Smarte Hülle
Case Study House „Smart ist grün“, IBA Hamburg

An dem prototypischen Mehrfamilienhaus auf der Bauausstellung der IBA Hamburg erprobt ein Team von Architekten, Haustechnikern und Landschaftsplanern die Verwendung von Smart Materials an der Gebäudefassade. Bei dem Effizienzhaus Plus werden die verschiedenen Fassadenbestandteile als ganzjährig energieaktive Elemente eingesetzt.

Das für die IBA Hamburg entwickelte Case Study House von zillerplus Architekten und Stadtplaner aus München will dem Wohnen der Zukunft ein Gesicht geben und demonstrieren, dass die Energiewende durchaus eine neue Ästhetik der Architektur hervorbringen kann. Das intelligente Energiekonzept bezieht die gesamte Gebäudehülle mit ein, die zur Energiegewinnung und -einsparung genutzt wird.

Das 5-geschossige Wohnhaus ist ein kompakter Baukörper (A/V 0,38), der sich von der vergleichsweise geschlossenen und so gegen den Straßenlärm geschützten Nordfassade über seine Ost-/West-Flanken zur Südseite hin solar wirksam öffnet. Auch die der Sonnenseite vorgelagerten Balkone nehmen mit ihren Brüstungselemen­ten die Kubatur auf. Als großräumige Geschossgärten bilden sie einen Klimapuffer für die dahin­terliegenden Wohnungen. Die Dachfläche ist zum Teil begrünt. Technische Geräte und PV-Module wurden in die Dachgestaltung miteinbezogen.

Energiekonzept und Gebäude entwickelten die Architekten gemeinsam mit Energietechnikern, Tragwerksplanern, Landschaftsplanern, einem DGNB Auditor und der Industrie. Das integrale Planungsteam für die Entwicklung der Smart Materials umfasste das Architekturbüro zillerplus, das Ingenieurbüro Hausladen und das Büro Burger Landschaftsarchitekten Partnerschaft. Die Entwicklung und Planung erfolgte im interdisziplinären Austausch und wurde unterstützt durch die Forschung­sabteilungen der Industrie im Bereich PCM, Stoffe, Kollektoren und haustechnische Produkte, in der Umsetzung durch Behrendt Wohnungsbau und Pinck Ingenieure.

Klimafassade

Die Südfassade funktioniert als ausgefeiltes System aus drei energieaktiven Schichten: Strom- und Wärmeenergie erzeugen die PV-Module an den Balkonbrüstungen und Solarkollektoren an der Attika. Für Sonnenschutz im Sommer sorgen die vertikalen und zentral bewässerten Rank­elemente, wenn die blatttragende Kletterhor­tensie reichlich Schatten spendet. Wenn dagegen im Winter solare Wärmeeinträge erwünscht sind, haben die Pflanzen ihr Laub verloren und lassen bei niedrigem Sonnenstand genügend Lichtenergie hindurch, die von dem dritten Element aufgefangen und gespeichert werden kann. Denn hinter der großflächigen 3-fach-Verglasung werden in den Innenräumen zusätzlich speziell für dieses Bauprojekt entwickelte Vorhänge eingesetzt, die mit paraffin verkapseltem PCM (Phase Change Material) beschichtet sind. PCM ist ein latenter Wärmespeicher, der die tagsüber aufgenommene Wärmeenergie in den kühleren Abend- und Nachtstunden wieder an den Innenraum abgibt (mehr dazu auf S. 90). Auf diese Weise sollen Temperaturspitzen ausgeglichen und ohne zusätzlichen Energieeinsatz ein Beitrag zum Komfortempfinden der Bewohner geleistet werden. Vor allem für Passivhäuser, die ohne statische Heizkörper vor den Fenstern auskommen und die auch in der kalten Jahreszeit einen äußerst geringen Heizbedarf haben, könnte in dieser innovativen Low-Tech-Variante ein Schlüssel für eine vollkommen klimaneutrale Wärmeversorgung liegen. Die Vorhänge wurden in einem kooperativen Design- und Produktionsprozess in verschiedenen Ausführungen als Prototyp für dieses Gebäude entwickelt, ihr Wirkungsgrad wird derzeit durch ein Monitoring begleitet und überprüft.

Intelligente Speicher

Mit Salzhydrat, einem anderen Phase Change Material, ist der Heizungsspeicher für die Wärmeversorgung des Mehrfamilienhauses gefüllt. Für den Warmwasser- und Heizwärmebedarf wird die Wärme-energie in den Solarkollektoren erzeugt. Der PCM-Mittelzeitspeicher gleicht hier Tages- und Wochenschwankungen aus und puffert vor dem Zugriff auf das Nahwärmenetz, das im Sommer die nichtspeicherbare Überproduktion aufnehmen und im Winter zusätzliche Heizenergie liefern kann. Der Wärmeüberschuss wird im Sommer zur Erzeugung von Absorptionskälte für Nichtwohngebäude im Energieverbund genutzt. Auch die Salzhydratspeicher werden in diesem Projekt einer Erprobung unterzogen. Sie können bei gleicher Speicherkapazität und geringerer Materialdichte eine kostengünstige Alternative zu Paraffin basierten Speichern darstellen. Durch ein ausgefeiltes Regelungskonzept werden die technischen Komponenten der Energiegewinnung und -speicherung aufeinander abgestimmt und die Schnittstelle zum Nahwärmenetz reguliert. Die Solarthermiefläche ist größer als üblich und wurde durch die Einspeisungsbegrenzung ins Netz limitiert. Durch den Einsatz erneuerbarer Energien werden nach PHPP 62 % des Gesamtenergiebedarfs gedeckt. Die CO2-Emissionen sind gleich Null, da sowohl die Wärme-erzeugung über die Solarthermie als auch für das Nahwärmenetz CO2-neutral erfolgt. Nur der Strombedarf der Bewohner konnte aus Platzmangel auf dem Dach nicht vollständig über PV-Module gedeckt werden.

Flexible Grundrisse

Das Thema Flexibilität war ein anderes wichtiges Stichwort bei den Entwurfsüberlegungen für das Smart Material House „Smart ist grün“: Nicht nur reagiert das Wärmeschutz- und Energiekonzept mit seinen Komponenten intelligent auf die jahreszeitlich wechselnden Klimaverhältnisse – auch das gut durchdachte Grundrisskonzept ist variabel und lässt sich an die veränderten Nutzungsbedürfnisse im Lebenszyklus der Bewohner anpassen. Dies gelang auch durch die konsequente Trennung von Tragwerk, Fassade und Innenausbau und die Anordnung von Treppenhaus, Bädern und Zugängen. Das Erdgeschoss ist schwellenfrei, die Obergeschosse sind über einen Aufzug erschlossen. Das Gebäude wurde im Passivhausstandard errichtet und mit kontrollierter Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung ausgestattet. I.S.

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