Relief aus Backstein
Kita Kinderland in
Wittstock/Dosse

Für eine Kita im brandenburgischen Wittstock/Dosse ergänzten kleyer.koblitz.letzel.freivogel.architekten ein Gründerzeit-Ensemble um einen Neubau. Dessen Backsteinfassade greift Motive aus der Nachbarschaft auf und interpretiert sie mit seinem variantenreichen Relief- und Filtermauerwerk neu.

Wie viele dünn besiedelte Gemeinden in Deutschland kämpft Wittstock an der Dosse gegen Wegzug und Leerstand. Die Kleinstadt liegt 130 km nordwestlich von Berlin in Brandenburg. Zwischen 1992 und 2013 sank die Zahl der Einwohner von über 20 000 auf rund 15 000. Davon leben etwa 1 650 Einwohner in der mittelalterlichen, von Fachwerk und Tuchfabriken aus der Gründerzeit geprägten Altstadt. Um diese zu beleben, werden in Wittstock nur Bauprojekte im Stadtkern gefördert. In den vergangenen Jahren zogen zahlreiche öffentliche Einrichtungen zurück ins Zentrum. Wohn- und Geschäftshäuser wurden saniert, leerstehende Gebäude gesichert und die Plattenbausiedlungen am Ortsrand zurückgebaut. Mit Erfolg: Binnen zehn Jahren sank der Wohnungsleerstand in der Altstadt von 22 auf 9 % (Stand 2013).

Auch die Kindertagesstätte Kinderland zog in den Stadtkern: Als die Kita, Teil einer Plattenbausiedlung aus den 1970ern, sanierungsbedürftig war, entschied sich die Stadt, die Kinder in zwei denkmalgeschützten Gründerzeit-Schulbauten im Zentrum unterzubringen. Der Umbau wurde als energetische Sanierung und Rückführung städtischer Infrastruktur zu 90 % von Bund und Land bezuschusst.

Die Knabenschule von 1839 und die Mädchenschule von 1894 standen seit Jahren leer. Sie liegen gegenüber der Marienkirche, einer dreischiffigen Hallenkirche aus der Backsteingotik. Die beiden zweigeschossigen, traufständigen Schulhäuser sind durch die Küsterstraße getrennt, den Durchgang vom Wohnhaus des Küsters zur Kirche. Das mit dem Vorentwurf beauftragte lokale Architekturbüro wollte die Straße mit einem zweigeschossigen Verbindungsbau für Treppenhaus und Aufzug verstellen, doch die Denkmalpflege intervenierte. Daraufhin schrieb die Stadt ein Gutachterverfahren aus, in dem sich kleyer.koblitz.letzel.freivogel.architekten aus Berlin gegen vier lokale Büros durchsetzten. Sie überspannten die Küsterstraße mit einer Glasbrücke im 1. OG, die die beiden Altbauten verbindet. Die Weg- und Blickachse zur Marienkirche bleibt dadurch erhalten. Eine temporäre Einfriedung ermöglicht es, die Kita-Spielflächen auf die Küsterstraße auszuweiten und die Durchfahrt nach Spielschluss wieder zu öffnen.

An der Stirnseite ergänzten die Planer das Ensemble um einen dritten Baukörper. „Die Bausubstanz war in beiden Schulen sehr gut erhalten. Wir wollten die Eingriffe in den Bestand daher möglichst gering halten und die Altbauten entlasten“, sagt Architekt Timm Kleyer. „Deshalb haben wir die haustechnisch anspruchsvollen Sanitärräume, den Aufzug und das notwendige Treppenhaus im Neubau untergebracht.“

Mit seiner Backsteinfassade fügt sich der neue Schluss­baustein harmonisch in die traditionellen Mauerwerksbauten der Umgebung ein. Durch die verlängerte Bauflucht wird der angrenzende Kirchplatz nun klarer gefasst. Proportionen, Dachneigung und Materialität orientieren sich an der benachbarten Jungenschule. Die Architekten griffen Motive des Nachbarbaus auf und interpretierten sie mit verschiedenen Mauerwerksvarianten neu und unerwartet.

Minimale Eingriffe im Bestand

180 behinderte und nicht-behinderte Kinder von 1 bis 12 Jahren besuchen die neue Kita. Ein schmaler Zwischenbau in der Fuge zwischen Alt und Neubau nimmt den Haupteingang auf. Wenige Stufen führen vom Kirchplatz zum Eingang, rückseitig leitet eine Rampe barrierefrei ins Innere. Die Eingriffe in den Bestand beschränken sich auf ein Minimum: Die Original-Holztüren wurden umgesetzt, die Holzbalkendecken im EG entfernt, eine Betonsohle sowie ein Estrich mit Fußbodenheizung und neue Bodenbeläge verlegt, die Treppe in der ehemaligen Mädchenschule in ihren historischen Zustand zurückgeführt und die Innenwände in den vorgefundenen, dezenten Original-Grautönen gestrichen.

Die neuen Sanitär-, Garderoben- und Kücheneinbauten sind von Wänden und Decken abgerückt, so dass die ehemaligen Klassenräume in ihrer Dimension erfahrbar bleiben. An den Innenseiten der Außenwände schlugen die Handwerker den Putz ab, verputzten die Wände mit Kalkputz neu, verkleideten sie mit Kalzium-Silikat-Dämmplatten und strichen sie mit dampfdiffusionsoffener Silikatfarbe. Unter den Holzbalkendecken montierten sie eine Deckenheizung sowie Akustikdecken. Die Fenster aus den 1970er Jahren wurden durch denkmalgerechte Holzfenster mit Isolierglasscheiben ersetzt.

Mauerwerk als Brises Soleil

Beide Schulhäuser besitzen eine für die Region und das 19. Jahrhundert typische monolithische Ziegelfassade. Der Neubau wurde dagegen zweischalig gemauert. Den Witterungsschutz übernimmt eine 11,5er Ziegelfassade, als tragendes Mauerwerk dienen 24 cm Kalksandstein. Den Zwischenraum füllen 12 cm mineralische Dämmung. Die hinterlüftete Fassade besteht aus roten Wasserstrichziegeln, deren Oberfläche und Farbgebung dem Bestand entspricht.

Die Fassade greift Dachneigung, Trauf- und Sturzhöhen, Pfeiler und Fassadenfelder der Jungenschule auf. Glatte, geschlossene Flächen der Vormauerschale wurden im wilden Verband gemauert und im Fugenglattstrich ausgeführt. Die Fenster an der Ostfassade zum Kirchplatz und zum Teil auch an der rückwärtigen Westfassade vermauerten die Handwerker mit einem Filtermauerwerk als Sonnen- und Sichtschutz. Dabei versetzten sie die Läufer jeweils um die Breite eines Binders gegeneinander.

„Die Frage war: Wie bekommt man das zum Halten?“, sagt Timm Kleyer. „Wir hätten Formsteine verwenden und das ganze Feld bewehren können, aber das hätte einer Zulassung im Einzelfall bedurft.“ Stattdessen entschieden sich die Architekten für eine Konstruktion aus Edelstahlprofilen, die an Sturz und Bodenplatte montiert wurden. Auf die Profile schweißten die Handwerker Halfenschienen, an denen sie die Maueranschlussanker befestigten. Diese sind jeweils mit einem 4 mm breiten Dorn in den Ziegel gebohrt.

An Sockeln, Mittelstreifen und Stürzen hinterfüllten die Maurer das Verblendmauerwerk mit Beton als verlorene Schalung. Darauf montierten sie die Fensterbank als Fertigteil aus WU-Beton mit anbetonierten und zuvor ausgeschnittenen Formziegeln. „Das Filtermauerwerk steht auf der Fensterbank und wird nur durch die Anker gegen Kippen gesichert“, sagt Timm Kleyer: „Zum Glück hatten wir einen engagierten Fassaden-Statiker und phantastische Maurer.“

Neuland für die Maurer

„Ein solches Filtermauerwerk hatten wir noch nie: Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden, aber das Mauern war extrem zeitaufwändig“, erinnert sich Bauingenieur Reiner Schiewe von der Firma Schiewe Bau aus Wittstock. „Durch die fehlenden Steine gibt es keine durchgehenden Lagerfugen, das erschwert das Verfugen. Die Steine liegen nur drei bis vier Zentimeter auf zwei kleinen Lagerfugen auf. Um sie präzise waagerecht zu vermauern, müssen Fugendicke und Mörtelkonsistenz genau passen.“ Damit das Filtermauerwerk entwässern kann, sind die untersten Steinlagen mit offenen Stoßfugen vermauert. Die bis zu drei Meter breiten und 300 kg schweren Fertigteilstürze wurden als Rollschicht ausgeführt und per Kran montiert.

Die Hohlräume in den Pfeilern nutzten die Architekten, um Regenfallrohre und Blitzschutz versteckt zu führen. Die Dachrinne wurde auf einer Holzunterkonstruktion mit Repanol ausgeklebt und im Dach versenkt. Die naturroten Glattziegel ähneln dem Farbton des Mauerwerks, Dach und Wand gehen nahtlos ineinander über.

Nord- und Südfassade schmückt ein Re-liefmauerwerk aus Läufern und Köpfen. Die Köpfe stehen jeweils 3 cm vor und überziehen die Fassade mit einem flirrenden Spiel aus Licht und Schatten, das an den Backstein-
expressionismus der 1920er Jahre erinnert. Ein schöner Kontrast zu den ruhigen, geschlossenen Giebel- und Wandpartien. Auf der Hofseite kombinierten die Architekten das Backsteinrelief mit einem „falschem“ Filtermauerwerk, das eine dahinterliegende Treppe verbirgt. Dort fehlen die Köpfe nicht, sondern wurden abgesägt und springen 6 cm gegenüber den Läufern zurück.

Der Anbau zeigt, wie sich anspruchsvolle, variantenreiche Backsteinarchitektur zeitgemäß umsetzen lässt. Michael Brüggemann, Mainz

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