Industriebau im Wandel

KTR Betriebsgelände, Rheine

Großzügige, multifunktionale Räume prägen den Neubau für Forschung und Entwicklung von KTR Systems in Rheine. Der Generalplaner von agn aus Ibbenbüren entwarf den markanten Industriebau im Rahmen einer mehr als 30 Jahre währenden Zusammenarbeit mit dem Hersteller für Antriebselemente.

Von Westfalen hinaus in die Welt: Im Fadenkreuz von
Mittellandkanal, Autobahn A30 und Osnabrücker Straße, ehemals B65, liegt, umgeben von Feldern an der Stadtgrenze von Rheine, die Firmenzentrale der KTR Systems GmbH. Das im Jahr 1959 gegründete Tochterunternehmen der F. Tacke GmbH & Co. KG. erwarb hier in den frühen 1990er-Jahren ein weitläufiges Gewerbeareal, welches dem Unternehmen auch zukünftig vielfältige Erweiterungsoptionen bietet. Um eine rechteckige Grünfläche herum sind Firmengebäude versammelt, die von dem Architektur- und Ingenieurbüro agn Niederberghaus & Partner GmbH aus Ibbenbüren seit den frühen 1990er-Jahren entworfen wurden. So bildet das Ensemble nicht nur eine dreißigjährige Architekten-Kundenbindung ab, sondern ist auch ein Spiegel der Unternehmensgeschichte. Seit den frühen 1990er-Jahren sind beide Unternehmen international gewachsen. KTR produziert heute mit 23 Tochtergesellschaften und 90 Vertriebs­partnern in Rheine für einen weltweiten Markt. agn ist zu einer Firmengruppe herangewachsen, die neben zehn Standorten in Deutschland auch Sonderngenieurleistungen anbietet. Bei dem KTR-Neubau unterstützten Fachleute für Gebäudeautomation und Nachhaltigkeit, die im Rahmen der Digitalisierung und ressourcenbewußter Planung mittlerweile unerlässlich sind, hausintern das Generalplanungsteam der agn. Vom ersten Strich an haben die Architekten den Entwurf mit einer Kosten- und Qualitätsüberwachung in der Gebäudekonzeption begleitet. Das interdisziplinäre Planungsteam hat mit dem Konzept „Kurze Wege“ passgenau auf den von bauherrenseitigen Produktionstechnikern entwickelten Betriebsablaufprozess reagiert. Neben der funktionalen Optimierung konnte mithilfe regenerativer Energien wie auch durch Nutzung der Prozessabwärme eine Energieoptimierung für das Gebäude in erheblichem Maße erreicht werden.

Firmencampus als Spiegel einer Architekten-Kundenbindung

Die Zusammenarbeit zwischen dem Hersteller von Kupplungssystemen und dem Architekturbüro agn begann wenige Querstraßen entfernt in den späten 1980er-Jahren, für den 1988 fertiggestellten Produktionsstandort am Rodder Damm. Dieses erste Gebäude von agn wurde mit großer Kostendisziplin den KTR-Fertigungsprozessen passgenau auf den Leib geschneidert. Bis zum Jahr 2015 war die Abteilung für Forschung und Entwicklung hier in einem beengten, viel zu kleinen Anbau untergebracht. Seit den frühen 1990er-Jahren waren die Anforderungen gerade in den Bereichen Entwicklung und Qualitätssicherung von einfachen Sicht- und Maßprüfungen zu aufwendigen Untersuchungen mit komplexer Messtechnik angewachsen. Nach der Fertigstellung des Neubaus zog das Team auf dem Hauptcampus in großzügige neue Räume ein.

Bernhard Busch, heute geschäftsführender Gesellschafter Architektur bei agn, wirkte seit den Anfängen an den Gebäuden für KTR mit und arbeitete für den ersten, 1992 fertiggestellten Bauabschnitt auf dem Firmengelände noch mit Firmengründer Franz Tacke zusammen. Für ihn spiegeln die einzelnen Bauabschnitte nicht nur die Architektur der jeweiligen Zeit wider, sondern repräsentieren mit einer jeweils eigenen Sprache auch die Zusammenarbeit mit immer neuen Geschäftsführern. Hierbei setzen KTR und agn nicht auf langfristige Leitlinien wie die vielerorts üblichen Corporate Identity-Konzepte, sondern entwickeln Schritt für Schritt mit Blick auf sich stets wandelnde neue Produkte und Produktionsanforderungen das Firmengelände weiter. Konzepte wie Smart Factory und Industrie 4.0 stehen dabei im Fokus der weiteren Entwicklung des Industriecampus KTR. Das Logistikzentrum am Ende des Firmengeländes entstand als flexibler Komplex mit einer Trapezblechfassade im Jahr 2003 und wurde 2008 erweitert. Google Earth-Saellitenaufnahmen, aufgenommen kurz nach der Errichtung eines neuen Bürogebäudes im Jahr 2011, zeigen noch den fragmentierten Charakter des Firmengeländes vor der Errichtung des jüngsten Ergänzungsbaus. Noch lag im Zentrum ein Acker, wo durch den 2015 eröffneten Komplex für Forschung und Entwicklung ein gestalteter Innenhof entstand.

Zäsur im Erscheinungsbild

Die anthrazitfarbene Ziegelsteinfassade des im Jahr 2011 zur Carl-Zeiss-Straße hin errichteten, dreigeschossigen Bürogebäudes, markiert eine Zäsur und neue Handschrift in der KTR-Firmenarchitektur. Der im Jahr 2015 eröffnete, jüngste Gebäudekomplex, die Multifunktionshalle für Forschung und Entwicklung setzt diese Fassadengestaltung fort und ergänzt konsequent das neue markante Erscheinungsbild des Unternehmens als Ensemble aus klar gegliederten Riegeln mit hochwertigen Fassaden. In dem dreigeschossigen, unterkellerten Kopfbau in Massivbauweise mit Halbfertigteilbindern sind heute unter einem Dach die technischen Anlagen von Forschung und Entwicklung wie auch Qualitätssicherung und die Büroflächen der Konstruktionsabteilung zusammengefasst. Ein Zwischengebäude mit Räumen für Lüftungsanlagen und Server verbindet mit einem eingeschossigen Höhenversatz und einem Rücksprung in der Fassade den Kopfbau mit der angrenzenden Montagehalle mit Laufkatze und Werkkränen für die Großmontage für die Erstbemusterung. In die weitgespannte Montagehalle mit Stahlbetonbindern und Stützen in Köcherfundamenten sind geschlossene, bis zu zweigeschossige Prüf-, Sozial- und
Büroräume eingestellt. Gebaut aus Fertigbetonteilen sind die zum Teil zweigeschossigen Einbauten an die Fassade angeschlossen und werden natürlich belüftet. Ein Oberlichtstreifen aus Industrieglas betont den gestreckten Charakter der Halle. Die neue Generation von Gebäuden formt einen städtebaulichen Winkel, der die unterschiedlichen Funktionsbereiche zusammenfasst und mit einer markan­ten Kubatur das Firmengelände zur vielbefahrenen Osnabrücker Straße schließt.

Schaufenster des Unternehmens

Herzkammer des jüngsten Ergänzungsbaus ist die zweigeschossige Halle mit dem Prüffeld und den technischen Anlagen der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, die mit großen Fensterflächen zur Carl-Zeiss-Straße geöffnet ist. Transparent und offen präsentiert das Unternehmen wie in einem Schaufenster die Abteilungen, die über Jahre hinweg Innovationen der Kupplungstechnik  unter anderem für Windkraftanlagen entwickelt haben. Große Plakate präsentieren mit Kreidezeichnungen die Arbeitsbereiche und Themenschwerpunkte der Entwicklungsabteilungen. Der helle Charakter des Prüffeldes beruht auch auf der Entscheidung, laute und schmutzige Geräte wie die Hydraulik- und Kompressoranlage in das Untergeschoss zu verbannen, deren Abwärme für die Fußbodenheizung genutzt wird. Darüber hinaus sieht das Energiekonzept einen Brennwertkessel, PV-Anlagen und eine Wärmerück­gewinnung aus RLT-Anlagen vor. Auch mit
einer Lichtqualität, die dem Standard von Büroarbeitsplätzen entspricht, werden die
Arbeitsbedingungen der 20 Mitarbeiter erheblich verbessert. Zusätzlich trennen Glaswände die Computerarbeitsplätze akustisch von den technischen Anlagen, die gleitend gelagert und schwingungstechnisch entkoppelt sind.

Konstruktion im Zeichen des Wandels

Ein- und Ausblicke verknüpfen das Prüffeld nicht nur mit dem Kontext, sondern auch mit den anderen Abteilungen des Unternehmens wie der Qualitätssicherung und der Konstruktionsabteilung im Obergeschoss. Treppenhäuser flankieren auf beiden Seiten das Prüffeld im Erdgeschoss und führen in das Obergeschoss mit den Arbeitsplätzen der Konstruktionsabteilung hinauf. Die offene Bürolandschaft mit hochwertiger Ausstattung ist mit akustisch wirksamen Trennwänden
in drei offene Gruppenzonen unterteilt. Die Breite der Büroetage ermöglicht zukünftig vielfältige Umbaumöglichkeiten, die von der jetzigen offenen Bürolandschaft über Kombibüros bis zu Zellenbüros mit einer mittleren Gemeinschaftszone reichen. Auf der Seite zum Innenhof sind in jedem Stockwerk Teeküchen als Pausenbereiche angeordnet. Kurze Wege, spontane Begegnungen und ein
innovatives Klima durch abteilungsübergreifende Zusammenarbeit waren Ziel der Konzeption, die zuvor getrennte Abteilungen in diesem Gebäude zusammenfasst.

Die Geschichte des Campus illustriert anschaulich wie der Fokus sich von kostenoptimierten Industrieanlagen zunehmend auf langlebige Materialien und multifunktionale Räume mit konsequenten Erweiterungsmöglichkeiten verschoben hat. Der städtebauliche Masterplan bietet eine Vielzahl von Erweiterungsmöglichkeiten in einer repräsentativen Firmenarchitektur. Architekten und Unternehmen haben sich statt kurzfristiger Marketingeffekte für ein langfristiges, urbanes Architekturkonzept entschieden, das auch für die Mitarbeiter ein hochwertiges Arbeitsumfeld mit hoher Aufenthaltsqualität bietet. Bettina Schürkamp, Köln

Baudaten

Objekt: Multifunktionshalle für Forschung und Entwicklung KTR Rheine
Standort: Rheine
Typologie: Industriebau
Bauherr: F. Tacke GmbH & Co. KG, Rheine
Nutzer: KTR Kupplungstechnik GmbH, Rheine
Architekt: agn Niederberghaus & Partner GmbH, Ibbenbüren; www.agn.de Mitarbeiter (Team): Daniel Mäuser, Jens Willbrandt
Bauleitung: Ludger Ewering
Bauzeit: März 2014 – März 2015

Fachplaner

Tragwerksplaner: GROTE Ingenieurbüro für Tragwerksplanung, Wettringen; www.grote-ing.de TGA-Planer: agn Niederberghaus & Partner GmbH, Ibbenbüren
Energieplaner: energum GmbH, Ibbenbüren;
www.energum.de Brandschutzplaner: Görtzen Stolbrink & Partner mbB, Kalkar; www.goerzen-ingenieure.de
TGA-Planer: siganet GmbH, Ibbenbüren;
www.siganet.de

Projektdaten

Nutzfläche gesamt: 9 367 m²
Brutto-Grundfläche: 10 100 m²
Brutto-Rauminhalt: 89 830 m³

Baukosten

Gesamt brutto: 15 760 000 €

Energiebedarf

Primärenergiebedarf: 241,9 kWh/m²a nach EnEV 2009
Endenergiebedarf: 208,1 kWh/m²a nach EnEV 2009
Jahresheizwärmebedarf: 169,2 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2009

Energiekonzept

Abwärme aus Hydraulikanlagen, Rechenzentrum und Kompressoranlage wird für Heizung genutzt. Spitzenlast über Brennwertkessel. Wärmerückgewinnung aus RLT/PV-Anlage

Baukonstruktion

Multifunktionshalle: Stahlbetonbinder und Stützen in Köcherfundamenten, Achsraster 6 x 20 m
Tragschale Dach: Stahltrapezbleche, Wärmedämmung, Dachabdichtung
Außenfassade bis 7 m Höhe: Stahlbetonwandplatten mit Wärmedämmung und Vorhangfassade
Außenfassade bis 11,5 m Höhe: Industrieverglasung
Achse 9 – 16: Einbau von Sozialräumen, Nebenräumen
zweigeschossig in Massivbauweise konventionell
F&E Bereich: Tragkonstruktion, Massivbauweise 3-geschossig mit Halbfertigteilbindern
Außenfassade: Stahlbetonwände mit Wärmedämmung und Vorhangfassade
Dachdecke: Stahlbeton mit Gefälledämmung und Dachabdichtung

Hersteller

Fenster: Schüco Interntional KG, www.schueco.com Profilgläser Fassade: Pilkington, www.pilkington.com
Sonnenschutz: WAREMA Renkhoff SE, www.warema.de
Türen/Tore: AKM-Tore GmbH, www.akm-tore.de; Schüco Interntional KG, www.schueco.com
Heizung: Bosch Thermotechnik GmbH, www.buderus.de; WILO SE, www.wilo.com; emco Bau- und Klimatechnik GmbH & Co. KG, www.emco-klima.com Lüftung: robatherm GmbH + Co. KG,

www.robatherm.com

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