Schloss ganz zeitgenössisch

Ein Blick auf den Baustellenzwischenstand zeigt überraschend, wie zeitgenössisch das als rückwärtsgewandt geschimpfte Schlossprojekt in Berlin eigentlich ist

Der Chef der „Stiftung Berliner Schloss - Humboldt Forum", Manfred Rettig, 2009 vom Bund eingesetzt, um das millionenschwere Kultur- und Bauprojekt auf Kurs zu halten, ist sich sicher: das Schloss ist nicht mehr zu stoppen. Schon allein deswegen, weil jede Änderung, wie er in einem aktuellen Interview sagte, zu unkalkulierbaren Kosten führt. Und wenn die nach oben schießen, muss dafür jemand die politische Verantwortung übernehmen.

Das klingt dramatisch und überaus redlich, doch leider haben wir in der Vergangenheit schon oft erlebt, auf welche Weise die Politik Verantwortung übernimmt (im schlimmsten Falle: Rücktritt, kurz darauf Neuanfang an anderer Stelle. Sonst: Aussitzen). Wenn hier am Schloss verändert werden sollte, mache er nicht mehr mit. Und er schließt diesen Exkurs über Verantwortung damit, dass man aus einem solchen Projekt nur unversehrt herauskomme, wenn man es erst einmal zu Ende bringt: „Wenn Sie ein Auto mit Lederpolster bestellt haben, können Sie 14 Tage später auch nicht mehr Stoffpolster einfordern.“

Das Schloss also ein Auto mit Vollausstattung. Jedenfalls mit Rolltreppen, die hat Manfred Rettig beim Architekten Franco Stella gefordert. Um mehr Leben ins Haus zu bringen, man könnte auch schreiben, um Schwellen zu senken bei gehmüden Touristen. Er hätte auch gerne noch das Dachrestaurant neben der Kuppel, aber weil die Kuppel noch nicht sicher ist und die Spendenfinanzierung eines Restaurants eher nicht üblich wäre, könnte das mit dem Restaurant schwierig werden. Vielleicht ließe sich das Restaurant mit der Kuppel verkuppeln?

Wer, wenige Wochen vor dem Richtfest, am Schloss entlangschlendert, wundert sich über zweierlei: Einmal erscheint der Bau gar nicht so riesig, wie auf sämtlichen Renderings vermittelt, dann hat die Betonskulptur mit ihrem Schalungsinventar etwas sehr zeitgenössisches. Ein Bürokomplex mit Wohneinheiten, die unter dem Label „Hoheitenresidenz“ am Markt vermarktet würde, sähe exakt gleich aus. Überall rechte Winkel, überall effiziente Raumfügungen, überall gereihte, vereinheitliche Elemente, die eine serielle Fertigung der Bauteile nicht ausgeschlossen hätten (aber das Fügen des Kolosses aus Fertigteilen hätte dem Ganzen dann doch einen zu sehr pragmatischen Anstrich gegeben, der allerdings, wie auch die Ortbetonrealisierung, demnächst hinter dem Natursteinvorhang verschwunden wäre).

Also, der Besucher und Flaneur im ehemaligen Osten der Hauptstadt sollte den nackten Beton genießen, so lange er noch so nackt dasteht. Denn allein hierin, in diesem Ausdruck zeitgenössischen Realisierens, kann der Kenner das ablesen, was das Wesen des Schlosses ist und sein wird: tektonisch gedachte Touristendurchschleusemaschine mit Objektdesigneroberflächenqualität; vorausgesetzt, es geht alles gut mit den Steinschnitzereien! Be. K.


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