Paul Bonatz. Eine Ausstellung, ein Streit, Perspektiven

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Seit 2003 geplant, kommt die derzeitige Retrospektive „Paul Bonatz“ im DAM Frankfurt spät und doch gerade recht. Das vielgestaltige Œuvre wird präsentiert mit allen Ingredienzien, vor allem exzellenten Modellen; in eigenem Raum das Hauptwerk: Den einen „altes Glomb“, anderen Ausweis heimatlich-romantischer Identifikation, dritten Inbegriff technisch-architektonischer Avantgarde – der Stuttgarter Hauptbahnhof. Und der soll jetzt amputiert, die Bahnsteige in die Unterwelt verbannt werden. Natürlich ist die Aufregung groß: Eine Ikone des Fortschritts wird geschleift. Partiell jedenfalls. Wohl kommt dem Stadtbild seine 1914 bis 28 erstandene Inkunabel der Moderne nicht abhanden, immerhin aber gerät sie aus der Façon. Kastriert um die beiden Seitenflügel, klingt der bonatzsche Fanfarenton einer Neuen Zeit für das bis anhin verschnarchte Haupt- und Residenzschtädtle nicht länger so seigneural sonor wie dem bombastischen Bahnhofsbau geziemte.

Lass die Leute sich streiten drum – ob überhaupt, und wenn ja warum: München halbe Stunde mehr oder weniger näher, Flughafen eingebunden oder nicht, ob und wieviel Kapazität im Hades mehr als auf den überirdischen Gleisanlagen – die Züge der Zukunft scheinen unaufhaltsam abzutauchen in Richtung Schwäbische Alb. Cui bono? Jedenfalls der Stadt Stuttgart, erstens. Von Bergen eingekesselte Innenstadt vergrößert um einhundert Hektar, kostenlos klimatisiert von den Fallwinden der Kesselberge ringsum – bene. Und zweitens nutzts der Bahn! Auf der Transversale Paris-Budapest spare sie Zeit; zudem binde ihre Planung den Stuttgarter Flughafen ein. Was ihrem Image diene als verlässlicher Transportator.

Wem schadets? Dem Denkmalschutz: male. Nostalgikern: bis zum Gotterbarmen. Steuerzahler- und Staatssäckeln: neutrius; es muß erst geboren werden, wer Kosten und Nutzen solch gigantischer Maulwurfsvorhaben stringent auf- und gegenrechnen wollte. Vor allem aber rütteln die Grabarbeiten am Fundament des Politik-Images: Die Lamäng-Entscheidung selbstherrlicher Miniatur-Gröfaze ungeachtet aller Alternativ-Argumente mit der Macht des Stärkeren durchdrücken zu wollen, ist mindestens schwer verdauliche Remedur einer kränkelnden Landes- und der mit ihr verschwippten Bundesregierung.

Architektonische Augen werden tränen ob der Verunstaltung des im Großen harmonischen Bauwerks. Klar, scheint da wagnerianischer Triumphalismus auf in den Weihehallen dieses „Tempels eines unbekannten Kultus“ wie 1929 Ilja Ehrenburg ironisch bemerkt angesichts des kosmopolitanen Eklektizismus: Ägyptisch die klare tektonische Gliederung der kubischen Körper, die seriellen Pfeiler der Kolonnade zwischen den beiden nachgerade zeremoniell-theatralischen Empfangshallen, deren zur Stadt hin offene Bogenfronten persisch-muselmanischen Eingangs-Iwanen abgeschaut sind.

Über stilistische wie kulturelle Anverwandlungen hinaus ist der Bau stilbildende Symbiose würdeheischenden Pathetismus und minimalistischer Reduktion. Einerseits paraphrasieren der dysfunktionale Eckturm im pompösen Habitus eines auftrumpfenden Klassizismus sowie die gleichsam in die Welt ausgreifenden Anleihen in Antike und außereuropäischen Hochkulturen noch die Stimmung des imperialen Wilhelminismus. Andererseits buchstabiert Bonatz avant la lettre das less is more der Neuen Zeit: Flachdach über klar konturierten Kuben – Fagus, Bauhaus, Mies lassen grüßen. Funktional war der Bau ohnehin. Übersichtlich und auf kurzen Wegen wurden die Passagierströme zu den Schaltern, zu und von den Bahnsteigen und in die Stadt gelenkt, die Verwaltung diskret in den Seitentrakten behaust und, ja, auch das Funktion: Eine prätentiöse Station am Pilgerweg technologischen Fortschritts als Sinnbild des Protzertums einer durchgeknallten Großmacht.

Mit Stuttgart 21 werden Bonatz wohl die Flügel gestutzt, doch das Haupt seines Bahnhofs sowie seine Funktion bleiben. Lediglich die Bahnsteighalle wird versenkt und geschwenkt um 90 Grad. Und das ist auch gut so. Seien wir also gespannt auf die glitzernd taghelle Unterwelt aus dem Büro Ingenhoven. Die Alternative „K(opfbahnhof)21“, die den alten Bonatz und seine Sackgasse den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts anpassen zu können behauptet – um den Preis eines nach wie vor zerschnittenen Tals und Rekursen auf die „schöne Gäubahnstrecke“ der Schwäbsche Eisebahn – Papperlapapp: Würde doch, selbst wer eine besäße, heute nicht mehr mit Geis un Wage den Weg zu seiner zugigen Ritterburg nehmen, von wo aus er Rauchzeichen austauschte mit seinem Büro in der Stadt. Werner Jacob, Bad Krotzingen

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