Wohnen zwischen den Lauben

Mehrfamilienhaus
Arborea, Köniz/CH

Ausdrucksstark, selbstbewusst und ökologisch – so präsentiert sich das im Oktober 2016 bezogene Mehrfamilien­haus „Arborea“ in Köniz bei Bern von Halle 58 Architekten. Die Planungsgeschichte war nicht ganz einfach. Umso mehr überzeugt der sensibel gestaltete fertige Bau, der von den Mietern deutlich auch in den gemeinschaftlich genutzten Aussenräumen bewohnt wird.

2012 erhielt die Gemeinde Köniz im Südwesten von Bern den Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes für ihre vorbildliche Siedlungsentwicklung. Kommt man am Bahnhof an und wendet sich gen Westen, ist das zunächst kaum nachvollziehbar. Gewerbebauten grenzen an Bürohäuser, Mehrfamilienhäuser unterschiedlichster Epochen und Stile bilden ein heterogenes Wohngebiet. Doch mittendrin, fast eingeklemmt zwischen Feuerwehrstützpunkt und einer großflächigen Terrassensiedlung, liegt „Arborea“. Das fünfstöckige Mehrfamilienhaus mit seinen markanten, an Baumstämme erinnernden Betonstützen behauptet sich gut im architektonisch beliebigen Umfeld.

Entstanden ist der Bau im Rahmen eines Studienauftrags unter vier eingeladenen Büros, den die Gemeinde Ende 2010 für die nur rund 2 300 m² große Restfläche durchführte. Halle 58 Architekten aus Bern überzeugten mit einem trapezförmigen Volumen, das auf dem kleinen Fußabdruck immerhin 21 Wohnungen unterbrachte und darüber
hinaus mit dem Baustandard Minergie-P-Eco eine ökologische und energieeffiziente Bauweise anstrebte. So weit die Vision.

Die Realität sah nüchterner aus: Um das Objekt realisieren zu können, mussten die Planer einen Investor finden: Die Pensionskasse der Raiffeisen Genossenschaft St. Gallen, ein Player, der wohl etliche Immobilien in seinem Portfolio hat, aber kein vergleichbar „kleines“ Objekt. Und schon gar keins, mit ähnlich nachhaltigen Ansprüchen – ökologisch, sozial und ökonomisch.

Es ist den Architekten hoch anzurechnen, dass der folgende Clash der Kulturen dem Bau kaum anzusehen ist. Und wenn, dann am ehesten bei den Parkplätzen: Geplant, und von der Gemeinde auch bewilligt, wäre ein autofreies Mehrfamilienhaus gewesen – unvorstellbar für die Bauherrschaft, nicht aber für die Mieter. Heute sind vier Fünftel der Fläche in der hauseigenen Tiefgarage fremdvermietet, während der halboffene Fahrradraum im Erdgeschoss gut gefüllt ist.

Harte Hülle, weicher Kern

Für den Bau profitierten die Architekten von einer überarbeiteten Brandschutzverordnung, die zwar nach dem Bauantrag (Oktober 2014), aber rechtzeitig für den Bau in Kraft trat (Januar 2015) und einen bisher nicht realisierbaren, fünfgeschossigen Holzbau erlaubte.

Das Volumen füllt die zulässige Fläche des Grundstücks komplett aus. Der Zugang liegt im Westen, bei der Sägemattstraße. Von dort kommt man in einen großzügigen, gedeckten Empfangsbereich zwischen Fahrradraum und Wohnungen. Zu letzteren gelangt man über Laubengänge auf der Ostseite, eine entfernte Reminiszenz an die Bauernhäuser der teilweise sehr ländlichen Umgebung und an die Lauben im nahen Bern. Ein Treppenhaus und ein Lift sorgen für die vertikale Erschließung. In Material und Konstruktion besteht der Bau aus zwei Elementen: dem „weichen“ kubischen Kern aus Holz und der „harten“ organischen baumartigen Filterschicht aus Sichtbeton, die den Kern rahmt, schützt und gleichzeitig den Bewohnern attraktive Außenräume bietet.

Die beiden Elemente sind statisch entkoppelt. Der Holzkubus besteht aus Holz-Beton-Hybriddecken (Brettstapeldecken mit Dämmung und Überbeton); die Innenwände, auch die tragenden, sind aus Massivholzplatten und bilden so auch die horizontale Aussteifung gegen Wind und Erdbeben. Die Fassade setzt sich aus Latten aus unbehandelter Emmentaler Weißtanne zusammen. Deren unterschiedliche Breiten von 48 bis 128 mm rhythmisieren die Flächen, gleichzeitig konnte so der Stamm besser ausgenutzt werden.

Die äußere Schicht aus Beton sticht vor allem wegen der markanten, verästelten Stützen ins Auge. Drei verschiedene Typen wurden vorgefertigt und versetzt, anschließend die Laubengänge, die Terrassen auf der Westseite und das Treppenhaus in Ortbeton gegossen. Die Symbiose von Holz und Beton wurzelt im Brandschutz, die Fluchtwege verlangten nach einer Betonkonstruktion. Darüber hinaus dienen Laubengänge und Terrassen zusätzlich als Brandschutzschürzen. Die Installationsschächte sind geschossweise mit Beton ausgefacht, was sich wiederum positiv auf die Trittschalldämmung auswirkt. Auf der Ostseite, die an die Laubengänge und damit an die Fluchtwege grenzt, ist der Holzbau adaptiert: Hier bilden zementgebundene, nicht brennbare Holzspanplatten die Fassade, die Fensterrahmen bestehen aus der feuerfesten Eiche statt aus Lärche wie an den anderen Seiten. Gleichzeitig ist die durchlässige Betonhülle auch der konstruktive Holzschutz für die Fassade.

Sorgfältig unkonventionell

Die 21 Wohnungen mit je 2,5- bis 4,5-Zimmern sind durchgängig von Ost nach West zwischen den beiden Laubengängen angeordnet. Das erlaubt eine optimale Belichtung und versorgt jede Einheit mit einem zusätzlichen, privaten Außenraum auf der Westseite. Die Eingänge selber liegen von der Ostfassade zurückversetzt
in einer Nische. Die Bewohner haben so die Möglichkeit, ihren Eingangsbereich individuell zu gestalten, ähnlich wie in einem Einfamilienhaus. Oder wie Architekt Peter Schürch sagt: „Ich wollte Räume, an denen das Leben andocken kann“. Das funktioniert ausnehmend gut, auch bei den beiden Wohnungen im Attikageschoss, die mit Gartenflächen und Holzterrassen ausgestattet sind. Die Außenräume werden von den Mietern genutzt und belebt.

Während sich der Bau im Außenbereich durch die großzügigen Verkehrsflächen auszeichnet, sind diese im Inneren knapp gehalten: Der Eingang der 53 bis 108 m² großen Wohnungen führt übergangslos in die Küche. In den Nischen der Z-förmigen Hauptwohnfläche liegen jeweils die kleineren Schlafzimmer und die Sanitärräume.

Wie achtsam das Haus geplant ist, verraten die Details. So ist der Aufzugkern etwas aus der Ecke gerückt, damit die Wohnungen im nordöstlichen Teil des Hauses dahinter noch einen privaten Außenraum haben. Im Erdgeschoss gibt es einen Gemeinschaftsraum inklusive Küche, den die Mieterinnen und Mieter nutzen können.

Was die energetische Nachhaltigkeit betrifft, konnten die Ansprüche der Architekten eingehalten werden: Der Standard Minergie-P-Eco wurde erreicht. Das bedeutet, dass der Energieverbrauch mit jenem eines Passivhauses vergleichbar ist und ökologisch unbedenkliche Baumaterialien zum Einsatz kamen. Der dunkle, eingefärbte und geschliffene Estrich und die profilierten, unverkleideten massiven Holz-Brettstapeldecken dienen dabei auch als Speichermasse für die passive Solarnutzung. Geheizt wird mittels Pelletheizung, auf dem Dach sorgt eine rund 50 m² große Fläche mit Sonnenkollektoren für warmes Wasser.

Ja, aber...

Als die Gemeinde 2010 nach einer Lösung für die schmale Parzelle hinter dem Feuerwehrstützpunkt suchte, wünschte man sich auch
einen Bau, der zu zwei Dritteln preisgünstige Wohnungen für Familien beherbergen sollte. Diese Vorgabe hat sich nicht erfüllt, trotz der günstigen Ausgangslage.

Für die in Frage kommenden Investoren war das Projekt schlicht zu klein und in Konstruktion und Konzept zu unkonventionell, als dass sich ein finanzielles Engagement gelohnt hätte. Ausgezahlt hingegen hat sich der organisatorische Einsatz der Gemeinde. Der Aufwand, auch für eine kleine Parzelle einen Architekturwettbewerb durchzuführen, hat ein hochstehendes Ergebnis gebracht. Entstanden ist „ein Haus, das Gemeinschaft fördert, ohne sie zu fordern“, wie es die Jury schon beim Wettbewerb 2010 beschrieb. Das sahen offenbar auch die künftigen Mieterinnen und Mieter so: Bereits nach dem Tag der offenen Tür waren alle Wohnungen bis auf eine vergeben. Tina Cieslik, Bern/CH

Baudaten

Objekt: Wohnhaus Arborea

Standort: Köniz bei Bern/CH
Typologie: Wohnbau
Bauherr: Raiffeisen Pensionskasse Genossenschaft, St. Gallen/CH
Architekten: Halle 58 Architekten, Bern/CH,

www.halle58.ch
Bauleitung: schemaa gmbh, Bern/CH,

www.schemaa.ch
Bauzeit: Mai 2015 – September 2016

Fachplaner

Bauingenieur: Tschopp Ingenieure GmbH, Bern/CH, www.tking.ch
Holzbauingenieur und Brandschutzkonzept: Timbatec Holzingenieure AG, Bern/CH, www.timbatec.com: Timbatec GmbH, Thun/CH,

www.timbatec.com
Landschaftsarchitekt: IGL Natur Gartenbau GmbH, Bern/CH, www.igl-gartenbau.ch
Elektroplanung: BERING AG, Burgdorf/CH,

www.bering.ch
Elektro: ARGE Pauli Elektro / IPS AG, Bern/CH
Haustechnik: BeO Energie Consulting AG, Spiez/CH
Heizung: Neuenschwander Neutair AG, Bern/CH, www.nena.ch
Sanitär: WB AG, Bern/CH, www.wbag.ch
Lüftung: Stoffel Klima AG, Bern/CH, www.stoffelag.ch
Bauphysiker: Rüfenacht Marc Bauphysik + Energie, Bern/CH, www.mrbauen.ch
Geotechnik: Werner + Partner AG, Burgdorf/CH, www.geotechnik.ch

Projektdaten

Gebäudevolumen: 10 100 m3 (nach SIA 416)

Grundstücksgröße: 2 300 m²

Baukosten

Gesamtkosten BKP 1 – 9: CHF 9,4 Mio.
Gebäudekosten BKP 2: CHF 8,3 Mio.

Energiebkonzept

Jahresheizwärmebedarf: 73 MJ/m² nach Minergie-Berechnung
Energiekonzept:

– passive Nutzung Solarenergie

(Speichermasse: Unterlagsboden, Brettstapel-

decken, Wände aus Brettschichtholz)

– Sonnenkollektoren

– hervorragend gedämmte Gebäudehülle

– Holzpelletheizung

– Zertifikat: Minergie-P-eco

Hersteller

Gebäudehülle
Fenster: Baumgartner Fenster AG, Hagendorn/CH, www.baumgartnerfenster.ch
Sonnenschutz: Schenker Storen AG, Bern/CH,
www.schenkerstoren.com


Brandschutz    
Türen / Toren:
Gilgen Door Systems AG, Bern/CH, www.gilgendoorsystems.com

Gebäudeautomation      
Sicherheit:
DELBAG Delay Beschläge AG, Köniz/CH, www.delbag.ch
                                   
Ausbau       
Beleuchtung:
Frauchiger AG, Münsingen/CH,
www.fram-licht.ch; Hellinge LICHT GmbH, Köniz/CH, www.hellinge.ch (Leuchten Aussenbereich)

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