßigkeit der Fassade und den völligen Verzicht auf Brückenelemente zur Verzahnung mit dem Kontext verstärkt: Es gibt kein Vordach, keinen betonten Eingang, keinen Appendix oder Erker, keine speziellen Terrassen und keine Grünanlagen. Im Erdgeschoss gibt es lediglich auf der Südseite einen Arkadengang, sowie einen einspringenden Freisitzbereich auf der Nordostecke.

Alle bis hier beschriebenen Punkte täuschen darüber hinweg, dass der Solitär Teil eines Ensembles ist, zu dem die beiden unmittelbar benachbarten Altbauten zählen. Sie gehören auch zum Hotel, wurden komplett saniert und nehmen neben dem Restaurant und dem Seminarzentrum noch einige Apartements auf. Lediglich die in abstrakte Glas- und Kupferstreifen aufgelöste Nordwestecke, in der sich das Restaurant befindet lässt eine Zugehörigkeit vermuten. Noch mehr täuscht die Leichtigkeit des Baukörpers darüber hinweg, dass gut zwei Drittel des Neubauvolumens unterirdisch liegen (Tiefgarage).

Der Innenausbau nimmt die Leichtigkeit und helle Farbgebung
der Fassade auf und strahlt dank der unverfälscht eingesetzten Ma-
terialien wie Leder und Eichenparkett, die den Sichtbeton und das geölte Lärchenholz ergänzen, eine natürliche und freundliche Atmosphäre aus. Alle Zimmer haben vollverglaste Fassaden und teilverglaste Badezimmer, wodurch der Innen-/Außenbezug hergestellt wird, welchen ein tatsächlich in seine Umgebung haltbar verankertes Gebäude ohne Diskussion anzubieten hat und hier perfekt anbietet. Das formale Highlight ist der mit einer Kunstinstallation aus Schriftzügen angereicherte Vertikalschacht im Zentrum des Hotels. Durch die nicht parallele Ausrichtung der Fassaden öffnet sich ein leicht keilförmiges Atrium, das die sonst übliche Monotonie von Hotelfluren aufbricht und durch das Glasdach Licht in den Kern fließen lässt. Ein einseitig tief heruntergezogenes Brüstungselement führt den Schacht bis in die transparente Eingangsebene, wo sie den Frühstücksbereich vom Rezeptionstresen und Empfang separiert, ohne die Gesamtheit der Etage zu zerstören. Elegante Details wie komplett eingelassene Fensterrahmen und verdeckte Außenbeschattungen tragen weiter zur unaufgeregten und zurückhaltenden Eleganz des selbstbewusst eigenständigen Baukörpers bei. Frank F. Drewes, Berlin

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