Kalkuliertes Spiel

Die Europäische Zentralbank im Frankfurter Osten ist bezogen. Ein Besuch

Ach die Hochhäuser! Eignen sich wie vielleicht noch Staudämme oder Aufmarschplätz so gut für die Listung von Weltrekorden. Für eine Architekturpräsenz in Zahlen. Bei der aktuell bezogenen Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main, Entwurf von CoopHimmelb(l)au, finden sich auf der Website der Bauherrin die Folgenden: Höhe des Büroturms: 185 m (nicht gerade spektakulär), Länge der Großmarkthalle: 250 m (welche Halle war das noch?), Grundstücksfläche: 120.000 m² (Platz für ein paar große Shopping Malls oder hinreichend Fläche für Abstand und Befestigungsanlagen, die Sicherheit gegenüber Anschlagsversuchen bieten), Brutto-Geschossfläche: 185.000 m², auf dem Areal gepflanzte Bäume: 700 (Joseph Beuys hatte an zehnmal mehr gedacht, beim Bosco Verticale in Mailand, Gewinner des Internationalen Hochhauspreises 2014 hängen die Bäume spektakulär in der Fassadenlandschaft), Glasscheiben in der Fassade des Büroturms: 6.000 (das klingt nach viel, ist aber noch viel mehr, schaut man auf die „Schild-Hybrid“-Erfindung, die Sonderverformungen von rund 600 Einzelscheiben etc.), Stahlstreben im Atrium: 14 (Vierzehn. „Na und?“, möchte man fragen, und wundert sich ein wenig über das Spröde dieser Listung, schließlich sind die Streben die wesentlichen Bauteile, die die beiden Turmteile, Ergebnis einer Teilung und Verdrehung der Bauteile um 180 Grad, am Umfallen hindern. Die Betonstahlhybride werden, man muss es erwähnen, von Blechen ummantelt, die 10 cm stark sind!), Neuverfugungen an der Fassade: 73 km (endlich eine dieser Zahlen, die das Weltmeisterliche verdeutlichen können … Denn legte man alle Fugen aneinander, reichten sie vom Frankfurter Turmsockel bis zum Kaiserdom in Worms!). Die Fundamentplatte ist 3 m dick und in ihr liegen 4200 t Stahlstäbe. Die Platte ruht u. a. auf 97 Gründungspfählen mit maximal 37 m Länge und Vorrichtungen für eine geothermische Nutzung.

Es gibt viel mehr Zahlen, man wundert sich fast, dass die Banker, die ja Zahlenmenschen sein sollen, hier so sehr damit geizen. 2900 wäre so eine Zahl, Arbeitsplätze auf 45 Geschossen. Deckenhöhen in den drei Atrien, die das Doppelte bis Dreifache der Gemüsehalle haben. Überhaupt die Gemüsehalle von Martin Elsaesser. Mitten im Betrieb bereits unter Denkmalschutz gestellt, waren die Wiener in ihren ersten Entwürfen nicht gerade zimperlich mit dem Bauwerk verfahren. Heute beherbergt die in Teilen aufwändig und sehr eindrucksvoll restaurierte Halle die Konferenzzone als Haus im Haus, ein Restaurant, ein öffentliches Café, eine Bibliothek und Veranstaltungsflächen, von denen Großveranstalter träumen.

Außerdem musste die Gemüsehalle ein Verbindungsbauwerk aufnehmen, das die Anlage (Konferenz etc. und Büroturm) erschließt und die Pressekonferenz aufnimmt: ein riesig auskragender Schaukasten hinter einer hyperbolisch paraboloid verformten Glasfassade.

Die beiden Bürotürme werden über vier Verbindungsebenen auch kommunikativ zusammengebunden. Die auch „Umsteigeplattform“ genannten Ebenen im Zwischenraum der beiden gegeneinander verdrehten Baukörper haben Express-Aufzüge in verglasten Schächten, die sich mit einer Geschwindigkeit von 6 m/s innerhalb des Atriumluftraums bewegen. In den Fassaden der Atrien wurden Lamellenfenster in die Fassade integriert, die im Brandfall zur Entrauchung sorgen.

Ansonsten bilden die geschosshohen Fensterelemente die dreischichtige Schild-Hybrid-Fassade, die die Funktionen bewährter Kasten- und Verbundfenster mit denen von Doppelfassaden vereinigt. So können die zentral (über den Fußboden) klimatisierten Büroräume auch natürlich belüftet werden. Werden die Parallel-Abstell-Lüftungselemente vom Nutzer geöffnet, schaltet die Klimaanlage im jeweiligen Büro ab.

Neben Estrichböden finden sich textile Beläge, deren Musterung aus den Achtziger Jahren herübergeschlichen scheint, wie auch die auffällige Möblierung des teils großzügig weiten Umraums in der alten Gemüsehalle aber auch im Foyer, in den Atrien und anderen großen Binnenräumen mit rollenden Pflanzenkästen einen angenehm normalen, man möchte schreiben Sparkasseneindruck verbreiten. Dass Sicherheits- wie auch Klimaschleusen schon mal so gesetzt werden, dass durch ihre Gläsernheit Betonstreben offensichtlich mißmutig durchgestoßen wurden … Nun ja, das verliert sich im ganz großen Raunen von der großen, wirklich ganz großen Architektur.

Der Sitzungssaal im 41. Geschoss ist mit einem Kreis schlanker Ledersessel gefüllt. Keiner dieser Stühle verrät, wo der Bankenpräsident seinen Platz haben wird. Über dem Rund, dort, wo auch schon mal ein Glasdach im Gespräch war, entfaltet sich eine geschwungene Holzlamellenskulptur. Die soll die Landkarte Europas zeigen. Wofür man sich allerdings in die Mitte des Doppelrings legen müsste, Blick gen Norden. Überprüfen ließ sich das nicht, es gibt keinen Zugang zur Mitte.

Die Bank ist größtenteils bezogen, das neutrale Grau und Weiß der Büros wird farbig durch die Farbigkeit der internationalen Angestellten. Vielsprachigkeit ist ebenso präsent wie die vielfachen Blickbeziehungen auf die Bankenstadt im Westen und die umliegende Landschaft. Die Angestellten gelangen von Osten über eine Tiefgarageneinfahrt zu ihrem Arbeitsplatz. Sie fahren dann dort vorbei, wo Jugendliche nicht nur des Viertels neue, aus dem EZB-Budget finanzierte Ausgleichsflächen wie Fußball- und Basketballplätze bespielen. Und sich auch der großdimensionierten Skateranlage mit Street- und Bowl-Landschaft ihr Können in Szene setzen. Die hier gezeigten Tailslides, Airs oder Stand Up Grinds im Deep End scheinen so gar nicht zu dem zu passen, was im Hintergrund mit Hilfe von Architekten, Ingenieuren und rund 1,2 Mrd. € Steuergeldern am nördlichen Mainufer gewachsen ist. Andererseits ist das Bankengeschäft doch genau das: ein mehr oder minder bravouröses Spiel mit einem Risiko, das man immer zu kalkulieren glaubt. Be. K.

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