Pflicht oder Kür?
Das Brandschutzkonzept als integraler Bestandteil des Entwurfsprozesses

Spätestens seit Verabschiedung der MBO 2002 und Anpassung der Landesbauordnun­gen sind Brandschutzkonzepte für Sonderbauten Bestandteil des Baugenehmigungsverfahrens. Der Autor ist Sachverständiger für Brandschutzplanungen und wirbt in seinem Fachbeitrag für die integrale Einbe­-zieh­ung von Brandschutzplanern schon in der Planungsphase. In einem ganzheitlichen Entwurfskonzept sind Brandschutzkonzepte „originäre Planungsaufgaben mit einer krea-­tiven Dimension“.

Im Kontext vielfältiger Reglementierungen gibt es mehrere methodische Ansätze für die Aufstellung von Brandschutzkonzepten, z. B. für das Land Hessen insbesondere

– den Bauvorlagenerlass

(Brandschutzkonzept) und

– die vfdb-Richtlinie 01/01 Brandschutzkonzepte in der jeweils aktuellen Fassung.

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, ein Brandschutzkonzept als übereinstimmenden Nachweis mit einer Sonderbaurichtlinie (z. B. Muster-Schulbaurichtlinie, Muster-Industriebaurichtlinie usw.) aufzustellen. Im Rahmen dieser Reglementierung („Pflicht“) wird das Brandschutzkonzept in seiner kreativen Dimension oft verkannt („Kür“).

Ein Konzept impliziert auf jeden Fall einen kreativen Vorgang, der dynamisch in das Entwurfsgeschehen zu integrieren ist. D.h.: das Brandschutzkonzept - zunächst als Vorkonzept – begleitet dynamisch den Entwurfsprozess in seinen verschiedenen Phasen. Brandschutzkonzepte sind nicht die Domäne von Sachverständigen und auch keine „Black Box“ für Architekten, sondern eine originäre Planungsleistung. Gerade bei Sonderbauten eröffnet sich dem Architekten und Brandschutzplaner die Möglichkeit, den Brandschutz kreativ in das Entwurfskonzept einzubeziehen.


Wie sieht die Praxis häufig aus?

Für einen fertigen Entwurf wird ein Brandschutzkonzept erarbeitet, um den architektonischen Entwurf genehmigungsfähig zu machen. Diese Vorgehensweise mag in vielen Fällen regelgerecht sein, sie nutzt jedoch recht wenig den kreativen Spielraum des Brandschutzkonzeptes. Für die Qualität des architektonischen Entwurfs ist jedoch nicht die Brandschutz-„Pflichtleistung“ entscheidend, sondern das Einbetten der Schutzziele des Brandschutzes in ein ganzheitliches Entwurfskonzept. Wie kann man das umsetzen?


Zielsystem und laterale Strategie

Jedes Projekt ist ein Problemlösungsprozess, der die Entwicklung eines Zielsystems erfordert. Die Schutzziele des Brandschutzes, die in jedem Brandschutzkonzept anzugeben bzw. zu definieren sind, sind wichtige gleichberechtigte Ziele innerhalb des Zielsystems eines Projektes.

Erfahrungen mit mehreren Projekten zeigen, dass ein Zielsystem sinnvollerweise als Baumstruktur mit den Zielebenen
– strategische Ziele (z.B. Entwurfsziele, Schutzziele des Brandschutzes)
– operative Ziele
– Maßnahmenziele aufzubauen ist.

Das Zielsystem prägt auch die laterale Strategie des Projektes, da gleichberechtigte Ziele, z.B. Entwurf, Schutzziele Brandschutz usw. auf der gleichen Zielebene miteinander korrespondieren müssen. Entwurfs- und Schutzziele befinden sich in einer interaktiven Beziehung.

Im Gegensatz zu diesem integralen Planungsansatz steht die vertikale Stra­tegie: Für einen Entwurf wird ein Brandschutz­konzept erarbeitet bzw. „nachgeschaltet“. Eine Wechselwirkung zwischen Entwurf und Brandschutz findet praktisch nicht statt bzw. sie beschränkt sich auf Korrekturmaßnahmen.

Der erfahrene Brandschutzfachmann wird die Mängel des Entwurfskonzeptes durch geeignete Ausgleichsmaßnahmen kompensieren, z.B. erhöhte Überwachungsfunktion durch eine Brandmeldeanlage, gegebenenfalls mit Vollschutz nach DIN 14675, die bei lateraler Planung möglicherweise nicht erforderlich gewesen wäre. D.h., ein wenig durchdachtes Konzept ohne Wechselbeziehung der Projektziele kann teilweise durch aufwändige Korrekturmaßnahmen des Brandschutzes kompensiert werden.

Es ist also empfehlenswert, auf der Basis eines umfassenden Zielsystems die Schutzziele des Brandschutzes rechtzeitig in die Projektentwicklung einzubeziehen bzw. auf die sonstigen Projektziele abzustimmen. So ist eine zielorientierte Brandschutzplanung mit überschaubarem Kostenaufwand möglich.


Projektbeispiel

Für den Entwurf eines 4-geschossigen Ärztehauses mit Tiefgarage – gewählter Standort im Bundesland Hessen - wurde ein ganzheitliches Zielsystem entwickelt, aufgebaut nach den Zielkategorien
– Entwurf
– Schutzziele Brandschutz
– Realisierung (Budget und Termine).

Ausgehend von den strategischen Zielen „Entwicklung Corporate Design“ (Entwurf), „Optimierung Rettungswegekonzept“ (Brandschutz) und „Kostenoptimierung“ (Realisierung) haben sich operative Ziele herauskristallisiert, die lateral miteinander korrespondieren:
– Festlegung Gebäudestruktur (Entwurf):

Die Entwurfsidee sieht ein Foyer mit

Kommunikationsfunktion und ablesbaren Nutzungseinheiten vor
– Priorität zwei bauliche Rettungswege (Brandschutz): Vom zentralen Schutzziel „Selbstrettung“ ausgehend sind zwei bauliche Rettungswege vorgesehen. Der 1.

Rettungsweg führt über notwendige Trep-

penhäuser, der 2. Rettungsweg über die Eingangshalle
– Optimierung Brandschutzmaßnahmen (Kostenoptimierung): Ein operatives Ziel im Rahmen der Kostenoptimierung des Projektes ist in Zeiten knapper Ressourcen die Optimierung von Brandschutzmaßnah-

men mit Optimierung der Gebäudeklasse und einer Minimierung von aufwändigen Kompensationsmaßnahmen.


Bezogen auf das Entwurfskonzept hat diese laterale Betrachtungsweise folgende Konsequenzen:
1. Es wird eine 4-geschossige Eingangshalle mit Kommunikations- und Verbindungsfunktion konzipiert, die die Nutzungseinheiten (Praxen und sonstige Bereiche) zentral erschließt. Darüber hinaus übernimmt diese Eingangshalle die Aufgabe des 2. Rettungsweges.
2. Es werden pro Etage Nutzungseinheiten mit einer Fläche von max. 400 m²/Nutzungseinheit konzipiert, was auch die Umsetzung des Nutzungsprogramms des Gebäudes auf sinnvolle Art und Weise ermöglicht.
3. Jede der drei Nutzungseinheiten erhält ein Nottreppenhaus als 1. Rettungsweg.
4. Festlegung Gebäudeklasse: Bedingt durch die Größe der Nutzungseinheiten (< = 400 m²) kann das 4-geschossige Gebäude (Fußbodenhöhe 3. OG bis 13 m) in Gebäudeklasse 4 eingestuft werden (vgl. § 2 (3) MBO 2002 bzw. HBO 2002), was bekanntlich Erleichterungen für den Brandschutz bedeutet. Ohne die Abgrenzung der Nutzungseinheiten wäre einer Einstufung des Gebäudes in Gebäudeklasse 5 erforderlich gewesen.

5. Begrenzung der Tiefgarage auf 40 Stellplätze bzw. 1 000 m² Nutzfläche (einschließlich Verkehrsflächen), die restlichen Stellplätze werden außerhalb der Garage nachgewiesen. Dadurch ist die Garage mit einer Gesamtfläche von weniger als 1 000 m² kein Sonderbau (vgl. § 2 (8) Nr. 12 HBO 2002).
6. Kompensationsmaßnahmen: Für das abgestimmte Entwurfs-/Brandschutzkonzept sind keine Kompensationsmaßnahmen erforderlich. Die Eingangshalle erhält eine Rauch­ableitung im Sinne der Muster-Versammlungsstättenverordnung (MVStättV ) ohne aufwändige Rauchabzugsanlagen. Da die Eingangshalle keine Rettungswege für weitere Versammlungsräume übernimmt, ist eine Sprinklerung ebenfalls nicht erforderlich.

Das Beispiel zeigt, dass durch ein abgestimmtes Zielsystem in lateraler Betrachtungsweise Entwurfs- und Schutzziele mit
einer Optimierung der Gebäudeklasse – falls im konkreten Projektfall möglich – umgesetzt werden können, ohne das Entwurfskonzept mit kostenintensiven Ausgleichsmaßnahmen zu kompensieren.

Leistungsbild Brandschutz

Die Leistungen für den Brandschutz sind auch in der neuen HOAI 2009 nicht geregelt. Eine qualifizierte Grundlage für das Leistungs­bild ist der Vorschlag des AHO-Arbeitskreises Brand­schutz, Nr. 17 der Schriftenreihe des AHO in der aktuellen Fassung vom Juni 2009 . Das Leistungsbild umfasst in Korrespondenz mit § 33 HOAI 2009 insgesamt neun Leistungsphasen, wobei die Leistungen für die Phasen 1-4 als Planungsleistungen, während die Leistungen für die übrigen Phasen 5-9 als Beratungs­leistungen ausgewiesen sind. Hier steht eine ganzheitliche Projektoptimierung im Vordergrund. Insbesondere im kreativen Teil der Brandschutzplanung (Lph. 1-3, teilweise auch Lph. 4) wird die Wechselwirkung zwischen Brandschutz- und Entwurfskonzept deutlich erkennbar.


Schlussbetrachtung

Ein richtiges Verständnis des Brandschutzes muss davon ausgehen, dass Brandschutzplanungen und Brandschutzkonzepte integraler Bestandteil des ganzheitlichen Entwurfskonzeptes für ein Gebäude sind. Brandschutzkonzepte sind keine Domäne von Sachverständigen, auch keine „Black Box“ für Architek-
­ten, sondern eine originäre Planungsaufgabe mit einer kreativen Dimension. Ein nach lateralem Verständnis aufgebautes Zielsystem dient dazu, die Schutzziele des Brandschutzes auf die sonstigen Projektziele abzustimmen und die angestrebte Entwurfsqualität mit einem überschaubaren Kostenaufwand im Bereich Brandschutz zu erreichen. Im Rahmen der aktuellen Schutzzieldiskussion im Brandschutz ist die „Selbstrettung“ Schutzziel Nr. 1, was im Regelfall für planende Architekten die Notwendigkeit und Priorität von zwei baulichen Rettungswegen bedeutet. Darüber
hinaus ist in Zeiten knapper Ressourcen die Kostenoptimierung im Brandschutz durch ganzheitliche Planung und Minimierung möglicher Kompensationsmaßnahmen ein zentrales Thema.

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