Stahlglasträger in der Fassade
Entwicklung einer hybriden Fassadenkonstruktion aus Glas und Stahl

Herkömmliche Pfosten-Riegel-Konstruktionen in Fassaden werden im Allgemeinen mit den opaken Materialien Stahl oder Aluminium aus­geführt. Der Trend in der modernen Archi­-tektur zu mehr Transparenz in der Fassade kann jedoch mit solchen Systemen auch bei großflächigen Verglasungen oft nicht befrie-digend umgesetzt werden. Deshalb wird Glas nicht nur raumabschließend mit ausfachen­den Funktionen verwendet, sondern zunehmend auch als lastabtragendes und aussteifendes Bauteil eingesetzt. Glasschwerter werden beispielsweise als Pfosten in der Fassadenkonstruktion genutzt. Im Rahmen eines Forschungsprojektes werden der Ein­-satz von hybriden Glasträgern in Fassaden untersucht und Glas-Stahl-Verbundlträger entwickelt, die den Weg für neue Fassadenkonstruktionen ebnen. Der Prototyp wurde auf der glasstec 2010 in Düsseldorf vorgestellt. Ein erstes Bauvorhaben mit der neuen Fassadentechnik soll 2011 fertiggestellt sein.

Bisher erfolgte die Ausführung von Fassaden mit lastabtragenden Glasschwertern und Glasträgern ausschließlich durch Sonderkonstruktionen, da derzeit noch keine aktuelle technische Baubestimmung für die Bemessung und Konstruktion existiert. Die Sprödigkeit von Glas führt bei dieser Anwendung häufig zu einer unwirtschaftlichen Bemessung, da neben dem Grenzzustand der Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit auch die Resttragfähigkeit betrachtet werden muss. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Resttragfähigkeit von Glasträgern aus Verbund-Sicherheitsglas (VSG) unter Biegebeanspruchung unabhängig von der verwendeten Glasart nicht ausreichend gewährleistet werden kann.

In dem durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie finanziell geförderten und von der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH betreuten Forschungsprojekt „HybridGlasSt“ wurden in Zusammenarbeit mit dem Forschungspartner des Fachgebiets Baustatik von der Universität Duisburg-Essen Glas-Stahl-Verbundträger entwickelt, die über eine höhere Steifigkeit und damit Tragfähigkeit verfügen. Beteiligt an der Realisierung des Fassadenkonzeptes waren außerdem die Unternehmen Delo Industrie Klebstoffe, Glasid, die Hunsrücker Glasveredelung Wagener sowie Jansen und ViscoTec Pumpen- und Dosiertechnik.

Die Herstellung der Träger erfolgte unter Verwendung der materialgerechten adhäsiven Fügetechnik – einer linienförmigen Klebung zwischen Stahl und Glas. Zusätzlich trägt die Ertüchtigung des spröden Glases mit duktilem (plastisch verformbaren) Stahl entscheidend zur Verbesserung der Resttragfähigkeit und der erforderlichen Redundanz von Bauelementen bei. Die Stahlelemente ermöglichen zudem die Kombination mit konventionellen Verbindungstechniken zum Anschluss weiterer Bauelemente oder zum Fügen untereinander. In Zukunft sollen so energiesparende transparente Fassadenkonzepte realisiert werden. Es handelt sich dabei um eine lastabtragende Verbindung zwischen einem minimierten Fassadenprofil aus Stahl und einem stehenden Glasschwert, die die Windlasten zusammen abtragen. Die Basis bildet ein minimiertes Pfosten-Riegel-System. Die hybriden Glasschwerter werden mit dem angeklebten Adapterblech aus Edelstahl an das Fassadenprofil geschraubt.

Zukünftig könnte damit Architekten ein modulares System zur Verfügung gestellt werden, das dennoch eine individuelle Endgestaltung zulässt. Bisher wurden ähnliche Konstruktionen bereits mit schwarzen Silikonverklebungen durchgeführt. Allerdings benötigt man hier größere Klebeflächen und die vollständige Transparenz ist nicht gewährleistet. Die Verklebung der Konstruktion mit transparenten lichthärtenden Acrylatklebstoffen bietet daher neue gestalterische Möglichkeiten. Der innovative Verbundträger ermöglicht durch den konstruktiven Einsatz des neuen Klebstoffs einen Technologiesprung im Glasbau. Es kann in Analogie zum Stahlbeton von Stahlglasträgern gesprochen werden. Das transparente Glas wird durch den duktilen Stahl bewehrt. Ähnlich wie der Stahlbeton nach einer eher technischen Anwendung schließlich eine ganz neue Architektursprache ermöglichte, so ist auch bei den hybriden Trägern das Potential für neue Gestaltungen sehr groß.

Lichthärtende Acrylate bieten neue Möglichkeiten

Die hybriden Glasträger bestehen aus VSGmit zusätzlich angeordneten Stahlelementen aus Edelstahl. Die Verbindung erfolgt über eine linienförmige Klebung mit einem transparenten Klebstoff.  Die linienförmige Klebung ermöglicht die kontinuierliche Lastabtragung zwischen Stahlelementen und Glas und vermeidet lokale Spannungskonzentrationen. Die wesentlichen Anforderungen an den Klebstoff sind deshalb eine hohe Festigkeit zur Lastabtragung mit einer gleichzeitig ausreichenden Elastizität zum Ausgleich von Temperaturdehnungen. Im Allgemeinen sind die mechanischen Eigenschaften von Acrylat von der Temperatur, dem vorhandenen Medium sowie der Belastungshöhe und der Belastungsdauer abhängig. Deshalb konzentrierte sich das Forschungsprojekt vorerst auf vertikale Fassadensysteme im Innenbereich. Ein Schwerpunkt der Untersuchungen bildete die Entwicklung geeigneter Querschnittsgeome-trien hybrider Glasträger, die eine dauerhafte mechanische Funktion der adhäsiven Verbindung zwischen Stahlelementen und Glas gewährleisten und eine ausreichende Belichtung für die Aushärtung während der Herstellung ermöglichen.

Experimentelle Untersuchungen

Die Glas-Stahl-Verbundträger werden für die Anwendung in der Fassade maßgeblich auf Biegung um die starke Achse beansprucht. Zur experimentellen Untersuchung des Tragverhaltens und des Resttragverhaltens der Prüfkörper wurde der Versuchsaufbau für den Vierpunkt-Biegeversuch nach DIN EN 1288-3 modifiziert. Die untersuchten Glasträger bestanden aus VSG mit 3 x 6 mm Floatglas und einer Zwischenfolie aus Polyvinyl-Butyral (PVB) mit einer Nenndicke von 0,76 mm. Die Kantenqualität entsprach einer geschliffenen Bearbeitung. Die Stahlelemente der Hybridträger bestanden aus Edelstahl 1.4401. Diese Festlegung basiert auf den Ergebnissen vorangegangener Untersuchungen mit klein­teiligen Prüfkörpern aus Glas und Stahl. Die adhäsive Verbindung erfolgte mit einem speziell entwickelten Acrylat-Klebstoff.

Untersucht wurden drei hybride Querschnittsvarianten, die einen späteren Adapteranschluss ermöglichen. Zusätzlich wurde VSG ohne Stahlelemente als Referenz verwendet. Nachdem sich in einer Glasscheibe des VSG ein Riss ausbildete, wurde die Belastung infolge des Spannungsabfalls unterbrochen. Anschließend erfolgten neue Belastungen, bis alle drei Glasscheiben des VSG mindestens einen Riss aufwiesen. Nach dem Bruch aller drei Glasscheiben erfolgte zur Beurteilung des Resttragverhaltens eine weitere Lasteinleitung. Im Vergleich zu Glasträgern ohne Stahlelemente kollabierte der Prüfkörper nicht und trug die Lasten weiterhin unter größeren Verformungen ab.

Aus den gemessenen Werten der Kraft und der Verformung wurde in Abhängigkeit des statischen Systems die Biegesteifigkeit für die einzelnen Prüfkörper berechnet. Die Biegesteifigkeit der hybriden Glasträger im intakten Zustand ist wegen der zusätzlichen Stahlelemente grundsätzlich höher als die Biegesteifigkeit der Glasträger ohne Stahl­elemente. Nach dem Bruch aller drei Glasscheiben verloren die Glasträger ohne Stahlbauteile fast die gesamte Tragfähigkeit. Ihr Resttragverhalten war im Vergleich zu den hybriden Querschnitten sehr gering. Die ­ge­brochenen Glasscheiben der hybriden Glasträger wurden durch die zusätzlichen Stahl­elemente verstärkt. Eine weitere Laststeigerung nach dem Bruch aller Glasscheiben ist möglich. Die höchste Biegesteifigkeit für die Resttragfähigkeit zeigte der hybride Querschnitt, bei dem die Ausbildung der Stahlelemente als T-Stück auf eine Adapter­lösung zum Anschluss an das raumabschließende Fassadensystem ausgerichtet war. Die beschriebenen Untersuchungen und deren Ergebnisse verdeutlichen das verbesserte Tragverhalten und Resttragverhalten von hybriden Glasträgern unter Kurzzeitbelastung. Weiterführende Langzeitbelastungen zur Bestimmung des Kriech- und Relaxationsverhaltens werden zurzeit durchgeführt.

Entwicklung einer Musterfassade

Auf Grundlage der erzielten Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt wurde für die Messe glasstec 2010/glass technology live in Düsseldorf eine Musterfassade entwickelt, um das allgemeine Konstruktionsprinzip und das Erscheinungsbild der hybriden Glasträger in der Anwendung zu verdeutlichen. Die hybride Fassadenkonstruktion besteht aus vier Glaspfosten mit einer Länge von 3,50 m und einer Tiefe von 0,20  m, der Achsabstand beträgt 1,75 m. Damit sind raumhohe Verglasungen möglich. Die Glaspfosten setzen sich aus einem VSG mit 3 x 8 mm Einscheiben-­Sicherheitsglas (ESG) zusammen. Grund­sätzlich können durch das verbesserte Resttragverhalten gegenüber Glaspfosten ohne zusätzliche Stahlelemente auch VSG mit nur zwei Glasscheiben verwendet werden.

Für die Musterfassade wurde der Querschnitt mit der günstigsten Klebfugengeometrie gewählt. An die beiden Kanten des Glaspfostens wurden über eine linienförmige Klebung die Edelstahlbleche angeordnet. Die adhäsive Verbindung erfolgte mit dem speziell entwickelten transparenten Acrylatklebstoff und benötigte nur wenige Minuten für die Aushärtung. Das Edelstahlblech an der inneren Kante hat die Abmessungen 3 mm x 27 mm. An die äußere Kante wurde ein Edelstahlblech mit 4 mm x 50 mm als Adapter appliziert. Die Verbindung zwischen dem Adapter und dem Fassadenprofil erfolgte über eine Verschraubung mit Senkkopfschrauben. Durch die mechanische Verbindung kann der unkomplizierte Austausch eines Pfostens bei Glasbruch gewährleistet werden. Das Fassadenprofil mit einer Breite von 50 mm und einer Tiefe von 25 mm ist ein herkömmliches Stahlprofil für Fassadensysteme. Die linienförmige Lagerung der Verglasung wurde durch eine sehr flache Druckleiste mit einer Höhe von 5 mm und einer Breite von 50 mm sichergestellt.

Die aktuellen energetischen Anforderun­gen an Fassaden – ein entscheidendes Kriterium bei der Produktwahl – werden durch den Einsatz einer Dreischeiben-Isolierverglasung realisiert. Als Wärmedurchgangskoeffizient der Fassade können Werte bis zu 0,78 W/ m2K erreicht werden. Der Gesamtenergiedurchlassgrad der Verglasung liegt in Abhängigkeit der Beschichtung wahlweise zwischen 24 % bis 55 %.

Die Musterfassade wurde unter Verwendung marktüblicher Bauteilkomponenten erstellt. Dadurch können die Kosten für Herstellung und Planung im Vergleich zu Fassaden mit Glaspfosten als Sonderkonstruktion reduziert werden. Die hybride Fassadenkonstruktion wird zu einem modularen System weiterentwickelt. Es ist zunächst geplant, die Musterfassade in Referenzobjekten mit einer Zustim­mung im Einzelfall einzusetzen. Bei Interesse können sich Architekten und Bauherren gerne an die Projektbeteiligten wenden. Anschließend soll eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für die Fassadenkonstruktion beantragt werden.

Fazit

Die vorgestellten hybriden Glasträger aus VSG mit zusätzlich angeordneten Stahlelementen aus Edelstahl zeigen in den experimentellen Untersuchungen eine höhere Tragfähigkeit im Vergleich zu Glasträgern ohne Stahlelemente. Der Vorteil der Stahlelemente, die über eine lineare Klebung aus transparentem Acrylat mit dem Glas verbunden sind, verleiht den hybriden Glasträgern nach dem Bruch der Glasscheiben eine hohe Resttragfähigkeit. Eine mögliche Anwendung liegt in der Fassade.

Energetische Bewertung
Glas: Sonnenschutzglas Sunbelt 61/33
Lichttransmission 61 %, g-Wert 33%und Ug 0,6 W/m²K für die gezeigten, realen Glasdicken (8 ESG-H /14 SZR/ 6 ESG / 14 SZR / VSG 8 mit 0,76 PVB)
Alternativ z.B. auch als Wärmeschutzglas: N-Solar
Lt = 70 %, g = 57 % und Ug = 0,7 W/m²K
Fassade: Jansen
Fassaden: Uf = 0,78 W/m²K
Möglicher Ucw-Wert: 0,8 W/m²K
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